Außen- und Sicherheitspolitik der SPD

SPD-Außenpolitik: „Von Deutschland wird zurecht Führung erwartet.“

Kai Doering21. Januar 2023
SPD-Fraktionsvize Gabriela Heinrich: Sicherheit kann nicht nur aus militärischer Perspektive betrachtet werden.
SPD-Fraktionsvize Gabriela Heinrich: Sicherheit kann nicht nur aus militärischer Perspektive betrachtet werden.
Durch den Ukraine-Krieg richtet sich die Außen- und Sicherheitspolitik der SPD neu aus. Fraktionsvize Gabriela Heinrich über Gespräche mit Russland, ihre Erwartungen an Boris Pistorius und die geplante „Nationale Sicherheitsstrategie“

Seit knapp einem Jahr bestimmt der Begriff der „Zeitenwende“ die Debatten in Deutschland. Wie nachhaltig hat das die Außen- und Sicherheitspolitik der SPD verändert?

Bundeskanzler Olaf Scholz hat den Begriff der Zeitenwende zu Recht geprägt. Denn Wladimir Putin hat mit seinem verbrecherischen Angriffskrieg auf die Ukraine die Parameter der internationalen Politik fundamental verändert. Russlands Angriffskrieg und die dahinterstehende imperialistische Ideologie sind eine existenzielle Bedrohung für die Ukraine. Deshalb stehen wir fest an der Seite der Ukrainerinnen und Ukrainer. Russlands Aggression bedeutet gleichzeitig, dass wir umso entschiedener für unsere Werte einstehen müssen.

Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Welt zunehmend in eine Vielzahl von Machtzentren zerfällt. Unsere große Herausforderung ist, in einer solch multipolaren Welt Europas Souveränität zu stärken und mit Drittstaaten, vor allem jenen des Globalen Südens, belastbare Partnerschaften zu schließen. Das gilt insbesondere für Klimaschutz und die Energiesicherheit. Die Grundpfeiler sozialdemokratischer internationaler Politik bleiben dabei umso aktueller: Frieden, Freiheit, internationale Gerechtigkeit, Solidarität und eine starke EU sind und bleiben die Leitlinien unserer Politik.

Im Positionspapier, das die Bundestagsfraktion bei ihrer Klausur Anfang Januar beschlossen hat, heißt es, Deutschland müsse künftig „mehr Verantwortung für Frieden und Stabilität auf dem europäischen Kontinent“ übernehmen. Ist das die „Führungsmacht“, die Lars Klingbeil im vergangenen Jahr gefordert hat?

Die Sozialdemokratie ist seit jeher die politische Kraft, die versucht, auf Veränderungen nicht nur zu reagieren, sondern diese zu gestalten. Das ist in dieser Zeitenwende nicht anders. Putin wendet sich mit seinem Krieg gegen die Ukraine auch gegen unser europäisches Modell des Zusammenlebens. Die Antwort hierauf kann nur mehr Europa sein. Und von Deutschland als größtem EU-Land wird zurecht Führung im Sinne Europas erwartet. Diese Verantwortung müssen und wollen wir annehmen. Dass der Europäische Rat dem Kanzler in seiner Absichtserklärung folgt, die Ukraine in die EU aufzunehmen, ist Führung. Dass Olaf Scholz China in der Frage der nuklearen Bedrohung in Verantwortung nimmt, ist Führung. Kluge Führung ohne vorzupreschen.

Mit Blick auf den Krieg in der Ukraine wird in dem Papier die Rolle der Diplomatie betont. Ist eine diplomatische Lösung mit Russland überhaupt möglich?

Wir unterstützen die Ukraine militärisch, humanitär und diplomatisch, wo möglich. Unser Ziel muss sein, dass Russland den Angriffskrieg gegen die Ukraine stoppt. Um das zu erreichen, braucht es militärische Stärke gegenüber Russland und im richtigen Moment auch Diplomatie. Natürlich immer nach dem Prinzip: nicht ohne die Ukraine, nicht über die Ukraine hinweg. Für die Aufnahme von vertrauensvollen Verhandlungen mit Russland gibt es derzeit keine Grundlage. Gleichzeitig müssen wir im Gespräch bleiben, um in kleinen Teilbereichen Leid zu lindern. Ich denke konkret an das von den Vereinten Nationen vermittelte Getreideabkommen und die wichtige Rolle der Internationalen Atomenergiebehörde bei der Sicherung von Energieinfrastruktur in der Ukraine.

Welche Erwartungen haben Sie hier an den neuen Verteidigungsminister Boris Pistorius?

Ich denke, Boris Pistorius ist sich der Herausforderungen seines neuen Amtes bewusst. Er wird parteiübergeifend für seinen Sachverstand in der Sicherheitspolitik und seine Führungsstärke geschätzt. Die Soldatinnen und Soldaten und alle, die täglich für unsere Sicherheit arbeiten, sind bei ihm in den besten Händen. Er wird mit Kräften dafür sorgen, dass die Bundeswehr einsatzbereit und gut ausgestattet ist, damit sie ihre Verpflichtungen gemeinsam mit unseren Partnern erfüllen kann. Das Sondervermögen für die Bundeswehr bildet die Grundlage und muss jetzt in Ausrüstung, Fähigkeiten und Strukturen fließen.

In den kommenden Wochen will die Bundesregierung ihre „Nationale Sicherheitsstrategie“ vorstellen. Worauf kommt es dabei aus Sicht der SPD-Bundestagsfraktion an?

Als wir im Koalitionsvertrag beschlossen haben, erstmals eine umfassende Nationale Sicherheitsstrategie zu verfassen, war die Welt noch eine andere. Es ist wichtig, dass wir in der Strategie eine ehrliche Standortbestimmung unseres aktuellen sicherheitspolitischen Umfeldes vornehmen. Daraus sollte ein umfassender Sicherheitsbegriff erwachsen und konkrete Handlungsfelder benannt werden, in denen wir unsere Strukturen an die neuen Gegebenheiten anpassen. Sicherheit kann nicht nur aus militärischer Perspektive betrachtet werden. Für uns bedeutet Sicherheit auch soziale Fragen in den Vordergrund zu stellen, um die Gesellschaft und die internationale Ordnung zu stabilisieren. Soziale Sicherheit und internationale Sicherheit sind für uns untrennbar, das muss sich auch in der Strategie widerspiegeln.

Das Interview wurde schriftlich geführt.

Die Gesprächspartnerin

Gabriela Heinrich ist Bundestagsabgeordnete aus Nürnberg und stellvertrende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, zuständig für Außen, Entwicklungszusammenarbeit, Verteidigung, Menschenrechte.

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Kommentare

Von Deutschland wird zurecht Führung erwartet !! ??

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Von Deutschland wird zurecht Führung erwartet !! ??

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Gelöscht

Die Meinung von Richard Frey, obwohl sie wahrscheinlich mit meiner, wie so oft, nicht übereinstimmt, hätte mich schon interessiert.
Siehe auch der Artikel von Jonas Jordan vom 2.12. 2022.

Nationale Sicherheitsstrategie

Ja, sowas wäre wünschenswert anstatt nach der Pfeife anderer zu tanzen. Verbrecherische Angriffskriege zu führen ist leider kein Alleinstellungsmerkmal Russlands oder wie das heute personalisiert heißt: Putins.

merktbdas wirklich niemand? Polen und andere sind an

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was ein Nonsense. Wer definiert denn, was in diesem

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wen auch die Gründe ungesagt bleiben müssen, wir

müssen Scholz unendlich dankbar sein, für seine Haltung. Er weiß , was er tut, und warum er es tut. Alle anderen - na ja- das führt zu weiteren Sperre, lieber nicht.

„Derzeit keine Grundlage

für die Aufnahme von vertrauensvollen Verhandlungen mit Russland“.
Das ist das Problem in unserer derzeitigen, einäugigen Wahrnehmung der Lage in Europa, die in einen Krieg mündete, dass unsere großen und kleinen Wortgewaltigen wunderbare Sätze formulieren, aber deren Konsequenzen nicht bedenken. (Auch mir läuft eine wohlige Gänsehaut über den Rücken beim verbalen Gebrauch „militärischer Stärke gegenüber Russland“, bis ich mich frage, wie das (bei einer Atommacht) funktionieren soll.)
„Derzeit“ gibt nicht viele Deutungsmöglichkeiten her. Eigentlich kann es nur abzielen auf ein geläutertes Russland ohne Putin; vielleicht noch auf ein bedeutungs- und völlig machtloses Russland. Letzteres, so scheint es mir, wollen alle unsere großen und kleinen Wortgewaltigen. Was aber, wenn beide Erwartungen sich als unrealistisch herausstellen? Wie soll dann der Krieg enden?

„Keine vertrauensvollen Verhandlungen mit Russland“! Haben wir eigentlich dem Mullah-Regime im Iran vertraut, als wir es vom Bau einer Atombombe abhalten wollten. Die Großmächte USA und Russland, jetzt kommen noch ein zwei weitere hinzu, setzen nicht (nur) auf Vertrauen.

„Derzeit keine Grundlage“_2

Auch die USA beenden gelegentlich Verträge, wenn ihre Einhaltung ihren Interessen nicht mehr entspricht. Völkerrechtswidrige Kriege sollen sie auch schon begonnen haben, behaupten manche. Und zurecht weist Klingbeil (21.6.22) darauf hin, dass „sich bisher die großen globalen Player weltpolitischen Einfluss über Druck und Gefolgschaft gesichert“ haben - „Vertrauen“ kommt da gar nicht vor.

Die Kunst der Außenpolitik und damit der Friedensschaffung, -sicherung, „Vertrauen“ aufzubauen und zu erhalten, besteht doch darin, die anfangs unterschiedlichen Interessen der Partner auszugleichen – permanent und aus der Sicht beider, aller! Das gilt besonders dann, wenn die Parteien auch noch Nachbarn sind

„Militärische Gewalt als ein legitimes Mittel der Politik zu sehen“, wie Klingbeil kürzlich forderte, ist das Problem, nicht die Lösung!

Gewichtige Worte

denen ich nur zustimmen kann.
Ich hoffe, daß es in der Bundesregierung, besonders in der SPD, noch verantwortliche PolitikerInnen gibt, die den Weg weg vom Krieg gehen. Dazu braucht man bei der medienorchestrierung allerdings genügend Gluteus maximus* in der Hose.

* Der Gluteus maximus ist ein paariger Muskel, auf dem man nicht nur sitzt, sondern der auch für den aufrechten Gang benötigt wird.

Eine grundlos angemasste Führungsrolle

Sowohl die Staaten EU-Europas als auch die Staaten Europas, zu der auch die Russische Föderation zählt, vertreten ihre Interessen selbst und verbitten sich die Einmischung anderer.

Würde man sich auch nur ansatzweise mit der Kultur Russlands befasst haben, wüsste man, dass gerade auch während laufender Kämpfe diplomatische Gespräche stattfinden können.

Die Möglichkeiten für solche Gespräche sind auch von deutscher Seite durch eine katastrophale Auffassung von Diplomatie zunichte gemacht worden.