Debatte um Haushaltsloch

Warum die blinde Schuldenbremse den Wohlstand gefährdet

Gustav Horn24. November 2023
Perspektiven erweitern: Wohldurchdachte Schulden können die Wirtschaft stimulieren.
Das Haushaltschaos nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zeigt vor allem eines: Die Schuldenbremse muss grundlegend reformiert werden.

Nun ist es also passiert. Das Bundesverfassungsgericht hat Entscheidungen über öffentliche Investitionen im Rahmen von Sonderfonds  außerhalb von akuten Notlagen für verfassungswidrig erklärt. Und zwar, weil sie nach seiner Auffassung gegen die verfassungsmäßig verankerte Schuldenbremse verstoßen. 

Es war ein großer Fehler, die Schuldenbremse in dieser Form im Grundgesetz zu verankern. In ökonomischer Logik sind Schulden schließlich nicht etwas prinzipiell Schlechtes, die es unter allen Umständen zu verhindern gilt. Vielmehr können Schulden eine Wirtschaft entscheidend voranbringen und Wohlstand in der Zukunft sichern und schaffen.

Dies ist genau dann der Fall, wenn diese Schulden aufgenommen werden, um Investitionen durchzuführen. Sie stimulieren nicht nur kurzfristig die Konjunktur, sondern sie erhöhen auf längere Sicht die Produktionsmöglichkeiten und damit den Wohlstand einer Volkswirtschaft. Das gilt insbesondere dann, wenn eine Wirtschaft, wie es derzeit wegen vielfacher globaler Herausforderungen der Fall ist, unter einem hohen Anpassungsdruck steht. Zugleich lahmt die Konjunktur, was sowohl  gegen Steuererhöhungen  als auch gegen Sparprogramme  als Finanzierungsmöglichkeiten für Investitionen spricht.  

Gute und schlechte Schulden

Schulden sind jedoch nicht kostenlos. Jahr für Jahr müssen Zinsen hierfür aus dem Haushalt aufgebracht werden; Ausgaben, die für andere Zwecke nicht zur Verfügung stehen. Eine  ökonomisch rationale Abwägung über eine Schuldenaufnahme wäre daher, zu prüfen, ob die durch Investitionen zu erwartenden Wohlstandsgewinne die Zinskosten übersteigen. Ist dies der Fall, spricht jedoch nichts dagegen, sich zu verschulden.

Gegenüber diesen ökonomischen Zusammenhängen ist die Schuldenbremse in ihrer derzeitigen Form aber blind, weil sie nicht zwischen investiven und konsumtiven Ausgaben, bei denen keine Ausweitung der Produktionsmöglichkeiten entsteht, unterscheidet. So steht es im Grundgesetz und verhindert mögliche Wohlstandsgewinne. Das ist des Fehlers Kern. Warum aber wurde seinerzeit dieser Schritt überhaupt erwogen?

Die  politisch-ökonomische Begründung war, dass es für jede Regierung zu starke Anreize geben würde,  sich zu verschulden. Mit den erhöhten Ausgaben könnten sie sich über soziale „Wohltaten“ die Zustimmung der  Wählerinnen und Wähler der Gegenwart zu, während sie die Kosten der Schulden  künftigen Generationen aufbürden würde. Daher sei der Schuldenstand verfassungsmäßig möglichst niedrig zuhalten.

Falsche Argumente

Diese Argumente sind mindestens unpräzise, teilweise sogar schlicht falsch. Die Annahme, dass die Wähler*innen sich fortwährend durch Schulden finanzierte Ausgabenprogramme einer Regierung gegenüber geneigter machen würde, setzt ziemlich dumme Wähler*innen voraus. Jede auch nur halbwegs agile Opposition wird sie auf die Problematik immer höherer Verschuldung in drastischer Form  hinweisen. Sie  können sich folglich jederzeit ein Bild machen, ob diese Verschuldung sinnvoll ist oder nicht.

Gänzlich falsch ist es, bei investiven Ausgaben Generationen gegeneinander auszuspielen. Schon ab dem ersten Tag der Schuldenaufnahme muss die gegenwärtige Generation auch die Zinsen hierfür zahlen. Sie empfängt also nicht nur die Vorteile in Form einer besseren Konjunktur und sich  ausweitender Produktionsmöglichkeiten, sondern trägt auch die Kosten hierfür. Mit dem Verblassen der Älteren übernimmt die jüngeren Generation zwar die Zinslasten, aber ihr kommen auch die höheren Produktionsmöglichkeiten in vollem Umfang zugute. Was ist daran unfair, sodass man es verfassungsmäßig einschränken müsste?

Hinzu kommt, dass die Zinszahlungen nicht verschwinden, sondern an die Gläubiger*innen fließen. Solange diese im Inland sitzen, bleibt also der Wohlstand hierdurch in der Volkswirtschaft insgesamt erhalten, auch wenn dies ungleich zugunsten Wohlhabenderer verteilt ist, da sie das Gros der Zinszahlungen empfangenden Gläubigerinnen und Gläubiger ausmachen dürfte.

Eine sehende Schuldenbremse

Aus alledem folgt, die Schuldenbremse muss grundlegend reformiert werden. Insbesondere muss  ihre Blindheit gegenüber investiven Ausgaben geheilt werden. Eine sehende Schuldenbremse  wäre  schon ein gewaltiger Fortschritt. Genau dies fordert die SPD in ihrem Leitantrag für den kommenden Bundesparteitag.         

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Kommentare

Fehlende u./o. falsche Industriepolitik gefährdet den Wohlstand

Eine falsche Industriepolitik, wie die von Grünen&SPD gewollte, dann auch noch mittels Schulden bezahlen zu wollen, ist schon mehr als grob fahrlässig. Dem musste ein Riegel vorgeschoben werden.

wo bitte schön, ist das Problem- sie hat doch eine Hintertür, di

e so oft gescholtene Schuldenbremse, die also nur eine Pseudobremse ist. Es gibt doch eine parlamentarische Mehrheit, um den Notfall festzustellen, Gründe liegen bereit, mehr als genug. Nur machen muss man es.

"Vielmehr können Schulden

"Vielmehr können Schulden eine Wirtschaft entscheidend voranbringen und Wohlstand in der Zukunft sichern und schaffen."

Komisch, ich kann mich noch an eine Zeit erinnern, da galten hohe Staatsschulden von z.B. Griechenland als großes Problem in Europa. Damals gab es noch Vernunft und Menschenverstand, der irgendwie seit Corona auf der Strecke geblieben ist.

Schuldenbremse

Komischerweise wird immer nur von Schuldenbremse und Kürzungen in vielen Bereichen gesprochen und geschrieben, aber beispielsweise nicht von Kürzungen unsinniger Subventionen für SUV's, Dienstwagenprivileg oder gar einer überfälligen gerechten Steuerpolitik wie z.B . der Anpassung der Erbschaftssteuer, der Reaktivierung der Vermögensteuer, der Anhebung des Einkommensteuerhöchstbetrages u.ä.

Zwar sind Steuererhöhungen lt, Koalitionsvertrag nicht vorgesehen, aber dieser ist in vielen anderen Punkten ohnehin nicht mehr aktuell. Und wenn die FDP ihn zum Altpapier zählt, gehört auch der Punkt "Nichterhöhung von Steuern" dazu ebenso wie der Ausschluss eines Tempolimits.

„Blinde Schuldenbremse“

Investitionen, also Schulen, Brücken, Fabriken, Gleisanlagen, werden viele Jahre lang ertragreich genutzt. Kein Betriebs- oder Volkswirt käme auf die Idee, solche Anschaffungen aus den Gewinnen/Einnahmen des Anschaffungsjahres bezahlen zu müssen – er nimmt dafür Kredite auf und zahlt sie (+ Zinsen) mit den Erträgen/Einnahmen während der jahrelangen Nutzung der damit gekauften Vermögensteile zurück. Das ist bei staatlichen Investitionen nicht anders (, wenn auch die Erträge da nicht so einfach zu bestimmen sind). Eine Schuldenbremse, die den Staat zwingt, die Ausgaben für Investitionen aus den Einnahmen des Anschaffungsjahres zu bezahlen, ist unsinnig, sie gefährdet den Wohlstand unserer Kinder und Enkel.

Investitionen müssen natürlich wohlüberlegt sein.