Weg mit der Schuldenbremse

Haushaltssperre: Warum sie die Lösung und nicht das Problem ist

Lothar Binding23. November 2023
Nach dem Urteil des Bundesverafssungsgerichts fehlen im Bundeshaushalt 60 Milliarden Euro
Nach dem Urteil des Bundesverafssungsgerichts fehlen im Bundeshaushalt 60 Milliarden Euro
Haushaltssperre klingt dramatisch, ist aber kein Problem, sondern das Werkzeug zur Lösung eines Problems. Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob es nicht viel klüger ist, auf die Schuldenbremse zu verzichten.

Beim Wasser-Rohrbruch kann man hektisch auf und ablaufen und „ohGottoGott“ rufen, während das Wasser den Keller überflutet. Oder man stellt eilig den Haupthahn ab – hat Zeit, in Ruhe zu überlegen, welche Werkzeuge man herbeiholt und welche Handwerker*innen man bittet. Haushaltssperre klingt dramatisch. Sie ist aber nicht das Problem, sondern das Werkzeug zur Lösung eines Problems.

Die vom Bundesfinanzminister verfügte Bundeshaushaltssperre von Verpflichtungsermächtigungen bedeutet, dass die Bundesregierung ab sofort nur noch im Einzelfall (Ausnahmefall) darüber entscheidet, welche Verpflichtungen für die kommenden Jahre eingegangen werden dürfen, auch solche, die eigentlich schon im Haushalt für 2023 vom Parlament beschlossen wurden. Alle anderen Verpflichtungsermächtigungen sind gesperrt.

Was ist eine Verpflichtungsermächtigung?

Mit einer Verpflichtungsermächtigung erlaubt das Parlament der Verwaltung, Verpflichtungen einzugehen, deren Kosten erst in der Zukunft entstehen. Gemeint sind Projekte, die erst in der Zukunft liegen und für die erst in zukünftigen Haushalten das Geld eingestellt werden muss. Deshalb steht im aktuellen Jahreshaushalt ein kleiner Betrag für die Planung und ein großer Betrag als Verpflichtungsermächtigung für die spätere Realisierung eines Projekts. Sehr viele Vorhaben brauchen einen längeren Planungsvorlauf, wobei der Beginn von oft teurer Planung natürlich erst Sinn macht, wenn die Mittel für das eigentliche Projekt gesichert sind, wir sagen: wenn das Projekt durchfinanziert ist.

Verpflichtungsermächtigungen, die zum Beispiel im aktuellen Jahr mit dem Bundeshaushalt beschlossen werden, erlauben der Exekutive, also den Verwaltungen und Ministerien, Zahlungsverpflichtungen für die Zukunft bereits in diesem Jahr einzugehen. Trotz der Sperre für Verpflichtungsermächtigungen hat die Bundesregierung in Ausnahmefällen die Möglichkeit, Verpflichtungsermächtigungen zu entsperren. 

Wie wirkt die Haushaltssperre?

Die im Haushalt eingestellten Mittel können aktuell weiterhin ausgegeben, wir sagen, „abgerufen“ werden. Auch bereits eingegangene Verpflichtungen (Verträge) werden eingehalten. Die Sperre wirkt also auf Verpflichtungen, die zwischen dem Verkünden der Haushaltssperre (21. November) und dem Jahresende 2023 gemacht werden sollten. 

Technisch wird die Haushaltssperre im Paragraf 41 der Bundeshaushaltsordnung (BHO) geregelt. Dabei wird festgelegt, auf welche Einzelpläne ­– das sind Teilbereiche des Haushalts – die Sperre wirkt. In diesem Fall wirkt die Sperre auf die Einzelpläne 4 bis 17 und 23 bis 60, also praktisch auf alle Einzeletats aller Ministerien. Insbesondere sei der Einzelplan 60 erwähnt, denn dort sind der „Klima und Transformations-Fonds“ (KTF) mit 60 Milliarden Euro, wie auch der „Fonds zur Dämpfung der Energiepreise“ mit 200 Milliarden Euro, zu finden. Von der Haushaltssperre nicht betroffen sind die so genannten Verfassungsorgane, also der Bundespräsident und das Bundespräsidialamt (Einzelplan 01), der Bundestag (Einzelplan 02), der Bundesrat (Einzelplan 03) und das Bundesverfassungsgericht (Einzelplan 19) – aber vergleichsweise kleine Einzelpläne.

Welche Auswirkungen hat die Haushaltssperre?

Die besondere wirtschaftspolitische Bedeutung, ihre Brisanz, erfährt die Haushaltssperre, weil sie den Planungshorizont aller noch nicht genehmigten oder vertraglich vereinbarten bzw. zugesagten Zukunftsprojekte verkürzt und damit indirekt auch großen Einfluss auf die privaten Investitionen ausübt.

Bei knapp kalkulierten Projekten – es soll auch Projekte geben, die überhaupt nur mit Blick auf die staatliche Förderung geplant werden – hat diese Verkürzung des Planungshorizonts, also der Zeit, die für die Planung vor der Realisierung von Projekten verbleibt, große Auswirkungen und kann mitunter zu Verunsicherungen führen. Zudem ist nicht auszuschließen, dass dies gelegentlich auch als bequeme Begründung (Ausrede) benutzt wird, um ohnehin wackelige Projekte zu begraben. Schuld haben dann „die Politik“, „die Regierung“…

Warum brauchen wir keine Schuldenbremse?

Deshalb müssen wir großes Verständnis dafür haben, dass Regierung und Bundestag nun in großer Eile um Lösungen des durch den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts plötzlich eingetretenen Engpasses ringt. Grundsätzlich stellt sich jedoch die Frage, ob es nicht viel klüger wäre, auf die Schuldenbremse zu verzichten und viele der gegenwärtig 29 Sondervermögen transparent im Bundeshaushalt zu etatisieren, also im Bundeshaushalt direkt aufzuschreiben. Außerdem wäre es klug, statt „Sondervermögen“ einfach „Staatsschulden“ zu sagen. Dabei wäre es wichtig, dass auch Politiker*innen keine Mythen über die Staatsschulden verbreiten, sondern die Bedeutung und Notwendigkeit erklären.

Es sei hier ausdrücklich gesagt, dass die gesamten öffentlichen Schulden in Deutschland, also des Bundes, der Länder, der Kommunen und der Sozialkassen, anders als häufig behauptet, mit Blick auf die Schuldentragfähigkeit (also die Fähigkeit des Staates, die Zinsen langfristig zu bedienen) kein Problem darstellen. Auch die Formel „Staatsschulden dürfen nicht an unsere Enkel übergeben werden“, gründet auf einem Mythos, denn unsere Enkel erhalten auch die Staatsanleihen und können somit vom künftigen Finanzministerium ihre Leihgabe an den Staat zurückfordern. So sind die Staatsschulden, also die Gemeinschaftsschulden des Staates, letztendlich bei einzelnen Bürger*innen im In- und Ausland geliehene Liquidität und solange kein Problem, solange die Schuldentragfähigkeit gegeben ist – und diese ist in Deutschland sehr gut.

Lieben wir unsere Staatsschulden und schaffen wir die Schuldenbremse ab, sie wurde ohnehin bisher immer trickreich umgangen.

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