Sozial-Klimarat

Thomas Losse-Müller: Warum Klimaschutz massive Investitionen braucht

Kai Doering04. Dezember 2023
Thomas Losse-Müller: Es gibt nach wie vor eine hohe Zustimmung in der Bevölkerung für Klimaschutz.
Thomas Losse-Müller: Es gibt nach wie vor eine hohe Zustimmung in der Bevölkerung für Klimaschutz.
Klimaschutz darf keine Privatangelegenheit sein, fordert Thomas Losse-Müller, Geschäftsführer des Sozial-Klimarats. Stattdessen müsse der Staat ihn als Daseinsvorsorge verstehen und massiv investieren. Wie es nicht geht, zeige das Heizungsgesetz.

Bei der Bundestagswahl war der Klimaschutz für viele das entscheidende Thema. In letzter Zeit scheint es eher in den Hintergrund zu treten. Woran liegt das?

Ein Grund ist, dass die einfacheren Fragen beim Klimaschutzes – wann wollen wir klimaneutral sein und mit welchen Technologien schaffen wir das – geklärt sind. Jetzt geht es um ganz viele, zum Teil komplizierte, Vorgänge im Maschinenraum und die Frage, wie Klimaneutralität für alle Menschen funktioniert. Der individualisierte Klimaschutz über Förderung, Preise und Verbote scheitert, wenn die Menschen die notwendigen Veränderungen nicht bewältigen können. Darauf waren wir nicht gut vorbereitet, wodurch Dinge wie das Heizungsgesetz passiert sind. Es ist zwar am Ende zu etwas Gutem gewendet worden, aber der erste Ansatz und die Kommunikation waren ein Fehler. Ein zweiter Grund ist sicher, dass weltpolitische Entwicklungen wie der Krieg in der Ukraine und damit verbundene Auswirkungen auf Deutschland das Klima-Thema überlagern. Das ist verständlich. An der Notwendigkeit, das Klima zu schützen, hat sich aber nichts geändert, im Gegenteil.

Sie haben das Hin und Her um das Heizungsgesetz erwähnt. Sorgt solch ein Vorgehen dafür, dass die Menschen sich am Ende sogar gegen den Klimaschutz wenden?

Es gibt nach wie vor eine hohe Zustimmung in der Bevölkerung für Klimaschutz. Allerdings fürchten viele, persönlich nicht in der Lage zu sein, sich die Maßnahmen für mehr Klimaschutz leisten zu können. Genau diese Mischung als Stimmungslage hat die Politik bisher noch nicht in den Blick genommen.  Hinzu kommt, dass die Klimapolitik mit dem Heizungsgesetz zum ersten Mal tief und direkt in das Leben der Menschen eingreift. Bisher war er für viele eher eine Lifestyle-Frage, bei der man je nach politischer Haltung und eigenen Möglichkeiten mitgemacht hat. Nun wird der Klimaschutz verbindlich und ändert liebgewonnene Gewohnheiten – und kostet im Zweifel auch richtig Geld.

Wie sollte die Politik darauf reagieren?

Sie muss anders planen und im Detail gucken, was die finanziellen und organisatorischen Möglichkeiten der Menschen sind, die den Klimaschutz umsetzen sollen. Wir müssen klären, was die unterschiedlichen Haushalte in Deutschland je nach Lebenslage und Lebensmodell brauchen, um klimaneutral zu werden. Das ist eine gemeinschaftliche Aufgabe und darf nicht den Einzelnen aufgebürdet werden. Die ausschlaggebenden Entscheidungen beim Klimaschutz sind nicht private, sondern öffentliche. Ich erkläre das immer gern am Beispiel einer Straße.

Bitte!

In dieser Straße gibt es zehn Häuser, die alle noch eine Öl- oder eine Gasheizung haben. In den Häusern eins und zwei leben Menschen, die den Klimaschutz schon immer wichtig fanden. Sie haben sich gerade eine Solaranlage aufs Dach setzen und eine Wärmepumpe einbauen lassen. Dafür haben sie zwischen 100.000 und 150.000 Euro investiert. Die Menschen in den Häusern drei und vier finden den Klimaschutz nicht so wichtig, haben aber durch den Krieg in der Ukraine gemerkt, dass es sinnvoll ist, sich von Öl- und Gaslieferungen unabhängig zu machen. Auch sie investieren 100.000 bis 150.000 Euro, um ihre Häuser klimaneutral umzurüsten. Das Problem ist nur: Die durchschnittlichen Ersparnisse eines Haushalts in Deutschland betragen gerade mal 30.000 Euro. Was machen also die Menschen in den sechs verbliebenen Häusern, die sich die Umrüstung nicht leisten können? Der einzige Weg, wie sie alle klimaneutral werden können, ist der, dass der Staat ihnen die Wärme ins Haus bringt, indem er ein Wärmenetz aufbaut und sie anschließt.

Was genau wollen Sie mit dem Beispiel sagen?

Wir müssen Klimaschutz als Daseinsvorsorge begreifen. Genauso wie der Staat den Menschen frisches Wasser ins Haus bringt, muss er auch dafür sorgen, dass sie klimaneutral heizen können. Eine solche kollektive Lösung ist volkswirtschaftlich günstiger und ermöglicht allen Menschen unabhängig von Einkommen und Vermögen, beim Klimaschutz mitzumachen. Das gilt übrigens genauso beim Verkehr. Der effizienteste Weg zu mehr Klimaschutz ist hier, dass der Staat Bus und Bahn ausbaut, so das mehr Menschen auf ein Auto verzichten können. Die Kosten dafür spare ich dann privat. Der Staat schafft dadurch gemeinsamen Wohlstand. Voraussetzung ist aber, dass er in die Infrastruktur investiert.

Immer wieder ist im Zusammenhang mit dem Klimaschutz inzwischen von einem „Kulturkampf“ die Rede, wenn etwa die Ölheizung zu einem Symbol der Freiheit stilisiert wird. Lässt sich dieser Kulturkampf aufhalten, wenn man Klimaschutz als gemeinschaftliche Aufgabe versteht?

Auf jeden Fall! Der Kulturkampf entzündet sich daran, dass Klimaschutz häufig als Lifestyle- oder Moralfrage überhöht wird. Darum geht es aber gar nicht. Es geht allein um die Frage öffentlicher Investitionen. Der Klimaschutz scheitert nicht daran, dass die Menschen nicht wollen, sondern daran, dass sie nicht können.

Hat Sie diese Erkenntnis dazu bewegt, den Sozial-Klimarat ins Leben zu rufen?

Das ist genau der Punkt. Klimapolitik muss darauf  überprüfet werden, ob sie machbar und sozial gerecht ist. Das geht am besten, wenn wir die Organisationen an einen Tisch holen, die die Menschen vertreten, die am wenigsten individuell in der Lage sind, für mehr Klimaschutz zu sorgen. Die sozialen Organisationen wie SoVD, AWO oder VdK sind alle sehr klar in der Frage, dass Deutschland eine ambitionierte Klimapolitik braucht. Schließlich wird der Klimawandel selbst die größte soziale Ungerechtigkeit sein. Er trifft die Ärmsten am stärksten, denn wie so oft können sich die Reichen Anpassungsmaßnahmen eher leisten und müssen so am wenigsten verzichten. Gleichzeitig fällt es Menschen mit wenig Geld besonders schwer, den Weg in Richtung Klimaneutralität zu gehen, weil sie die in der aktuellen Logik der Klimapolitik notwendigen privaten Investitionen nicht stemmen können. Um den Kampf gegen den Klimawandel gerecht zu gestalten, müssen wir deshalb die Lebenslagen der Menschen verstehen, um nachvollziehen zu können, wie groß die Auswirkungen politischer Maßnahmen auf sie sind, Stichwort: Heizungsgesetz. Wir brauchen da einen echten Strategiewechsel.

Ihr Ziel ist also Politikberatung?

Genau das. Wir wollen den Strategiewechsel unterstützen bzw. überhaupt erstmal in der politischen Diskussion verankern. Vor allem aber wollen wir das nachholen, was bisher fehlt: die Lebenslagen der Menschen zu analysieren, um zu erfahren, ob das, was wir als Klimapolitik vorhaben, überhaupt für alle praktisch umsetzbar oder zum Scheitern verurteilt ist.

Sie sagen, der Staat muss investieren. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Klima- und Transformationsfonds hat die Situation für die Politik nicht gerade leichter gemacht. Wie lässt sich das lösen?

Wenn wir über Klimaschutz als Daseinsvorsorge sprechen, bedeutet das massive öffentliche Investitionen. Dafür braucht der Staat die Möglichkeit, Kredite aufzunehmen und sozial gerechte Steuern zu erhöhen, um diese Schulden wieder zurückzuzahlen. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts lässt der Politik weiterhin den Spielraum, Notlagen zu definieren und Sondervermögen aufzulegen. Um eine Reform der Schuldenbremse werden wir hier trotzdem nicht herumkommen, weil die dafür jetzt zu beachtenden Regeln ökonomisch und politisch zu mehr Ineffizienz und damit zu höheren Kosten führen. Es gibt keine Alternative zu großen öffentlichen Investitionen, wenn wir erfolgreich Klimaschutz machen wollen, der sozial gerecht ist.

Das deckt sich auch mit dem Leitantrag zur Transformation, den die SPD für ihren Bundesparteitag vorgelegt hat. Reicht Ihnen aus, was dort formuliert ist?

Ich stehe voll und ganz hinter diesem Leitantrag, in dem die wesentlichen Voraussetzungen für eine gelingende Transformation und für erfolgreichen Klimaschutz formuliert sind. Ich  hätte mir gewünscht, dass die Aussage, dass Klimaschutz Daseinsvorsorge ist, noch klarer im Antrag auftaucht, aber angelegt ist dieser Ansatz darin und das ist für mich das Entscheidende. Das muss der sozialdemokratische Ansatz in der Klimatransformation sein.

Der Gesprächspartner

Thomas Losse-Müller ist Geschäftsführer des Sozial-Klimarats und Vorsitzender der SPD-Fraktion im Landtag von Schleswig-Holstein.

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