Im Rückspiegel

Hitler an der Macht: Kann sich die „Machtergreifung“ wiederholen?

Walter Mühlhausen 30. Januar 2023
Postkarte der Nationalsozialisten in Erinnerung an die „Machtergreifung“: Weimar kam nach langem Siechtum zu Tode.
Postkarte der Nationalsozialisten in Erinnerung an die „Machtergreifung“: Weimar kam nach langem Siechtum zu Tode.
Mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler vor 90 Jahren wurde das Ende der ersten deutschen Demokratie besiegelt. Es war keine „Machtergreifung“, sondern eine „Machtübertragung“. Könnte sich ähnliches heute wiederholen?

Am 30. Januar 1933 laufen in den Mainzer Kinos u. a. die Filme „Der große Bluff“ und „Das Glück kommt nur einmal“. Beide Titel mögen von vielen mit dem in Verbindung gebracht werden, was sich gleichzeitig in Berlin abspielte: die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler. Für viele war es ein Bluff, anderen erschien es als einmaliges Glück. Beides kommt aber nicht im Entferntesten der späteren Realität nahe.

Endkampf um die Weimarer Republik

1930 begann der Endkampf um die Republik mit den Präsidialkabinetten, als Regierungen sich nicht auf das Parlament, sondern auf den machtvollen Reichspräsidenten stützten. Dieses Amt bekleidete der 1925 vom Volk gewählte Paul von Hindenburg, dem die Republik wahrlich keine Herzenssache war.

Unter ihm vollzog sich die Entdemokratisierung. Er ermächtigte Reichskanzler Franz von Papen, die demokratische Bastion Preußen zu schleifen: Die Regierung des Sozialdemokraten Otto Braun wurde am 20. Juli 1932 widerrechtlich abgesetzt – ohne Gegenwehr der zu diesem Zeitpunkt schon geschwächten republikanischen Kräfte. Die antidemokratische Rechte nutzte den Staatsstreich, um die Ämter von missliebigen (Sozial-)Demokraten zu „säubern“.

Als Papen mit dem Versuch scheiterte, die NSDAP über eine Einbindung in die Regierung zu „zähmen“, und auch sein Nachfolger Kurt von Schleicher nach einem achtwöchigen Intermezzo ebenfalls die Segel streichen musste, setzte die Kamarilla um Hindenburg voll auf Hitler. Auch führende Industrielle forderten den altersschwachen Reichspräsidenten auf, nun endlich den Mann aus Braunau zu berufen. So geschah es.

Auf den Schultern der Demokratiegegner

Am 30. Januar 1933 bekam Adolf Hitler die Reichskanzlerschaft in den Schoß gelegt. Die Londoner Satirezeitschrift „Punch“, die den Abgang des Eisernen Kanzlers Bismarck 1890 mit der berühmten Zeichnung des vom Bord gehenden Lotsen karikiert hatte, brachte ein Bild vom neuen Kanzler auf den Schultern von Hindenburg und Papen. In der Tat war es keine „Machtergreifung“, kein, wie es das Wort suggeriert, aktiver Staatsstreich der Nationalsozialisten, womit all die, die ihre Finger im Spiel hatten, leicht weißgewaschen werden konnten.

Im Gegenteil: die Ereignisse bewegten sich im Rahmen der vorherigen Regierungsbildungen; es gab die Verteiler der Herrschaft und einen Empfänger. Schuldig waren die, die an den Schalthebeln der Macht ihr antidemokratisches Süppchen kochten. Es war die bereitwillige Auslieferung der Macht an einen, der dieses verhasste System der „Novemberbrecher“ beseitigen wollte und auf eine Diktatur zusteuerte. Diese sollte er in unvorstellbarer Skrupellosigkeit und Brutalität bald errichten.

Für viele Nationalsozialisten wie dem späteren Volksgerichtshofpräsidenten Roland Freisler, dem obersten Henker der Diktatur, ging die „tausendjährige Sehnsucht der deutschen Jugend“ in Erfüllung. Die Machtübernahme wurde von den neuen Machthabern mit Fackelzügen gefeiert, von der Arbeiterbewegung mit Protestversammlungen unter der Parole „Nieder mit Hitler“ quittiert, wo die meisten Redner mahnten, sich nicht provozieren zu lassen und Disziplin zu üben. Dabei mochte der ein oder andere auch kampfbereit sein, um den Angriff auf die Republik abzuwehren. Doch die organisierte Arbeiterbewegung konnte den Zug der NSDAP zur totalen Macht nicht mehr aufhalten. In Etappen wurde das Reich im Sinne der neuen Herren „gleichgeschaltet“, erfolgte die sukzessive Demontage der Demokratie. Woran lag es? Damit einher geht die Frage: Kann sich so etwas aktuell wiederholen?

Weimar kam nach langem Siechtum zu Tode

Weimar wurde Opfer einer zu allem entschlossenen antirepublikanischen Kampfbewegung, denen jene die Verfassung missbrauchende antidemokratischen Kräfte in die Hände spielten. Das von den Nationalsozialisten im populistischen Crescendo geforderte Todesurteil fällte eine allzu bereitwillige antidemokratische Machtelite. Die Exekution fand in Anwesenheit einer Vielzahl von ganz unterschiedlichen Schaulustigen statt: Unwissende Claqueure standen neben anfeuernden Antirepublikanern. Es gab auch die, die von Abscheu beseelt waren, die aber den Überlebenskampf der Republik mit Untätigkeit bis hin zum völligen Gesichtsverlust beiwohnten. Sie versagten – aus Lethargie, Furcht oder Anpassungsdruck.

Weimar kam nach langem Siechtum zu Tode. Zuvor war der auf dem Krankenbett liegenden Republik keine bzw. – bewusst oder unbewusst – die falsche Hilfe zu Teil geworden. Demokratische Mittel wurden ihr nicht verabreicht. Viele machten sich der unterlassenen Hilfeleistung, andere der fahrlässigen Tötung schuldig.

Es stellte sich als Verhängnis heraus, dass in dem Moment, als die Demokratie unter wirtschaftlichen Druck geriet, der die Desintegration förderte, und die inneren Feinde mit populistischem Halali zum Angriff bliesen, die Republikaner bereits aus den Schaltzentralen der Macht verbannt und ihre Kräfte im permanenten Abwehrkampf erlahmt waren.

Geschichte wiederholt sich nicht

Und heute? Von einem Ermüdungszustand der freiheitlichen Demokratie sind wir weit entfernt trotz aller Krisen und trotz populistischer Querdenker. Daran ändern auch die Krakeeler nichts, die die Demokraten niederzubrüllen versuchen, und auch nicht das Häuflein der Militanten, die Waffen horten und Machtergreifungsszenarien durchspielen. Trotz dieser bedenklichen Ausfallerscheinungen: Das Regierungssystem funktioniert, es gibt einen breiten demokratischen Konsens über Parteien und Milieus hinweg, getragen, so zeigt die jüngste Vergangenheit, vom entschiedenen Willen, den Gegnern mit den Mitteln des Rechtsstaates zu begegnen.

All dies fehlte in Weimar, so dass es für die Antirepublikaner nahezu ein leichtes Spiel war, die Demokratie aus den Angeln zu heben und Hitler in das Amt zu hieven. Von daher verbieten sich Vergleiche mit heute – Geschichte wiederholt sich nicht, aber ein Blick zurück schärft die Sinne für Gefahren und förderte die Bereitschaft zum entschlossenen Handeln. Wehrhafte Demokratie ist das Stichwort.

Kolumne des SPD-Geschichtsforums

Unter dem Titel „Im Rückspiegel“ beleuchten wechselnde Autor*innen des Geschichtsforums historische Ereignisse, die für die SPD bedeutend sind. Im Rückspiegel eines Autos sieht man bekanntlich nach hinten, aber wenn man ihn etwas kippt bzw. dreht, sieht man sich selbst. Um Vergangenheit und Gegenwart soll es in der Kolumne gehen.

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Kommentare

Kann sich die „Machtergreifung“ wiederholen?

Leider ja, wenn man erfährt, wie die Rechten agieren. Dies ist sowohl in Deutschland wie auch in Nachbarländern - siehe die FPÖ-Erfolge in Niederösterreich - , oder Frankreich, Schweden oder Italien feststellbar.

Und dieser Trend bestärkt jeweils die Rechten in den anderen Ländern. Eine Machtergreifung bei uns würde zwar anders ablaufen als vor 90 Jahren, weil wir eine andere Verfassung ohne Präsidialmacht haben, aber die Radikalität der Rechtsextremen, ob AfD, Reichsbürger, Falschdenker u.a. nimmt ständig zu.

Leider konzentriert sich dabei die Haltung vieler Politiker, insbesondere der "C"-Parteien auf die Klimaaktivisten statt auf die rechten Gewalttäter; und die Justiz ist teilweise, wie während der Weimarer Republik, auf dem rechten Auge blind.

Deshalb kann man nur die Worte des Juristen Otto Gritschneder (1914-2005) wiederholen: "Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf!" Und Gritschneder war ein konservativer Demokrat.

was schlagen Sie konkret vor? Wahlen neu organisieren, so dass

nur noch genehme Ergebnisse gezeitigt werden. Kann man machen, hats einige Jahrzehnte gut funktioniert, in der DDR. In der VR China ist das eine noch länger andauernde Erfolgsgeschichte, um ein weiteres Beispiel zu geben.

man kann die Legislatur verlängern, das würde das Risiko nicht genehmer Ergebnisse mindern- Wahlen dann so durchführen, wie die gemessene Wählergunst dies nahelegt- Politbarometer, Infratest usw.

Ansonsten muss man dahin schauen, wo Nichtrechte gewinnen. Dänemark wäre ein Beispiel, aber es gibt sicher noch weitere. Ich weiß ja nicht, wie es kommen konnte, aber der Verdacht, in DK seien die Wahlen manipuliert und das gute Ergebnis allein deshalb zustande gekommen, ist nicht behauptet worden. Skandinavien ist ja ohnedies korruptionsfrei

was schlagen Sie konkret vor?

Natürlich ist es für einen Normalbürger einfach, Vorschläge zu machen, ohne dass diese überhaupt wahrgenommen werden.

Zunächst ist es wichtig, bestimmten Parolen, wie sie von gewissen Leuten von rechts bis hin zu den Ampel-Parteien ertönen, nicht nachzurennen; ebenso sollte man nicht auf alle Schlagzeilen der Medien, die zurzeit überwiegend von Kriegsgetümmel überwiegen, achten.

Vor allem aber müssen Fehler, wie sie in der Weimarer Zeit, z.B. durch die Brüning'chen Sparmaßnahmen, praktiziert wurden, und die den Rechten Zulauf verschafften, vermieden werden. Natürlich ist dies derzeit angesichts des Ukraine-Krieges schwierig. Deshalb sollte der besonnene Kurs von Olaf Scholz unterstützt und nicht auf alle Forderungen nach Kampfjets bis hin zu Atomwaffen eingegangen werden.

was schlagen Sie konkret vor?

Natürlich ist es für einen Normalbürger einfach, Vorschläge zu machen, ohne dass diese überhaupt wahrgenommen werden.

Zunächst ist es wichtig, bestimmten Parolen, wie sie von gewissen Leuten von rechts bis hin zu den Ampel-Parteien ertönen, nicht nachzurennen; ebenso sollte man nicht auf alle Schlagzeilen der Medien, die zurzeit überwiegend von Kriegsgetümmel überwiegen, achten.

Vor allem aber müssen Fehler, wie sie in der Weimarer Zeit, z.B. durch die Brüning'chen Sparmaßnahmen, praktiziert wurden, und die den Rechten Zulauf verschafften, vermieden werden. Natürlich ist dies derzeit angesichts des Ukraine-Krieges schwierig. Deshalb sollte der besonnene Kurs von Olaf Scholz unterstützt und nicht auf alle Forderungen nach Kampfjets bis hin zu Atomwaffen eingegangen werden.

Zu Peter Boettel

Sehr guter Kommentar!

Danke

Danke Helmut,
alles Gute und Grüße an den Rhein.
Peter

Die Machtübertragung an die NSDAP

fand mittels verschiedener Faktoren statt.

Die NSDAP wurde aus Kreisen von Banken, Industrie, Grossgrundbesitz, Medien (Hugenberg), Adel und Offizieren gefördert.

Dazu kam als wichtigster Unterstützer ein grosses Kleinbürgertum [Angestellte, Beamte, Handwerker, Ladenbesitzer, Volksschullehrer …] sowie eine kleinbürgerlich geprägte Arbeiterschaft.

Eine schwache Verfassung mit starker Stellung des Reichspräsidenten und dessen Notverordnungsvollmachten für Präsidialkabinette ebneten der NSDAP den Weg an die Macht, nachdem zuvor SPD-Reichstagsabgeordnete die Regierung Müller II zur Auflösung brachten.

Das Grossbürgertum hingegen fürchtete aufgrund der Verhältnisse, die zur Gründung der UdSSR führten, eine kommunistische Herrschaft mehr als die NSDAP und man glaubte, dass man letztere unter Kontrolle halten könne.

Nach der Machtübertragung fand dann die umfassende Machtergreifung durch die NSDAP, deren Unterstützer, Förderer und Nutzniesser sowie infolgedessen die totale diktatorische Machtausübung dieser Kreise mit nahezu vollständiger Zerschlagung jeglichen Widerstands statt.

Die Gewaltenteilung bedarf deshalb starker - wenn nötig - korrigierender Bürgerrechte.

ja, auch die ständigen, offen und bewaffnet ausgetragenen

Auseinandersetzungen vieler Parteien, viele Tote bei allen Farben, einher gehend mit dem sich verfestigten Eindruck, die sich auftuenden Probleme nicht in den Griff zu bekommen- haben sicher eine Rolle gespielt. Ein gefühltes Staatsversagen nach einem chaotischen Anfang , gefolgt von Paar besseren Jahren, danach zurück auf Start- und dann die Erinnerung an die (vergleichsweise, tatsächlich auch gar nicht so) gute alte Zeit- das muss auch berücksichtigt werden. Staatsversagen, um es zuzuspitzen- kann sich kein Staat erlauben, alles so laufen lassen usw. da braucht es dann nur eines sich so gerierenden Heilsbringers- und ab geht die Post. dass der Weihnachtsmann dann als Gasmann sich entpuppte, wer hätte das ahnen können/sollen. Man muss bei Zeiten aufpassen, dass den Staat der genannte Vorwurf nicht treffen kann

Zu Elias Hallmoser

Auch hier zutreffender Kommentar.

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