Aus dem Archiv

Wie der „Vorwärts“ auf die „Machtergreifung“ der Nazis reagierte

Kai Doering30. Januar 2023
Vorwärts-Titelseite am 30. Januar 1933: Kabinett des Großkapitals
Vorwärts-Titelseite am 30. Januar 1933: Kabinett des Großkapitals
Am 30. Januar 1933 wird Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt. Der Grundstein für die Herrschaft der Nazis ist gelegt. Der „Vorwärts“ zeigt sich an diesem und den folgenden Tagen fast prophetisch, liegt am Ende aber doch falsch.

„,Feine Leute‘ und drei Nazis“ lautet die Titelzeile der Abendausgabe des „Vorwärts“ am 30. Januar 1933. An diesem Tag hat Reichspräsident Paul von Hindenburg den Vorsitzenden der NSDAP, Adolf Hitler, zum Reichskanzler ernannt. In der Rückschau ist dies, von den Nazis als „Machtergreifung“ gefeiert, das Ende der Weimarer Republik.

Ein scharfer Kampf, aber nicht mit Waffen

Der „Vorwärts“ scheint das am 30. Januar bereits zu ahnen. Es habe „ein geschichtlicher Kampf um das Schicksal des deutschen Volkes begonnenen“, analysiert die Redaktion die Lage. „Sieg oder Untergang hängt von der Bereitschaft und der Geschlossenheit des arbeitenden Volkes in diesem, vielleicht für Jahrzehnte entscheidenden Augenblick ab.“

Gleichzeitig stellt die Redaktion jedoch klar, wie dieser Kampf zu verstehen sei, nicht mit Waffen, sondern mit politischen Mitteln. Die SPD stelle sich „mit beiden Füßen auf den Boden der Verfassung und der Gesetzlichkeit“, betont der Autor. Die Partei werde „durch Ausnutzung aller verfassungsmäßigen und gesetzlichen Mittel den allerschärften Kampf um die Regierung führen“.

Eine falsche Prognose

Hellsichtig fällt auch die Beschreibung des Kabinetts aus, zu dem neben Hitler mit Hermann Göring und Wilhelm Frick nur drei Mitglieder der NSDAP angehörten. Das neue Kabinett, zu dem vor allem parteilose Adlige und Mitglieder der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) zählen, beschreibt der „Vorwärts“ als „eine Verbindung von feudaler, großkapitalistischer und faschistischer Reaktion“. „Die Mächte des Großkapitals werden in dieser Regierung ausschlaggebend sein.“ Das freilich erweist sich später als Trugschluss, da Hitler seine neue Macht nutzt, um diese Kräfte an die Wand zu drücken.

So liegen die Vorwärts-Redakteure auch mit ihrer Prognose am Folgetag daneben. „Jetzt jubeln noch die Anhänger Hitlers darüber, weil ihr Führer scheinbar sein Ziel erreicht hat“, heißt es am 31. Januar auf der Titelseite der Abendausgabe. „Es kann sein, daß dieser Jubel bald in Katzenjammer umschlagen wird, wenn die Nationalsozialistische Gefolgschaft erst deutlich ersieht, in welche enge Verbindung und Abhängigkeit Hitler zu den Vertretern des Großkapitals und der Junker, zu allen Kräften des alten reaktionären Systems geraten ist.“ Wer zu diesem Zeitpunkt vom wem abhängig ist, merken die genannten Kräfte jedoch auch erst als es für sie schon zu spät ist.

Hitlers Plan geht nicht auf

Wohin die Reise gehen könnte, wird der Redaktion schließlich am 1. Februar bewusst. „Hitler will den Landtag auflösen – Auch den Reichstag?“ fragt der „Vorwärts“ auf der Titelseite seiner Abendausgabe noch auf der Grundlage von Gerüchten. Wenig später gibt es Gewissheit: Sowohl der Landtag, der bis zum „Preußenschlag“ eine Bastion der SPD gewesen ist, als auch der Reichstag wird aufgelöst, Neuwahlen werden für den 5. März 1933 anberaumt. Trotz deutlicher Stimmenzuwächse für die NSDAP geht hier Hitlers Plan einer absoluten Mehrheit nicht auf. Um der parlamentarischen Demokratie den Todesstoß zu versetzen, greift er am 23. März zum „Ermächtigungsgesetz“. Der „Vorwärts“ ist da schon verboten.

Die Vorwärts-Ausgaben können als Faksimile beim Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung heruntergeladen werden.

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Kommentare

Die Machtübergabe

Wir sollten auch nicht vergessen daß die SPD in dieser Zeit die jüdischen Mitglieder aus den Parteivorständen entfernte, aber dieser Opportunismus hat auch nichts genutzt. Die ersten Sozialdemokraten saßen schon mit den kommunistischen Genossen zusammen in den KZs oder im Exil, aber beide Parteivorstände konnten sich im Abwehrkampf gegen die Nazis immer noch nicht einigen. Ein fatales Versäumnis !

Quellennachweis

Lieber Armin, an dieser Stelle würde uns die Quelle deiner Behauptung interessieren. Kannst du sie bitte nennen? Danke sehr.

Ihr seid näher an den Quellen

So las ich das in der Autobiographie von Helmut Flieg = Stefan Heym. Das Buch habe ich allerdings ausgeliehen.

Das sollte man bitte mal

Das sollte man bitte mal nachprüfen. Meines Wissens hat dies nur der ADGB gemacht. Jüdische Mitglieder im Parteivorstand konnte es deswegen nicht mehr geben, weil diese fliehen oder untertauchen mussten, wie z. B. der Rudolf Hilferding. Diese standen auf der Abschussliste der Nazis ganz weit oben. Und warum es nicht zu einem gemeinsamen Abwehrkampf mit der KPD gekommen ist, dass dürfte jedem klar sein, der sich mit damaligen Ereignisse genau beschäftigt hat. M. E. hätte auch dies nichts genützt. Nur ein gemeinsames, entschlossenes Eintreten aller demokratischen Kräfte hätte damals Hitler verhindern können.

Das Grosskapital wurde nicht an die Wand gedrückt.

Die Zusammensetzung der Präsidialkabinette des NS-Regimes änderte sich zwar, doch das Grosskapital profitierte nun mal von der NS-Herrschaft.

Die NS-Herrschaft war nicht nur aber eben auch geprägt von „einer Verbindung von feudaler, grosskapitalistischer und faschistischer Reaktion“.

Diese Einsicht war zur damaligen Zeit eine richtige und wichtige Erkenntnis.

nicht das Großkapital profitierte wegen der Herrschaft de

r Nazis, oder präziser, wegen der (ohnehin bereits) wieder anlaufenden Wirtschaft, die dann aus den bekannten Gründen noch weiteren Anschub erhielt, aber auch ohne die Nazis auf dem Weg der Besserung war. Es profitierten- und das ist mE entscheidender- die (Klein-)Bauern, denen die Schulden gestrichen wurden, häufig zu Lasten des Mittelstands, also kleiner Krämer oder Handwerker, deren Rechnungen nun nicht mehr bezahlt werden mussten. Dies erreichte in der Masse sehr viele Menschen, und dies sehr viel schneller, als es durch die Rüstungsindustrie hätte geschehen können, denn mit der Wiedereinführung der Wehrpflicht hat es ja dann doch noch ein paar Jahre gedauert. Ich schlage auch gerne auf den groben Klotz- also das Großkapital- aber hier trifft dies nicht präzise genug, denn hier galten andere Prioritäten, jedenfalls vor 100 Jahren, wenn man es genau nimmt . In drei Jahren können wir dann noch mal neu ansetzen, dann passt es auch mit dem Großkapital .

Großkapital

Das ist sicher richtig, allerdings wurden die Vertreter des Kapitals in der Regierung (von Papen, Hugenberg) von den Nazis schnell kaltgestellt.