Im Rückspiegel

Wie Hate Speech zur Zerstörung der Weimarer Demokratie beitrug

Silke Fehlemann31. August 2023
Fanatischer Hetzer ohnegleichen: Robert Ley, Leiter des Westdeutschen Beobachters (m.)
Fanatischer Hetzer ohnegleichen: Robert Ley, Leiter des Westdeutschen Beobachters (m.)
Angriffe auf Politiker*innen nehmen zu. Hetz-Kampagnen in (sozialen) Medien bereiten dafür den Boden. All das sind keine neuen Erscheinungen. Der Blick in die Weimarer Republik zeigt, wie Demokratien von innen zersetzt werden können.

Auf welche Weise Hass und Hetze demokratische Gesellschaften zerstören können, zeigen die jüngsten Zahlen zu Angriffen auf Politikerinnen und Politiker, die sich im Vergleich zu 2022 fast verdoppelt haben. Inzwischen schrecken viele potenziell interessierte Menschen vor der Übernahme kommunalpolitischer Ämter zurück oder treten ab, weil sie sich und ihre Familie nicht der Hassrede und der Bedrohung aussetzen wollen – das zeigen mehrere aktuelle Umfragen und Studien. Gemeinhin gilt dabei das Internet, insbesondere die sozialen Medien wie X (vormals Twitter), Facebook und Co., als eine der Hauptursache für den sprunghaften Anstieg bei Fällen von Hassrede im politischen Raum.

Die Demontage eines Bürgermeisters

Doch schon in der Weimarer Republik spielte mediale Hetze auch auf der kommunalen Ebene eine nicht zu unterschätzende Rolle für den Aufstieg des Nationalsozialismus. Entscheidend war dabei der Wille zur kalkulierten Lüge, deren Konsequenzen über harmlose verbale Verletzungen oft weit hinaus gingen: Dass Hass und Hetze körperlich und psychisch krank machen konnten, wissen wir aus zahlreichen Biographien von Politiker*innen der Weimarer Zeit.

So wurde etwa Josef Hammes, der in der Zentrumspartei aktive Bürgermeister des kleinen oberbergischen Städtchens Morsbach, seit September 1929 vermehrt in der NS-Zeitung Oberbergischer Bote attackiert. Dahinter steckte Robert Ley, seit 1930 NSDAP-Reichstagsabgeordneter und Leiter des Westdeutschen Beobachters, des übergeordneten Dachorgans. Ley, der spätere Leiter der „Deutschen Arbeitsfront“ galt schon Ende der zwanziger Jahre als fanatischer Hetzer ohnegleichen. Bei Wahlen im katholisch geprägten Morsbach schnitten die Nationalsozialisten Ende der zwanziger Jahre ausgesprochen schlecht ab, während sich das Zentrum weiter behaupten konnte. Von einer öffentlichen Diskreditierung und Demontage des Bürgermeisters versprach sich die NSDAP eine Schwächung des politischen Katholizismus, und so nahm der Oberbergische Bote gezielt Joseph Hammes ins Visier: Der angeblich „unfähigste Bürgermeister des Deutschen Reiches“ wurde der Korruption und des Amtsmissbrauchs bezichtigt, wobei es sich sämtlich um unwahre Behauptungen handelte.

Die Kampagne gegen Hammes zog sich über mehrere Jahre. Dennoch ließ er sich bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten nicht einschüchtern: Er riss öffentlich Hitlerbilder herunter, boykottierte NS-freundliche Geschäfte und kritisierte die Ideologie des Nationalsozialismus, wo immer er konnte. Zwar zog er mit Erfolg gegen die Autoren der verleumderischen Artikel vor Gericht – die verantwortlichen Redakteure wurden wegen schwerer Beleidigung verurteilt –, aber während des zwei Jahre dauernden Verfahrens rissen die öffentlichen Verunglimpfungen seiner Person nicht ab. Unter dem Eindruck dieser permanenten Belastung und Bedrohung wurde Hammes krank und musste einen mehrwöchigen Kuraufenthalt antreten. Daraufhin behauptete die NS-Presse, der Bürgermeister sei wegen unlauterer Amtsführung suspendiert worden. Nach der „Machtergreifung“ Ende Januar 1933 gehörte Hammes zu den ersten Morsbachern, deren Haus von SA-Männern überfallen wurde. Erst als er einen lebensbedrohlichen Herzanfall erlitt, ließen die Angreifer von ihm ab.

Die rechtskonservative Presse ebnete den Weg

Josef Hammes war alles andere als ein Einzelfall. Die NSDAP hatte sehr genau beobachtet, wie sozialdemokratische Bürgermeister in den ersten Jahren der Weimarer Republik von der rechtskonservativen Presse aus dem Amt gehetzt worden waren, unter ihnen etwa Philipp Scheidemann in Kassel oder Robert Leinert in Hannover. In den späten zwanziger Jahren übernahm die expandierende NS-Presse diese Strategie und radikalisierte sie. Ins Visier gerieten Politiker*innen verschiedener demokratischer Parteien, denen man vorzugsweise Korruption, „feiges“ Verhalten im Ersten Weltkrieg, die Verschwendung öffentlicher Gelder oder die Vernachlässigung ihrer Dienstgeschäfte unterstellte. Fast immer waren diese verhetzenden Lügen vollständig aus der Luft gegriffen. Hitler selbst hatte früh darauf aufmerksam gemacht, dass die Lüge nur groß genug sein müsse – dann werde schon etwas davon „hängenbleiben“. Initiiert und angeführt wurden diese Kampagnen seit Ende der 1920er Jahre von NSDAP-Abgeordneten des Reichstags und der Landtage, denn deren Abgeordnetenimmunität schützte sie ein Stück weit vor einer möglichen Strafverfolgung.

Antisemitische und antidemokratische Hetze waren dabei stets eng miteinander verflochten. Neben Lokalpolitiker*innen waren auch bekennend demokratische Polizeipräsidenten und bekannte jüdische Kaufleute, Anwälte oder Ärzte von den Hetzkampagnen der Nationalsozialisten betroffen. Den nicht-jüdischen Politiker*innen wurde Kontakt oder Handel mit Juden oftmals in herabsetzender Weise vorgeworfen. Die meist niedrige Auflage der frühen NS-Presseerzeugnisse auf lokaler und regionaler Ebene war dabei nicht so entscheidend, denn die Hetzartikel wurden in Schaufensterscheiben ausgehängt oder öffentlich verteilt und wirkten auf diese Weise über den alltäglichen „Klatsch und Tratsch“ tief in die Gemeinden hinein. Im Rückblick offenbart sich auch eine Kontinuitätslinie, die von den jahrelangen Diffamierungskampagnen der Weimarer Zeit bis zur physischen Gewalt der NS-Zeit reichte: Viele der schon vor 1933 Betroffenen zählten nach der Machtübernahme der NSDAP zu den ersten Opfern von Terror und Verfolgung. Sie wurden misshandelt, in Konzentrationslager eingewiesen oder sogar in den Selbstmord getrieben.

Der berechnende Einsatz der Medien und die kalkulierte Verleumdung von Demokrat*innen sind Strategien, die uns heute nur allzu bekannt erscheinen. Die historische Perspektive kann uns daran erinnern, den Schutz der Demokratie und derjenigen, die sie repräsentieren, sehr ernst zu nehmen und aktiv zu unterstützen.

Im Rückspiegel – Die Kolumne des SPD-Geschichtsforums

Unter dem Titel „Im Rückspiegel“ werden wechselnde Autor*innen des SPD-Geschichtsfourms künftig historische Ereignisse, die für die SPD bedeutend sind, beleuchten. Im Rückspiegel eines Autos sieht man bekanntlich nach hinten, aber wenn man ihn etwas kippt bzw. dreht, sieht man sich selbst. Um Vergangenheit und Gegenwart soll es in der Kolumne gehen.

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Kommentare

Es gibt keine "Repräsentanten" der Demokratie

Denn Funktionsträger staatlicher Gewalt [Regierungen, Parlamente, Gerichte] sind eben genau das: Funktionsträger staatlicher Gewalt.

Wer sich gegen berechnende Akteure und Medien sowie gegen die kalkulierte Verleumdung von Funktionsträgern staatlicher Gewalt wendet, muss das ausnahmslos in alle politische Richtungen tun, sonst ist er unglaubwürdig.

Für alles andere gibt es einen noch funktionierenden Rechtsstaat, dem durch allerlei "Beauftragte" eine Aushöhlung droht.