Kampf um die Demokratie

Umfragehoch der AfD: Wir müssen die Auseinandersetzung offensiv führen

Christian Wolff27. Juni 2023
Bürger*innen wählen die AfD, weil sie deren rechtsextreme Programmatik teilen oder zumindest billigend in Kauf nehmen. Wir müssen deshalb deutlich machen, was es für unsere Gesellschaft bedeutet, sollte die AfD tatsächlich Macht bekommen.

In einem Beitrag in der Leipziger Volkszeitung (LVZ) bemerkt eine der profundesten Kenner*innen der rechtsextremistischen Szene in Ostdeutschland unter den Journalist*innen, Antonie Rietzschel, woraus sich die AfD speist: „Angst, Verunsicherung, Wut, Selbstermächtigung. Die AfD ist eine Partei, die in Krisenzeiten profitiert, weil sie schlichte Lösungen präsentiert, einfach nur dagegen sein will und ihren Anhängern ein gutes Gefühl gibt. Denn wer AfD wählt, hat Macht. Der kann es denen da oben zeigen.“ Diese Analyse ist sicher richtig. Nur kommt noch eines dazu.

Diejenigen, die bereit sind, AfD zu wählen, tun dies auch, weil sie die „schlichten“ Lösungen akzeptieren – und das sind zumeist Lösungsangebote, die im Widerspruch stehen zu den demokratischen Grundwerten: keine Geflüchteten mehr ins Land lassen, die EU zerschlagen, eine kulturell homogene Volksgemeinschaft schaffen, in der für Diversität kein Platz ist. Bürger*innen wählen die AfD, weil sie deren rechtsextreme Programmatik teilen oder diese billigend in Kauf nehmen.

Dieser Aspekt fehlt in den meisten Analysen des derzeitigen Höhenflugs der Rechtsnationalisten von der AfD. Aber erst, wenn wir den:die Wähler*in der AfD in den Fokus nehmen, können wir die Gefahr für die Demokratie ermessen, die von der AfD und ihren Wähler*innen ausgeht. Erst dann können wir auch das merkwürdige Argument entkräften: Die AfD sei doch eine demokratisch gewählte Partei und darum zu akzeptieren. Vor allem aber vermögen wir die Parallelen zum aufstrebenden Nationalsozialismus vor 100 Jahren zu erkennen.

Ein Strickmuster, das schon die Nationalsozialisten beherrschten

Was folgt daraus? Das Wichtigste ist nach wie vor: die AfD keinen Moment zu verharmlosen geschweige denn, sich ihrer Rhetorik zu bedienen. Jede*r, ob ein Hubert Aiwanger (Freie Wähler) oder ein Dirk Oschmann, muss sich (selbst-)kritisch fragen und fragen lassen: Bediene ich mit dem, was ich in Reden äußere oder niederschreibe, die Narrative der Rechtsnationalisten oder leiste ich einen Beitrag zum demokratischen Selbstbewusstsein des:der Bürger*in? Bestärke ich den Bürger in seiner Rolle als „Opfer“ von geld- und geltungssüchtigen, aber ansonsten unfähigen Politiker*innen, die verjagt gehören, oder zeige ich ihm seine eigenen Einflussmöglichkeiten auf?

Am Donnerstag, 22.Juni 2023, hat die Co-Parteivorsitzende der AfD Alice Weidel im Deutschen Bundestag in schonungsloser Offenheit die Ziele der AfD dargelegt: Ausländer*innen aus Deutschland heraushalten, die bisherige Energiepolitik fortsetzen (Kohle, Atom, Gas) und eine Wirtschaftspolitik befördern, von der vor allem die Reichen profitieren. Damit folgt sie genau das Strickmuster, das schon die Nationalsozialist*innen beherrschten: Man will zuerst und vor allem all die Menschen aus dem Weg räumen, die die Homogenität der deutschen Gesellschaft stören. Gleichzeitig werden die besitzenden Schichten der Gesellschaft reichlich bedient auf Kosten der Menschen, deren Angst, Verunsicherung, Wut man sich zunutze macht. Die Geschichte lehrt: Diese Menschen werden die Zeche dafür bezahlen müssen, was sie sich mit der Wahl einer Partei wie die AfD zum Teil selbst eingebrockt haben. Insofern muss sich jede*r AfD-Wähler*in fragen lassen, ob er zu den Kälbern gehören möchte, die sich ihre Metzger selbst wählen.

Herausforderungen für Zivilgesellschaft und demokratische Parteien

Wer nun meint, das sei alles überzogen, der lese im Wortlaut, was Alice Weidel im Bundestag von sich gegeben hat:

Diese Regierung lässt die einheimische Bevölkerung mit dieser perversen importierten Kriminalitätsbelastung eiskalt im Stich: ein Vollversagen dieser Regierung und der Vorgängerregierung, CDU-geführt im Übrigen. … Abschied vom grünen Narrenschiff und dem Weltrettungsgrößenwahn, stattdessen Energiewende beerdigen, Energieversorgung sichern, Wiedereinstieg in die Kernkraft, Grenzen schließen, Sozialmigration verhindern, Ausreisepflichtige und Straftäter – ja, natürlich – endlich abschieben, Steuern senken, Bürokratie abbauen, Staatsausgaben beschränken, Scheckbuchpolitik beenden, unqualifizierte Regierungsbeamte rauswerfen, den Standort Deutschland stärken, anstatt vorsätzlich zu schwächen – zurück zur Normalität!

Die Herausforderungen, vor denen die Zivilgesellschaft und die demokratischen Parteien stehen, sind deutlich. Denn eine Rückkehr zur „Normalität“ würde nichts anderes bedeuten, als Deutschland durch eine nationalistische Politik von allen freiheitlichen und demokratischen Entwicklungen im Innern und nach außen abzuschneiden, von Kriegstreibern abhängig zu machen bzw. selbst zum Kriegstreiber zu werden. Wehe also, wenn Rechtsnationalist*innen jemals (wieder) einen Zugriff auf die Institutionen erhalten, die Freiheit, Vielfalt, Menschenwürde gewährleisten sollen. Wehe aber auch, wenn diese Institutionen sich schon jetzt so ein- und ausrichten, als sei der Nationalismus unvermeidlich.

Problemlösung durch Problemvernichtung

Gleichzeitig ist es Aufgabe der demokratischen Parteien, den Bürger*innen glaubwürdig zu vermitteln: Verbesserung ihrer sozialen Situation und die Bewältigung von Krisen wie dem Klimawandel setzen voraus, dass alle Bürger*innen an den Lösungen beteiligt sind. Ohne freiheitliche Demokratie, ohne gesellschaftliche Vielfalt, ohne zivilgesellschaftliches Engagement, ohne gesellschaftliche Vielfalt, ohne gewerkschaftliche Orientierung und innerbetriebliche Demokratie, ohne demokratische Strukturen in den Bildungseinrichtungen, ohne aktive Inanspruchnahme aller, die an einem Ort wohnen, leben, arbeiten, trocknet Demokratie nicht nur aus, es wird auch keine gerechte Teilhabe an Bildung, Arbeit, Einkommen, Wohnen geben. Das aber ist etwas völlig anderes, als das eigene Interesse zum Volkswillen zu erklären und die eigene Wut und Enttäuschung über Entwicklungen zum Volkszorn gegen zumeist schwächere Minderheiten mutieren zu lassen. Doch genau darauf zielen alle Aktivitäten der Rechtsnationalist*innen.

Es wird darauf ankommen, dass wir in den nächsten Monaten die Auseinandersetzung mit denen offensiv führen, die auf autokratische Regierungsformen drängen, nationalistische Engführungen propagieren und auf die Strategie setzen: Problemlösung durch Problemvernichtung.

Der Text erschien zuerst im Blog des Autors.

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Kommentare

Schwäche auch der SPD

Wenn es irgendwelche Parallelen der AfD zur NS-Bewegung geben sollte, dann die, dass damals sowohl Sozialdemokraten/Sozialisten und Kommunisten als auch Liberale und Konservative vollständig versagten, was der NSDAP nutzte.

Die SPD müsste sich also um die eigenen Angelegenheiten kümmern, hat sie doch in den vergangenen zweieinhalb Jahrzehnten fast die Hälfte ihrer Mitglieder verloren.

Was Bürger bewegt, AfD zu wählen, könnte man allenfalls durch eine solide sozialwissenschaftliche Untersuchung herausfinden, denn Wahlen in Deutschland sind allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim.

Guckte die SPD mal in ihre Archive, fände sie bspw. die Regierungserklärung von Willy Brandt vom 18.1.1973, in der er bezüglich ausländischer Kontraktarbeiter u.a. sagte: »Es ist notwendig geworden, dass wir sehr sorgsam überlegen, wo die Aufnahmefähigkeit unserer Gesellschaft erschöpft ist und wo soziale Vernunft und Verantwortung Halt gebieten.«

Diese soziale Vernunft und Verantwortung gegenüber den einheimischen Deutschen ist der SPD wohl verlorengegen.

Die Regierung Brandt stoppte Ende 1973 übrigens die Anwerbung von Nicht-EWG-Kontraktarbeitern, nicht aber den Familiennachzug.

ja, eine Äußerung, wie die hier zitiert vom großen Willy Brandt

würde man heute als "rechts" diffamieren, denn wir sind dazu übergegangen, Probleme nicht mehr beim namen zu nennen. Ein weiterer Heroe der SPD hat sich ähnlich geäußert und würde heute auch den sozialen Tod sterben müssen, mit der Meinung - (oder war es bereits eine Erkenntnis?), die er 2011 zum besten gab. Ich darf verweisen

https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/multikulturalismus-debatte-al...

Dabei verwässert der Verweis auf den Sammelbegriff "Gastarbeiter" die noch näher eingrenzbare Problematik, der- wenn man den Text insgesamt liesst, dann aber doch mit ausreichender Präzision darlegt, wo schon damals die Probleme lagen. Offensichtlich war schon 2011 - selbst beim Altkanzler- eine gewisse Besorgnis vorhanden, ob das, was gesagt werden muss, auch gesagt werden darf.