Blutspendeverbot

Lauterbachs Plan: Warum auch schwule Männer Blut spenden dürfen

Sebastian Thomas13. Januar 2023
Eine Blutspende soll, so die Pläne von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, nicht von sexueller Orientierung, sondern vom individuellem Risikoverhalten abhängen.
Homosexuelle Männer dürfen nur eingeschränkt Blut spenden. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach sieht diese Regelung kritisch und will sie abschaffen. Dafür haben queere Aktivist*innen lange gekämpft.

Anfang der 80er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts tritt ein tödliches Virus auf, was zunächst scheinbar vor allem junge, homosexuelle Männer betrifft: HIV beziehungsweise Aids. Bald jedoch verbreitet sich die Krankheit weltweit und befällt auch heterosexuelle Männer wie Frauen. Bis heute gibt es noch keinen Impfstoff, doch die Krankheit ist durch medikamentöse Behandlung zumindest beherrschbar geworden.

Ein Überbleibsel aus dieser Zeit ist ein Blutspendeverbot für homosexuelle Männer. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach empfindet die Regelung als diskriminierend und möchte sie beenden. Einen entsprechenden Änderungsantrag zum Transfusiongesetz hat er bereits vorgelegt.

Diskriminierung ist grundsätzlich falsch

Auf Twitter schreibt er: „Die Diskriminierung von Männern, die Sex mit Männern haben, muss auch bei der Blutspende endlich aufhören.“ Man habe viel zu wenige Blutspender*innen, Blut sei knapp und rette Leben – daher: „Diskriminierung ist grundsätzlich falsch.“ Und mehr noch: „Ob jemand Blutspender*in werden kann, ist eine Frage der Risikofaktoren, nicht von sexueller Orientierung.“ Der Bundesgesundheitsminister stellt sich auch bei diesem Thema klar gegen eine versteckte Diskriminierung. In Richtung der Bundesärztekammer, sagt er: Sie „muss in ihren Richtlinien endlich nachvollziehen, was im gesellschaftlichen Leben längst Konsens ist“.

Während schwule Männer, laut der aktuellen Regelung der Bundesärztekammer, nur dann Blut spenden dürfen, wenn sie innerhalb der vergangenen vier Monate keinen Geschlechtsverkehr mit „einem neuen oder mehr als einem Sexualpartner“ hatten, gilt für alle anderen Spender*innen diese Richtlinie nur, wenn sie in den zurückliegenden vier Monaten "häufig die Sexualpartnerin beziehungsweise den Sexualpartner" gewechselt haben. Das war nicht immer so: Die Sperrzeit lag einst bei zwölf Monaten. Erst mit einer Änderung im Jahr 2021 verringerte sich die Frist auf vier Monate.

Guter Tag für queere Community

Einen guten Tag für die queere Community, nennt SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert den Vorstoß des Bundesgesundheitsministers. Seit Jahrzehnten werde im Bereich der Blutspende gegen Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung angekämpft. Dabei verweist er auf den Koalitionsvertrag: Die SPD-geführte Ampel-Regierung „ist mit dem Versprechen angetreten, diese massive Ungerechtigkeit zu beseitigen“. Das löse Karl Lauterbach nun ein. Ein Versprechen, so Kevin Kühnert, zu dem seine Vorgänger nicht in der Lage waren.

Im Übrigen sei diese Entscheidung nicht nur gerecht, sondern gleichermaßen medizinisch geboten: „Immer wieder wird der dramatische Mangel an Blutkonserven beklagt, während gleichzeitig zugelassen wurde, auf das Blut von Millionen Männern zu verzichten.“ Bis zuletzt hätten Konservative und die Bundesärztekammer mit fadenscheinigen Gründen versucht, die bisherige Praxis vom Vorwurf der Diskriminierung freizusprechen. „Damit ist jetzt Schluss.“ Karl Lauterbach mache das einzig richtige und stelle die Versorgung und Rettung von Menschen über die fadenscheinigen Vorbehalte einiger weniger.

Mit einem Makel aufgewachsen

Ähnlich äußert sich Dagmar Schmidt, stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion: Die sexuelle Orientierung sage nichts darüber aus, ob jemand für eine Blutspende geeignet sei oder nicht. „Schon jetzt werden alle Blutspenden auf HIV und andere übertragbare Krankheiten geprüft, dies gewährleistet auch in Zukunft die höchstmögliche Sicherheit.“ Die Fraktion unterstütze Karl Lauterbach bei diesem Änderungsvorschlag nachdrücklich und werde das im parlamentarischen Verfahren begleiten.

„Ich bin mit dem Makel großgeworden angeblich Teil einer sogenannten Risikogruppe zu sein“, erklärt Alfonso Pantisano, Mitglied im Bundesvorstand des Lesben- und Schwulenverbands und Chef der Berliner SPDqueer – wobei, wie er sagt, die Diskriminierung nicht nur Homosexuelle betreffe: „Richtig ist, dass Männer, die mit anderen Männern Sex haben, also auch bisexuelle Männer und trans* Personen in die genannte Risikogruppe fallen und aktuell nur unter derzeit geltenden lebensfremden Regelungen Blut spenden dürfen“, erklärt der 48-Jährige.

Bundesärztekammer widerspricht

In den 1980er-Jahren sei AIDS ein Todesurteil gewesen und die Tests, die HIV im Blut nachweisen sollten, lange nicht so zuverlässig wie heute. „Mittlerweile sind die Tests extrem zuverlässig und AIDS zwar keine heilbare Krankheit, aber HIV als Virus kontrollierbar.“ Damals wie heute gelte jedoch für ihn: „Das Virus verbreitet sich nicht aufgrund der sexuellen Orientierung. Es gibt faktisch keinen Grund schwule Männer von der Blutspende auszuschließen“, sagt Alfonso Pantisano.

Auf die Vorwürfe angesprochen, antwortet Mark Berger, stellvertretender Pressesprecher der Bundesärztekammer: Man prüfe die Richtlinie zur Blutspende auf Grundlage der aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen und epidemiologischen Datenlage und das spätestens alle zwei Jahre. Im Februar 2023 werde die Regelung erneut aktualisiert. Damit die Sicherheit der Patient*innen gewährleistet sei, dürften „allein wissenschaftliche Erkenntnisse und Daten Grundlage von Richtlinien in der Medizin sein“, erklärt Mark Berger.

Es war ein weiter Weg

Dabei regele das Transfusionsgesetz, so der stellvertretende Pressesprecher, ganz klar, dass die Bundesärztekammer den ‚allgemein anerkannten Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft und Technik‘ einfließen lässt. Dieser Auftrag sei Teil der differenzierten Verantwortungs- und Aufgabenzuweisung an Bundesoberbehörden, Arbeitskreis Blut und Richtliniengeber.

„Wir warnen deshalb vor Bestrebungen der Politik, die Richtlinienkompetenz von der Bundesärztekammer auf weisungsgebundene Bundesoberbehörden zu verlagern“, erklärt Mark Berger. Die Zulassung zur Blutspende geschehe auf Basis der aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse und wenn politische Entscheidungsträger*innen davon abweichen wollen, „dann stehen sie auch in der unmittelbaren Verantwortung gegenüber den Menschen, wenn diese zu Schaden kommen“.

Ein kräftezehrender Kampf

"Bis zur Entscheidung von Karl Lauterbach war es ein weiter Weg. Wir haben Interviews gegeben, Petitionen eingereicht, Diskussionen geführt und Anträge in die Partei eingebracht“, zählt Alfonso Pantisano die vielen Maßnahmen im Kampf gegen die Blutspende-Richtlinie auf. Einen kleinen Haken habe die Sache für ihn allerdings: „Beim sogenannten ‚Risikoverhalten‘ als Kriterium, ob ich Blut spenden darf oder nicht, ist es entscheidend, wie es in Zukunft genau definiert wird“, erklärt er.

Die Änderung des Transfusionsgesetzes müsse sicherstellen, dass Spender*innen auch nicht versteckt nach sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität unterschieden und damit ausgeschlossen werden. „Nur so lässt sich die Sicherheit von Blutkonserven auch ohne Diskriminierung gewährleisten“, erklärt Alfonso Pantisano. „Ich freue mich sehr über die Entscheidung von Karl Lauterbach“, resümiert der Chef der SPDqueer Berlin - doch er gesteht: „Ich werde langsam müde, denn als queerer Mann muss ich der Gesellschaft immer noch erklären, dass alle Menschen gleich sind.“ Das sei unheimlich anstrengend und kräftezehrend.

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