Treffen in Ramstein

Panzer für die Ukraine: Waffen allein werden den Krieg nicht beenden

Christian Wolff20. Januar 2023
Die Rufe nach Kampfpanzern für die Ukraine werden immer lauter. Das ist nachvollziehbar und legitim. Ob der Krieg allein damit beendet werden kann, erscheint aber zunehmend zweifelhaft und gefährlich.

Seit Wochen ist im Blick auf den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine eine merkwürdige Debattenlage entstanden. Politisch und medial wird fast ausschließlich darüber diskutiert, welche Waffensysteme die NATO-Staaten, allen voran Deutschland, als nächstes an die Ukraine liefern sollen/müssen. Ist die eine Waffenlieferung freigegeben, kommt die nächste Forderung – begleitet von einer ziemlich absurden Rhetorik: Der Kanzler gerate „unter Druck“, wenn Frau Strack-Zimmermann oder Herr Hofreiter wieder die Lieferung von Waffen der nächsten Gewichtsklasse fordern und entsprechenden „Druck aufbauen“; der Kanzler müsse „Führung übernehmen“ und seine „zögerliche Haltung“ aufgeben. Inzwischen sind wir beim Panzer Leopard 2 gelandet. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, wann die Lieferung von Kampfflugzeugen gefordert wird. Kein Wunder, dass im Zuge des Wechsels im Verteidigungsministerium ständig davon geredet wird „Wir befinden uns im Krieg“?

Wir stehen vor einem Dilemma

Dass Forderungen nach Waffen von der Ukraine an die NATO-Staaten gestellt werden, ist nachvollziehbar und absolut legitim. Die Ukraine wurde von Russland überfallen und wird seit dem 24. Februar 2022 durch horrende Kriegsverbrechen drangsaliert. Mehr noch: Russland zerstört mit zunehmender Intensität die Infrastruktur der Ukraine und durch die Bombardements der Städte die Lebensgrundlagen von Millionen Menschen. Das Bittere daran ist: Russland kommt trotz aller Rückschläge offensichtlich seinem Kriegsziel näher, die Ukraine als souveränen Staat auszulöschen. Das aber soll, ja muss unter allen Umständen verhindert werden. Viele meinen, dass ginge nur durch Waffenlieferungen.

Damit stehen wir vor einem riesigen Dilemma: Bis jetzt hat die massive militärische Aufrüstung der Ukraine nicht dazu geführt, Russland von der Fortführung seines verbrecherischen Angriffskriegs abzuhalten. Die Frage ist: Werden zukünftige Waffenlieferungen an diesem Dilemma etwas ändern? Diese Frage muss genauso gestellt und diskutiert werden wie die nach wie vor offenen Fragen: Welches Ziel verfolgen diejenigen, die Waffen liefern? Was steht eigentlich am Ende dieses Weges? Und: Welche Strategien werden verfolgt, welche Initiativen gestartet, um den Krieg, und das heißt: um das Morden, Vergewaltigen, Foltern, Zerstören so schnell wie möglich zu beenden?

Wir brauchen Verhandlungen

Ich bin nicht so vermessen, zu behaupten, ich könnte einen Weg aufzeigen. Aber eines wird mir immer deutlicher: Die politische Engführung, nach erfolgter Waffenlieferung die nächste zu fordern, weil Russland in der Zwischenzeit wieder drei Schritte in seinem Zerstörungswahn vorangekommen ist, können wir uns nicht länger leisten. Wir benötigen dringend Perspektiven, um aus der jetzigen gefährlichen Sackgasse herauszukommen. Wir benötigen Verhandlungen – Verhandlungen, die nicht bedeuten, die Ukraine fallenzulassen, sondern ihre Souveränität zu erhalten und zu einer europäischen Friedensordnung zurückzukehren.

Solange solche Überlegungen mit einem Federstrich vom Diskussionstisch gewischt werden, wie es derzeit leider üblich ist, solange werden wir uns weiter in der Unerbittlichkeit des Krieges verfangen – ohne dass damit der Ukraine wirklich geholfen wird. Wie gesagt: Russland darf seine Ziele nicht erreichen. Niemals! Aber ob der Weg dahin nur über Waffenlieferungen führt – das erscheint mir zunehmend zweifelhaft und gefährlich. Es ist höchste Zeit, dass wir die Debattenlage zu öffnen und aus den Engführungen ausbrechen.

Der Text erschien zuerst im Blog des Autors.

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Kommentare

jetzt kommt die Panzerlieferung nicht mehr in Frage,

denn damit würden wir uns ja völlig an das Gängelband der Polen binden lassen. Ich hoffe sehr, der Kanzler wahrt unsere Unabhängigkeit

Der leere Ruf nach Verhandlungen

Sich die von Ihnen formulierten Fragen zu stellen ist wichtig. Genauso wichtig ist es anzuerkennen, dass einiger dieser Fragen bereits beantwortet sind. Bzgl. der Ziele der Liefernden: die Befreiung der besetzten Gebiete und die Wahrung der ukrainischen Souveränität. Dass auch andere Interessen verfolgt werden, ist in der aktuellen Situation wohl sekundär.
Das wahre Dilemma liegt in der Tatsache, dass es Niemanden gibt mit dem man realistisch verhandeln könnte und dass breite Teile, insbesondere der SPD, dies nicht begreifen wollen. Die von Ihnen genannte «europäische Friedensordnung» ist eine reine Fiktion, die es mit dem aktuellen Russland nicht geben kann. Der Ruf nach Verhandlungen ist so zu einem reinen moralischen Lackmustest zur Wahrung der friedensbewegten Fassade verkommen.
Wie viele Rechtsbrüche braucht es noch, damit in Berlin und Teilen der SPD verstanden wird, dass Russland sich – Verzeihung – einen Dreck um Verträge und Abkommen schert. Die wahre Zeitenwende ist die Rückkehr des zwischenstaatlichen Krieges nach Europa. Mahnen und das Bedenken des kollektiven Schlafwandelns sind wichtig, schaffen aber keine Sicherheit.

"Die wahre Zeitenwende ist

die Rückkehr des zwischenstaatlichen Krieges nach Europa".

Verstehe ich richtig: "Zwischenstaatlicher Krieg" ist unsere unausweichliche Zukunft??

Die letzten 30 Jahre hat Westeuropa mit der Russischen Föderation kooperativ, in Frieden und Wohlstand gelebt – und diese gelebte „genannte «europäische Friedensordnung» ist eine reine Fiktion, die es mit dem aktuellen Russland nicht geben kann“?! Wenn das stimmte, wäre unsere Vergangenheit irgendwie eine Illusion gewesen, müsste die Ukraine noch sehr lange (- ohne uns bis auf Waffen, Geld und Applaus von der Seitenlinie -) für unsere Freiheit kämpfen. Wäre da die zur „friedensbewegten Fassade verkommene“ Einforderung von Verhandlungen nicht doch eine echte Alternative?

Wie kann Ihre Analyse der Ukraine und Europa Frieden bringen?!
Und den wollen wir doch alle - oder?

kooperativ, in Frieden und Wohlstand gelebt?

Zunächst, nein, das Verstehen sie falsch – wobei zukünftige Kriege Russlands wohl nicht auszuschließen sind, wenn ihnen nicht Einhalt geboten wird.
Ja, unsere Vergangenheit ist in der Rückschau ab 2008, spätestens aber seit 2014 eine Illusion. Verstehen Sie Hackerangriffe, Kampagnen zur medialen Öffentlichkeitsbeeinflussung und Ermordungen durch den russischen Gemeindienst in Europa (Tiergarten) inklusive Einsatz geächteter Kampfstoffe in beträchtlicher Quantität und «Kollateralschäden» (Salisbury) als «kooperativ und in Frieden» leben?
Ich wiederhole die grundlegende Frage: Mit wem soll wer über was verhandeln? Meinen Sie im Ernst Putin und Russland seien dazu bereit oder daran interessiert?
Wer den Frieden zu russischen Konditionen möchte muss auch für dessen Konsequenzen einstehen und klar und deutlich aussprechen, was dies konkret bedeutet: Das Ende der Unverletzlichkeit von nationalem Territorium, das kriegerische Verschieben von Grenzen und das uneingeschränkte Erpressungspotential durch Atommächte. Ist das die Welt, in der wir leben wollen?
Nur den Frieden zu wollen ist naiv. Zur zukünftigen Friedenssicherung in Europa sind Stärke und Abschreckung unabdinglich.

ja, was war zuerst da, die Henne oder das Huhn?

Ich will nicht zu tief schlagen, denn hinterher ist ja jeder schlauer, sollte jedenfalls so sein. Wir dürfen, um der Wahrheit wegen, nicht ausklammern, was vor 2014 an Zumutungen gegenüber Russland vom Stapel gelassen wurde. Wer klug agiert, hat auch die Interessen seiner Nachbarn im Auge, insbesondere wenn die Ethnie des Nachbarn auch im eigenen Land zu finden ist. Man kann natürlich auch anders operieren, und ethnisch säubern, was offensichtlich- jedenfalls nach der gebräuchlichen Begrifflichkeit der so genannten ethnischen Säuberung- verdreckt, also säuberungsbedürftig ist.
Es geht auch anders- schauen Sie nach Nordschleswig/Südschleswig, ins Elsass. Blicken Sie nicht auf Oberschlesien, oder in die ukrainischen Ostgebiete

„Mit wem soll wer über was verhandeln?“

Aber niemand mit keinem über nichts – lässt als Konsequenz doch nur den Krieg bis zur Vernichtung, mindestens aber bis zur vollständigen Ermattung eines Kombattanten. Alle Erfahrung eines längeren Krieges zeigen jedoch, dass beide Seiten nur dramatisch verlieren. Und wer in der Ukraine militärisch siegen wird, ist noch nicht ausgemacht: „Geheimdienste und Militärexperten bezweifeln zunehmend, dass die Ukraine den Krieg zu ihren Gunsten wenden kann“ (WAZ, 24.1.23).

Dass, wer auf Verhandlungen setzt, „den Frieden zu russischen Konditionen möchte“, ist eine sehr, sehr bösartige Unterstellung.

Am Ende entscheidet die Ukraine, nicht wir.

Verhandlungsergebnisse ergeben sich aus den Verhandlungspositionen der jeweiligen Kriegsparteien. Am Ende ist es immer noch die Ukraine, die entscheidet, ob sie verhandeln möchte oder nicht. Die eigentliche Frage ist nur, ob man die Ukraine militärisch unterstützt, damit diese eine bessere Verhandlungsposition erhält oder man sie sich selbst überlässt. 1) Die Ukraine schließt Verhandlungen, mit oder ohne Vermittlung, zum jetzigen Zeitpunkt aus. 2) Russische Gebietsgewinne ständen bei einer solchen Verhandlung wohl kaum zur Disposition.
Daher meine Forderung (nicht Unterstellung), dass jene, die Verhandlungen zum jetzigen Zeitpunkt fordern, ganz klar benennen welchen Präzedenzfall dies schaffen würde und welche konkreten Ergebnisse die Ukraine zu akzeptieren habe (heißt russische Annexion = zu Putins Bedingungen). Der Ukraine-Krieg ist in seiner Intensität der brutalste Landkrieg seit Ende des 2.WK. Ein Land, das seine Existenz bedroht sieht, setzt an den Verlust von Menschenleben und die Zerstörung seines Territoriums aber einen anderen Maßstab an als eine pazifistische Gesinnungsethik. Dies müssen wir akzeptieren, gerade weil wir den Luxus haben dies anders zu sehen.

Zögern ohne Handeln

Die Zurückhaltung der SPD unter Bundeskanzler Olaf Scholz erscheint mir recht zweifelhaft, da die keine-Alleingänge-Politik durch den internationalen Druck ja nun nicht mehr herhalten kann, kann ich mir als Grund für das Zurückhalten des militärischen Geräts nur eine massive diplomatische Aktivität vorstellen, die aber offenbar ebenso zögerlich und uninspiriert angegangen wird, auch wenn es jawohl schon ein Telefonat mit Putin gegeben hat.
Tiefere Einblicke in die Ansichten, Verbindungen, Analysen, die der Partei als Teil der Regierung als Entscheidungsgrundlage dienen würde ich hier gerne erfahren.