Bundesregierung

Fortschritt machen: Warum die Ampel eine Dickbrettbohrer-Koalition ist

Oliver Czulo29. August 2023
Seit ihrem Amtsantritt vor knapp zwei Jahren hat die Ampel-Koalition eine gesunde Entwicklung vollzogen. Sie ist nicht beim Zeichnen von Visionen stehengeblieben, sondern macht sich an das Bohren dicker Bretter – fallende Späne inklusive.

Vor einiger Zeit äußerte sich in der ZEIT Michael Schlieben in einem ganz anderen Ton über die Ampel-Koalition, als man es zuletzt gewohnt war: Sie sei besser als ihr Ruf und habe in 18 Monaten vieles angestoßen, was unter Merkel 16 Jahre liegen geblieben sei. Diese Lesart passt durchaus zu einer selbsternannten Fortschrittskoalition. Nur klingt anpacken – und damit verbundene Projektnamen wie „Gebäudeenergiegesetz“ – etwas anders als jene Art von Fortschrittstonlage, der ich selbst schon gefröhnt habe, und die eher einem Hochglanzprospekt gleicht, auf das man viele eher abstrakte Hoffnungen projizieren kann.

Nun ist an einer solchen Tonlage prinzipiell nichts verkehrt, im Gegenteil: Eine Fortschrittsvision weist immerhin die Richtung. Dass der Weg in eine neue Richtung aber eher selten ein gemütlicher Spaziergang wird, ist eine Binsenweisheit, die zu wiederholen schon fast peinlich ist.

Eine neue Phase für die Fortschrittskoalition

Die Fortschrittskoalition hat also eine gesunde Entwicklung durchgemacht: Sie ist nicht beim Zeichnen der Vision stehengeblieben, sondern hat sich auf den Weg gemacht. Manchmal mag sie sich dabei selbst Stolperfallen legen, aber einige der Hindernisse, denen sie dabei begegnet, kann man durchaus als Dicke Bretter bezeichnen. ZEIT-Korrespondent Schlieben weist unter anderem auf die harschen Startbedingungen – Corona-Pandemie, dann russischer Angriffskrieg auf die Ukraine – für die Ampelkoalition hin, aber auch die zahlreichen strukturellen Reformvorhaben, die sich die Koalition vorgenommen oder, wie zum Beispiel das Bürgergeld, die Wahlrechtsreform und das Fachkräfteeinwanderungsgesetz, bereits umgesetzt hat.

Ob dies auf Dauer in dem Tempo durchzuhalten ist, ist eine andere Frage, aber in der jetzigen Phase werden diese Dicken Bretter nun eben zahlreich gebohrt. Die Koalition könnte sich derzeit mit Fug und Recht als Dicke-Bretter-Bohrer-Koalition oder, etwas kürzer, Dickbrettbohrer-Koalition bezeichnen.

Anpacken statt Unruhe

Dass wir uns derzeit gleich mehreren grundlegenden Krisen, Problemen und Herausforderungen stellen müssen, ist ein prägendes Merkmal unserer Zeit. Weder löst dies Wohlgefühl aus, noch sollte dies durch ein künstlich erzeugtes Wohlgefühl übertüncht werden. In so einer Phase können Bilder hilfreich sein, eine konstruktive und produktive Haltung zur aktuellen Gemengelage zu finden. Für eine Protestvereinigung wie die „Letzte Generation“ mag der Topos der Auflehnung gegen den Untergang ein geeignetes Mittel sein, um die nötige Motivation und Aufmerksamkeit zu generieren. Auf Regierungsebene projiziert nähme eine solche Haltung jedoch propagandistische Züge an. Aber auch die schon öffentlich kolportierte Unruhe oder Verunsicherung in der Bevölkerung, so korrekt die Analyse sein könnte, sollte nicht der Punkt sein, an dem man verharrt oder gar in eine Starre verfällt.

Anders hingegen das Bild der Dicken Bretter: Wo gebohrt (eigentlich: gehobelt) wird, da fallen Späne, und ja, da kann es leider auch mal quietschen. Prinzipiell aber ist Debatte, oder genauer, eine geordnete, in der Sache leidenschaftliche öffentliche Debatte durchaus wünschenswert und förderlich: Schließlich gibt es viel zu tun, es geht um grundlegende und transformative Themen, den ökologischen Umbau der Wirtschaft, sozialpolitische Aufbrüche wie die Kindergrundsicherung, eine neu aufkommende und zu gestaltende Sicherheitsordnung, und noch einiges mehr.

Hierfür müssen Viele anpacken, und Debatte kann helfen, mitzunehmen. Schulterklopfen darf ebenso sein: Wer die Dicken Bretter zum Bohren anhebt, hebt schwer und darf darauf verweisen, sich nicht vor der Aufgabe gedrückt zu haben. Die Dicken Bretter einfach herumliegen zu lassen und damit den Weg nach vorne unwegsam zu machen, wäre jedenfalls keine Option.

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