Aarzemnieki beim "Meet & Greet" | Bild: Martin Schmidtner
Vorwärts: Hallo Jöran. Wir schreiben für den vorwärts über den Eurovision Song Contest. Der vorwärts ist die Zeitung der deutschen Sozialdemokratie und wir sind mit dem ESC eher die Exoten dort…
Jöran Steinhauer: Wieso das?
Vorwärts: Nun ja – Partei, Politik und Eurovision gehören ja auf den ersten Blick nicht automatisch zusammen…
Jöran Steinhauer: Das alles hier (zeigt rings umher auf das Pressezentrum) hat doch aber viel von Politik….
Ja, so ist es – und ihr passt da mit Eurer Band absolut perfekt hinein! Verkörpert Ihr nicht als Band geradezu den europäischen Gedanken? Wo kommt Ihr alle her?
Meine Bandmitglieder sind alles Letten, aber ich bin Deutscher. Ich komme aus dem Ruhrgebiet, aus Bochum, und habe 2006 meinen Zivildienst in Lettland gemacht. Ich bin dort für ein Jahr hingegangen, habe die Sprache gelernt und vor Ort bei der deutschen Kirche von Lettland und auch mit Straßenkindern gearbeitet.
Es ist wirklich schwierig, die Sprache zu lernen. Es gibt zum Beispiel kaum gute lettische Filme – Du musst Dich da schon richtig reinknien.
Nach einigen Jahren in Deutschland hatte ich dann letztes Jahr im Sommer plötzlich das Gefühl, dass ich etwas vermisse. Ich habe mich an Lettland erinnert, habe angefangen, Lieder zu schreiben – auf Lettisch. Eines davon war über die alte Währung, den Lat, der jetzt der Euro ist. Und dieses Lied haben die Menschen in Lettland im Internet angenommen und wie verrückt geteilt – es wurde wie man so sagt extrem viral und sprach den Menschen dort aus der Seele.
Das hat mich dann letztes Jahr bewogen, wieder für eine Zeit nach Lettland zu gehen. Meine Schwester hat mir damals gesagt: „Wenn Du das machst, dann wirst Du nicht mehr zurückkommen“ – und bis jetzt ist das so.
Aber die lettische Staatsbürgerschaft hast Du noch nicht angenommen?
Nein, nein – das ist auch gar nicht wichtig. Genau darum geht es ja: ich darf da Deutscher sein, bin Deutscher, bin aber auch einfach ich. Irgendwie verbinde ich mich selbst nicht mit einem Land…das finde ich echt schwierig mit dieser Identitätsfrage: also wenn Du gefragt wirst, wo Du herkommst, sagst Du ja auch meist die Stadt, in der Du geboren wurdest…oder in der Du gerade eben lebst. Na klar, bin ich auch vom Ruhrgebiet geprägt, aber ich bin froh, dass meine Identität da breiter gestreut ist. Es ist weitaus mehr, was Dich beeinflusst und Dich bewegt, als der Ort, aus dem Du kommst.
Aber in der Band bist Du der „Ausländer“?
Also jetzt sind die anderen ja auch alle Ausländer – hier zumindest! (lacht)
Begonnen habe ich das Projekt zusammen mit einem Engländer, der aber leider nicht weitermachen konnte. Die anderen habe ich dann nach und nach gefunden und wir haben ganz klassisch in Bars und Kneipen angefangen. Die Miete musste ja auch irgendwie reinkommen. Und seitdem ging das so Schritt für Schritt.
Aarzemnieki - "die Ausländer" (Lettland) | Bild: Martin Schmidtner
Und hier seid Ihr nun mit dem Lied „Bake a Cake“?
Ja! Backe, backe Kuchen! (lacht)
Hast Du es auch geschrieben?
Also der Autor heißt Guntis (Veilands) und wir haben das so gemacht, dass wir mit diesem Refrain die Wirkung des Liedes erzielen. Also cep cep kuuku heißt ja „Backe, backe Kuchen“ und ich glaube, das ist total wichtig, das passte so unheimlich gut, denn es wirkt als Refrain unheimlich gut. Sowohl rhythmisch ist es viel besser als so ein „Schwab schwab schubi dabi du wab“ und es ist auch eine tolle Botschaft, weil es eben lettisch ist!
Lettisch ist ja eine eigene Sprache und viele wissen das gar nicht, gerade in Russland, weil es da so lange dazu gehört hat und ja auch noch viele Russen in Lettland leben.
Und auch viele Letten haben da Probleme, sich allmählich zu emanzipieren. Obwohl sie sehr stolz sind, ist es anscheinend schwierig, wenn Du so lange okkupiert warst, Dich da zu lösen.
Und wir möchten da unseren kleinen Beitrag dazu leisten, dass die Menschen, wenn sie an Lettland denken, sich vielleicht an cep cep cep cep kuuku erinnern und daran, dass es eine lettische Sprache gibt und dass sie sogar schon einen Satz sprechen können!
Wir ist es nach Eurem Sieg beim nationalen Vorentscheid aufgenommen worden, dass Ihr als Aarzemnieki, also als „Fremde“ oder „Ausländer“ Lettland vertretet? Gab es da auch Kritik oder Anfeindungen?
Also nach dem nationalen Finale in Lettland hat erstmal JEDER was dazu zu sagen, also wirklich jeder, jeder, jeder. Und da waren die Meinungen schon auch kontrovers. Aber das ist auch gar kein Problem. Genau dafür sind solche Wettbewerbe gemacht. Leute waren für andere Teilnehmer und sind dann eben sauer auf den Gewinner – kein Ding!
Aber insgesamt bin ich dankbar und zufrieden, diesen Prozess durchlaufen zu haben. Auch wenn es nicht immer leicht ist – gerade in den Sozialen Medien…mit dem, was da so geschrieben wird. Da fällt es nicht immer ganz leicht, damit umzugehen. Aber ich habe mich ganz bewusst dafür entschieden, diese Sachen auch zu lesen und damit umgehen zu lernen. Und da waren auch Sachen dabei, wo Du gedacht hast: „Was ist das denn?!“
Aber jetzt! Jetzt ist das immer weniger geworden; die Leute haben uns etwas kennen gelernt und sagen: „so schlimm sind die ja gar nicht!“ Aber das Wichtige ist: wenn jetzt Leute auf der Straße auf Dich zukommen – und das tun sie! – dann kommen sie mit einem ganz positiven Gefühl und einer wirklichen Überzeugung und möchten Dir die Kraft geben und sagen: „was Ihr da macht, ist gut und wir schätzen das!“
Im Gespräch mit mit Jöran Steinhauer (re) | Bild: Marc Schulte
Wir in Deutschland können ja leider im Halbfinale am Dienstag noch nicht für Euch abstimmen – das müssen wir uns für das Finale am Samstag aufheben…
(Lacht) Hoffentlich….
Aber wir wünschen Euch viel Erfolg und alles Gute und bedanken uns ganz herzlich!
Sehr gerne!
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