Neuer Arbeitskreis

SPD-AK Säkularität und Humanismus: „Niemand muss vor uns Angst haben.“

Kai Doering10. Januar 2023
Der Arbeitskreis Säkularität und Humanismus ist der fünfte der SPD.
Der Arbeitskreis Säkularität und Humanismus ist der fünfte der SPD.
Im Oktober hat die SPD den Arbeitskreis „Säkularität und Humanismus“ gegründet. Was sie im neuen Jahr vorhaben, sagen die beiden Vorsitzenden Sabine Smentek und Carmen Wegge im Interview.

Im vergangenen Jahr wurde bekannt, dass zum ersten Mal in der Geschichte die Mehrheit der Deutschen nicht mehr Mitglied in einer Kirche ist. Wie bewerten Sie das?

Sabine Smentek: Die nackte Zahl allein halte ich für wenig aussagekräftig, da sie sich ja auch nur auf die christlichen Kirchen bezieht. Es gibt in Deutschland nach wie vor viele Menschen, die einer Konfession angehören und diese auch ausüben. Trotzdem macht die Zahl deutlich, dass es immer mehr Menschen gibt, die sich in den klassischen Religionsgemeinschaften nicht mehr zuhause fühlen und die für eine andere Bewertung von weltanschaulichen Fragen stehen. Insofern unterstützt das unseren Ansatz als Arbeitskreis Säkularität und Humanismus durchaus.

Carmen Wegge: Die Zahl zeigt, wie wichtig es für die SPD ist, einen Arbeitskreis zu haben, der die Konfessionsfreien vertritt. Bisher war das ja nicht der Fall. Es ist deshalb gut, dass es neben den Arbeitskreisen der Christ*innen, der Muslim*innen und der Jüd*innen nun auch unseren Arbeitskreis Säkularität und Humanismus gibt.

Die Entwicklung findet bereits seit längerem statt. Warum hat es trotzdem bis Oktober vergangenen Jahres gedauert, bis es zur Gründung des Arbeitskreises gekommen ist?

Carmen Wegge
Carmen Wegge

Carmen Wegge: Im Hintergrund liefen die Bemühungen den Arbeitskreis zu gründen ja schon länger und auf Länderebene gibt es auch schon seit längerem Arbeitskreise. Dass wir im Oktober auch einen Bundes-Arbeitskreis gründen konnten, liegt vor allem daran, dass wir mit Katarina Barley und Kevin Kühnert zwei starke Fürsprecher*innen im Parteivorstand hatten. Dabei haben wir aber ganz klar von der jahrelangen Netzwerkarbeit der „säkularen Sozis“ und der Humanistinnen und Humanisten profitiert.

Sabine Smentek: Die Gründung des Arbeitskreises Säkularität und Humanismus auf Bundesebene war überfällig. Die veränderte gesellschaftliche Situation ist damit endlich auch in der SPD angekommen.

Welche Aufgabe hat der Arbeitskreis eigentlich innerhalb der Partei?

Carmen Wegge: Wir beraten den Parteivorstand in unterschiedlichsten Fragen. Das wird in den kommenden Monaten und Jahren auch dringend notwendig sein, denn die Ampel hat sich viele gesellschaftliche Veränderungen vorgenommen, von der Neuregelung von Staatsleistungen für die Kirchen, über das kirchliche Arbeitsrecht bis hin zum Abtreibungsrecht. Da ist es wichtig, die Stimme der Säkularen und Humanist*innen zu hören. Das gilt auch für die Themen, um die wir uns als Arbeitskreis in diesem Jahr kümmern wollen.

Welche sind das?

Carmen Wegge: Zwei habe ich schon erwähnt: die Leistungen des Staates an die Kirchen und das kirchliche Arbeitsrecht. Ein drittes Thema wird in den kommenden Wochen und Monaten sehr aktuell werden, das ist die Sterbehilfe. Hier wird es im Frühjahr eine Entscheidung im Bundestag geben. Und wir wollen uns mit der Streichung des Paragrafen 218 auseinandersetzen und dem Umgang mit Schwangerschaftsabbrüchen in der Gesellschaft.

Nach der Gründung im Oktober hat sich der Arbeitskreis im November in Leipzig zu seiner ersten Tagung getroffen. Dort wurden u.a. die finanziellen Leistungen des Staates an die Kirchen deutlich kritisiert. Wie stellen Sie sich eine künftige Regelung vor?

Carmen Wegge: Einen Beschluss des Arbeitskreises gibt es dazu bisher nicht. Deshalb kann ich nur meine persönliche Sicht wiedergeben. Eine Komplette Abschaffung aller staatlichen Leistungen wäre aus meiner Sicht der richtige Schritt. So hat es die Bundesregierung übrigens auch im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Die Zahlung einer festen Ablöse-Summe von elf Milliarden Euro, die zurzeit im Raum steht, sehe ich aber kritisch.

Sabine Smentek: Neben den Geldfragen sollten wir nicht vergessen, wie sich die Rolle der christlichen Kirchen in der Gesellschaft verändert hat. Die Abschaffung der Staatsleistungen ist da nur ein Symptom einer tiefgreifenden Wandlung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche. Das wollen wir im Arbeitskreis begleiten.

Daran müssten ja auch die anderen Arbeitskreise in der SPD ein Interesse haben.

Sabine Smentek: Das denken wir auch. Ein wichtiger Punkt unseres Arbeitsprogramms für dieses Jahr ist deshalb der Austausch mit den anderen Arbeitskreisen. Ob wir uns am Ende auf gemeinsame Positionen einigen können, wird davon abhängen, wie wir in den Dialog kommen.

Carmen Wegge: Für uns ist klar, dass es kein Gegeneinander sein soll, sondern ein Miteinander. Bei unserer ersten Veranstaltung in Leipzig saß die Vorsitzende des Arbeitskreises der Christinnen und Christen auch mit auf dem Podium als es um die staatlichen Leistungen für die Kirchen ging. Das fand ich sehr gut. Niemand muss vor uns Angst haben.

Ein weiteres Thema in Leipzig war das kirchliche Arbeitsrecht. Was muss sich hier ändern?

Sabine Smenteik
Sabine Smenteik

Sabine Smentek: Als Gewerkschafterin habe ich es nie verstanden, dass jemand, der in der evangelischen Kirche Sozialarbeit macht, bei den Arbeitnehmerrechten anders behandelt wird als jemand, der bei einem freien Träger arbeitet, der mit der Kirche nichts zu tun hat. Aus meiner Sicht sollten beide gleichbehandelt werden.

Carmen Wegge: Richtig. Es sollte keinen Betrieb geben, in dem Arbeitnehmer*innen weniger Rechte haben, nur weil ihr*e Arbeitgeber*in eine Kirche ist. Schon heute verhandeln Gewerkschaften in kirchliche Tarifverträge hinein, dass das Betriebsverfassungsgesetz hier trotzdem gilt. Das ist eine gute Entwicklung, aber es reicht nicht. An einer vollständigen Gleichbehandlung führt kein Weg vorbei.

Sabine Smentek: In Zeiten des demografischen Wandelns und Fachkräftemangels wird sich für die Kirchen ohnehin schnell die Frage stellen, wie sie Arbeitnehmer*innen überzeugen wollen, zu ihnen zu kommen, wenn sie weniger Rechte haben als bei anderen Arbeitgeber*innen.

Carmen Wegge: Das stimmt. Mein Eindruck ist auch, dass die Kirchen kaum etwas gegen eine Gleichstellung einzuwenden haben.

Mit Olaf Scholz hat Deutschland erstmals einen konfessionslosen Bundeskanzler. Spielt das für Ihre Anliegen eine Rolle?

Sabine Smentek: Unmittelbar nicht. Aber auch das zeigt, dass sich unsere Gesellschaft in einer Veränderung befindet. Schöner fände ich aber, wenn es keine Rolle spielen würde, ob eine Politikerin oder ein Politiker sich beim Amtseid auf Gott beruft oder nicht.

Carmen Wegge: Die Bundestagssitzung, in der das neue Kabinett vereidigt wurde, war schon etwas unangenehm. Ein Teil des Parlaments hat geradezu darauf gelauert, ob die christliche Formel genannt wird oder nicht. Dass Olaf Scholz sie weggelassen hat, habe ich durchaus wahrgenommen, glaube aber nicht, dass es tiefgreifende Auswirkungen auf die Politik der Bundesregierung hat.

Laut dem „Religionsmonitor“ der Bertelsmann-Stiftung denkt jedes vierte Kirchenmitglied über einen Austritt nach. Wie verändert das die Gesellschaft?

Sabine Smentek: Mir fällt es schwer, derart persönliche Entscheidungen von Menschen zu bewerten. Das steht mir auch nicht zu. Wenn sich Menschen entscheiden, aus der Kirche auszutreten, hat das sicher sehr unterschiedliche Gründe. Aus meiner Sicht unterstreicht aber auch diese Zahl die Notwendigkeit, in der SPD eine Anlaufstelle für Menschen zu haben, die sich keinem Glauben zugehörig fühlen. Der Arbeitskreis Säkularität und Humanismus ist genau das.

Carmen Wegge: Ich bin vor einigen Jahren aus der Kirche ausgetreten. Mein Leben hat sich dadurch nicht verändert. Auswirkungen auf die Gesellschaft hat es aber sicher schon, wenn die Kirchen an Einfluss verlieren. Andere Institutionen gewinnen dadurch an Bedeutung, bei der Vermittlung von Werten etwa. Auch die Frage stellt sich, welche Privilegien Kirchen noch genießen sollten, wenn die Mehrheit der Bevölkerung nicht mehr bei ihnen Mitglied ist. All das werden Dinge sein, die wir auch als Arbeitskreis diskutieren werden.

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