Theologe und Genosse

Karl Barth: Sozialdemokrat und Kirchenvater des 20. Jahrhunderts

Klaus Wettig08. Dezember 2021
Kirchenvater des Protestantismus: Der evangelisch-reformierte Theologe Karl Barth im Mai 1961
Kirchenvater des Protestantismus: Der evangelisch-reformierte Theologe Karl Barth im Mai 1961
Der Reformtheologe Karl Barth trat für eine staatsferne Kirche ein. Um gegen Hitler zu kämpfen, wurde er SPD-Mitglied und gehörte zu den Mitgründern der „Bekennenden Kirche“. Der Radikaldemokrat gilt als Kirchenvater des 20. Jahrhunderts.

Für die deutsche Theologie war Karl Barth durch sein politisches Engagement eine Ausnahmegestalt. In seiner Heimat Schweiz konnten sich Pfarrer der Sozialdemokratie anschließen, was in der evangelischen Staatskirche des Kaiserreichs sofort zum Amtsverlust geführt hätte. Karl Barth trat 1915 der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz bei. Seine Mitwirkung bei den Religiösen Sozialisten und sein Programm als Pfarrer in Safenwil orientierte sich abweichend von der Haltung vieler Kollegen. Er galt als „Arbeiterpfarrer“, in damaliger Zeit ein seltener Auftritt eines Pfarrers.

Aufsehenerregender Kommentar zum Römerbrief 1919

Über Safenwil hinaus wurde Karl Barth 1919 mit seinem Aufsehen erregenden Kommentar zum Römerbrief des Apostels Paulus bekannt, in dem er sich von der bisherigen Interpretation abgrenzte. Unter dem Eindruck des Ersten Weltkrieges, den er aus der neutralen Schweiz aufmerksam verfolgte, verlangte er in seiner Neu-Interpretation eine staatsferne Kirche, die nicht die Waffen segnet, „die dem Cäsaren keinen Weihrauch spendet!“

In die Universitätstheologie gelangte Karl Barth 1921 auf ungewöhnliche Weise. Der reformierte Pfarrer Johann Adam Heilmann (1860-1930) hatte sich schon länger um einen Professor für reformierte Theologie in Göttingen bemüht, jedoch nur Absagen erhalten. In Göttingen gab es ausreichend reformierte Theologie-Studenten, die später Pfarrstellen in reformierten Gemeinden (Nordhessen, Schaumburg-Lippe, Lippe, Ostfriesland) antreten wollten, in der Theologischen Fakultät jedoch keine besonderen Lehrveranstaltungen vorfanden. Heilmann nahm einen Hinweis des Erlanger reformierten Theologen Ernst Friedrich Karl Müller (1863-1935) auf und fragte bei Karl Barth an.

Unterstützung im sozialdemokratischen Preußen

Der weitere Verlauf der Verhandlungen verlief schwierig, doch das demokratische Kultusministerium Preußens unterstützte den Plan und setzte den Ruf an Barth durch. Freilich zu diskriminierenden Konditionen, die Barth aber akzeptierte: er wurde nicht Fakultätsmitglied, sondern erhielt einen assoziierten Status. Die Fakultät musste akzeptieren, dass Barth weder promoviert hatte noch habilitiert war. Barth wiederum lehnte eine Probevorlesung ab. Barth wurde auch schlechter bezahlt. Er hatte drei Vorlesungsstunden zu halten, was ihm in den ersten Jahren Mühe bereitete.

Brieflich äußerte er sich zu den Göttinger Qualen. Das von ihm empfundene „Elend der Theologie“ schrieb er nicht der „Dummheit und Bosheit der Theologen, sondern … dem unvermeidlichen Unfug des akademischen Betriebs zu“. Die Göttinger Bibliotheken wusste er zu schätzen, doch wunderte er sich über die „Abgründe von Büchern, die sich schon über den lieben Herrgott ergossen haben“. Alles in allem waren die Göttinger Jahre von 1921 bis 1925 für Karl Barth eine höchst produktive Zeit. Die beschauliche Universität erlaubte ruhiges Arbeiten, er stand im intensiven Austausch mit den wissenschaftlich besser trainierten Kollegen, den er schätzte, deren deutschnationale politischen Auffassungen ihn jedoch zutiefst verstörten.

Eintritt in die SPD

Politisch lebte der Schweizer Sozialdemokrat Barth neben der Göttinger SPD, der er nicht beitrat und deren Versammlungen er nicht besuchte. Die SPD der Weimarer Zeit war von Dissidenten bestimmt, religiöse Sozialisten gab es nur wenige. In Göttingen war zudem der Einfluss des Philosophen Leonard Nelson übermächtig, der in seiner Begründung eines ethischen Sozialismus den Kirchenaustritt verlangte. Dies mag auch der Grund sein, weshalb Barth und Nelson einander mieden, obwohl sie in derselben Straße gegenüber wohnten, sich nahezu täglich begegneten.

Von Göttingen führte Barths Weg über Münster nach Bonn, wo er sich 1931 öffentlich politisch engagierte. Um Widerstand gegen die anwachsende Nazi-Flut zu demonstrieren, trat er dort der SPD bei. In dem nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler beginnenden Kirchenkampf blieb Karl Barth unbeugsam. Er unterstützte verfolgte Kollegen, die sich den Ansprüchen der Nazi-Regierung widersetzten. Den von ihm geforderten Austritt aus der SPD lehnte er ab: Als das NS-Regime mit den Deutschen Christen die Spaltung der protestantischen Kirche begann, wurde Barth zum Hauptgegner. Er verglich die NS-Politik mit den Christenverfolgungen im Römischen Reich.

Im Widerstand in der „Bekennenden Kirche“

1934 kam das Ende für Karl Barths Lehrtätigkeit in Deutschland. Als er den Eid auf Adolf Hitler verweigerte, folgte die Entlassung, schließlich das von Hitler persönlich angeordnete Rede- und Predigtverbot. Wirtschaftlich rettete ihn eine Berufung nach Basel. Deutschen Studenten, die dort bei ihm studierten, wurden die Semester nicht anerkannt. Seinen deutschen Verlegern wurde ein Publikationsverbot auferlegt.

Für den Widerstand in der protestantischen Kirche blieb Karl Barth eine zentrale Figur. Er hatte zur Gründung der Bekennenden Kirche beigetragen und als Schweizer Stimme unterstützte er deren Widerstand. Er blieb ein unnachsichtiger Kritiker der NS-Politik, trotz der regelmäßigen Proteste der NS-Regierung bei den Schweizer Behörden.

Weltweit hoch geehrt

In der Nachkriegszeit entfaltete sich dann Barths außerordentliche theologische und politische Wirkung. Im Protestantismus wird er als Kirchenvater des 20. Jahrhunderts bezeichnet. Politisch blieb er der Radikaldemokrat, der für eine umfassende Kirchenreform kämpft. Er widerspricht der deutschen Wiederbewaffnung und wirbt für einen blockübergreifenden Widerstand gegen Massenvernichtungswaffen. Weltweit wird er hoch geehrt, allein elf Ehrendoktorate erhält er. Über Glasgow, Utrecht, Oxford, Genf, Chicago, Paris sind bedeutende Hochschulen dabei. Nur Göttingen fehlt.

Der Reformierte Bund organisierte 2019 ein Karl-Barth-Jahr, das mit einer kleinen Ausstellung und Vorträgen repräsentiert wurde. Die Ausstellung wurde in Zusammenarbeit mit der Friedrich-Ebert-Stiftung entwickelt.

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Kommentare

Irgendwie scheint es, daß es

Irgendwie scheint es, daß es solche Persönlichkeiten heute kaum noch gibt ...

Erinnern

Gut daß an solche Menschen mit Rückgrat erinnert wird, aber erinnern wir uns auch an Paul Löbe, der den SPD Vorstand Judenrein machte, den Verbindungen zur SoPaDe abschwor und Hitler FAST den Treueid leistete (hat trotzdem alles nicht genutzt).
Zur Geschichte gehört es auch die dunklen Seiten zu betrachten.