Kommission Internationale Politik

Papier: Wie die SPD ihre internationale Politik neu ausrichtet

Kai Doering23. Januar 2023
Europa im Zentrum: Die SPD will ihre internationale Politik neu ausrichten.
Europa im Zentrum: Die SPD will ihre internationale Politik neu ausrichten.
Der Umgang mit Russland und mit China, die Rolle Europas und Deutschlands: In einem Papier positioniert sich die SPD in vielen internationalen Fragen neu. Ein Überblick

Der Angriff Russlands auf die Ukraine vor elf Monaten hat auch in der SPD zu einem Umdenken geführt. Wenn Parteichef Lars Klingbeil an diesem Montag das Papier der Kommission Internationale Politik (KIP) vorstellt, geht das aber bereits auf einen Parteitagsbeschluss aus dem Dezember 2021 zurück. Damals beauftragten die Delegierten die KIP, Vorschläge für eine Neujustierung der Außen- und Sicherheitspolitik der SPD vorzulegen.

Das 21-seitige Positionspapier unter der Überschrift „Sozialdemokratische Antworten auf eine Welt im Umbruch“ soll nun in der Partei diskutiert werden. Die abschließende Positionierung wird dann der Bundesparteitag Anfang Dezember beschließen.

Ist das Positionspapier eine direkte Reaktion auf Russlands Angriff auf die Ukraine?

Nein. Die Initiative, eine „Neubestimmung“ der sozialdemokratischen Außen- und Sicherheitspolitik vorzunehmen, geht bereits auf die Zeit vor dem russischen Angriff zurück. Aber natürlich haben die Ereignisse in der Ukraine die Arbeit der Kommission Internationale Politik in den vergangenen elf Monaten stark geprägt. So findet sich im Papier ein Unterkapitel mit der Überschrift „Sicherheit in Europa vor Russland organisieren“.

Wie positioniert sich die SPD in dem Papier gegenüber Russland?

Sehr kritisch, vor allem aber selbstkritisch. „Einige Länder Europas und vor allem Deutschland haben zu lange ausschließlich auf eine kooperative Zukunft mit Russland gesetzt und damit versäumt, Szenarien für einen anderen Umgang mit Russland zu entwickeln“, heißt es in dem Papier. „Das Festhalten an der Annahme mit immer stärkeren wirtschaftlichen Verflechtungen langfristig zu einer Demokratisierung und Stabilisierung Russlands beizutragen, war ein Fehler“, heißt es mit Blick auf den in der SPD lange gepflegten Grundsatz „Wandel durch Handel“. Die Autor*innen stellen klar: „Solange sich in Russland nichts fundamental ändert, wird die Sicherheit Europas vor Russland organisiert werden müssen.“

Ist das Papier ein Bruch mit der Ostpolitik Willy Brands?

Nein. „Mit einem erfolgreichen Dreiklang aus Diplomatie und Kooperation, dem klaren Bekenntnis zu Menschenrechten und internationalem Recht und dem Aufbau der eigenen militärischen Stärke haben Willy Brandt und später auch Helmut Schmidt die deutsche Außenpolitik während des Kalten Krieges geprägt“, heißt es in dem Papier. Die Autor*innen sind davon überzeugt, die SPD könne bei der Neuausrichtung ihrer internationalen Politik „auf einer erfolgreichen Geschichte sozialdemokratischer Politik für eine friedliche, gerechte und nachhaltigere Welt aufbauen“.

Welche Rolle spielt Europa in dem Papier?

Europa, bzw. die Europäische Union, spielt aus Sicht der Autor*innen die zentrale Rolle für die künftige internationale Politik der SPD. „Für die Sozialdemokratie ist ein starkes Europa die wichtigste politische Aufgabe der kommenden Jahre“, heißt es im Papier. Dafür müsse Europa aber verändert und gestärkt werden. „Europa muss seine Rolle als geopolitischer Akteur annehmen und mehr in die eigene Sicherheit investieren“, fordern die Autor*innen.

Welche Rolle spielt das Verhältnis zu China?

Das will die SPD „neu bewerten“. Im Positionspapier wird die neue Rolle der Volksrepublik als geopolitischer Akteur anerkannt, „ohne dessen Mitwirkung globale Herausforderungen wie der Klimawandel, die Bekämpfung von Pandemien und Nahrungsmittelkrisen sowie die Rüstungskontrolle und die Nichtverbreitung von Atomwaffen nicht zu lösen sind“. Gleichzeitig seien europäische und chinesische Wirtschaft eng miteinander verflochten. Statt diese Verflechtungen zu lösen, schlagen die Autor*innen die Entwicklung einer „europäischen Resilienzstrategie“ vor, „die Risiken verringert, auch mit Blick auf den Schutz kritischer Infrastruktur in Europa“. Zudem sollen Wirtschaftsbeziehungen diversifiziert werden, um wirtschaftliche Abhängigkeiten von China zu minimieren.

Wird der Anspruch von SPD-Chef Lars Klingbeil, Deutschland müsse eine „Führungsmacht“ sein, im Papier aufgegriffen?

Ja. Klingbeils Äußerung bei der „Tiergartenkonferenz“ im Juni vergangenen Jahres hatte in der SPD für Aufsehen gesorgt. Im Papier heißt es nun: „Deutschland hat sich in den letzten Jahrzehnten ein hohes Maß an Vertrauen erarbeitet. Mit diesem Vertrauen geht auch eine Erwartungshaltung einher. In vielen außenpolitischen Debatten steht Deutschland immer mehr im Mittelpunkt. Für viele Staaten auf der Welt sind wir ein wichtiger Partner. Und genau deshalb erwarten sie, dass Deutschland auf internationaler Ebene mehr Initiative zeigt und eine Führungsrolle einnimmt.“ Führung bedeute dabei nicht, „dass sich Deutschland über andere hinwegsetzt, sondern dass die Bundesregierung Stimmen und Perspektiven aufnimmt, stark macht und mit Initiativen vorangeht, um unsere gemeinsamen Ziele zu erreichen.“

Hier kann das Postionspapier heruntergeladen werden.

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Kommentare

Eine kritische Bestandsaufnahme,

die sich alleine auf die Positionierungen gegenüber Russland beschränkt, ist komplett unzureichend. Russland war und ist nicht der einzige Akteur, der sich an Völkerrecht nicht hält und die bisherige Sicherheitsarchitektur Europas in Frage stellt. Die Kündigung der wesentlichen Rüstungs- und Atomwaffenkontrollverträge erfolgte durch den Westen. Die Aufrüstung druch den Raketenabwehrschild erfolgte ebenfalls durch den Westen. Und es war nicht zuletzt die USA, die den völkerrechtswidrigen Krieg gegen den Irak auf Lügen gründete und die Nato, die im Kosovokrieg ohne völkerrechtliche Grundlage Serbien zerbombt hat.

Die EU als geopolitischer Akteur erlebte gerade in der Ukraine-Krise eine satte Bauchlandung. Die Einigkeit ist nur oberflächlich. Die Kommission sucht ihr Heil als Vollstreckungsgehilfin der USA. Und es steht der Verdacht im Raum, dass möglicherweise unsere Verbündeten eine der wichtigsten europäischen Infrastrukturen vor Bronholm zerstört haben. Die SPD signalisiert in ihrem Papier nicht, wie sie auf einmal die politische Eigenständigkeit herstellen will, derart unangenehme Fragen auch dann zu deklinieren, wenn sie nicht nur zu Lasten Russlands und Chinas gehen.

Kritische Bestandsaufnahme

Ich kann nur zustimmen!

Führungsanspruch

Zuerst mal: mit wem wurde denn das Interview geführt, oder ist es gar keins ?
Wir müssen endlich Amerikaversteher werden ! Das heiß: die USA habe eigene Interessen, die man gut oder schlecht finden kann, aber für uns EUropäer ergibt sich daraus die Frage ob diese Interessen der USA auch immer die Interessen der EUropäer sind. Und auch Russland gehört zu Europa (ohne großes U).
Einen Führungsansspruch Deutschlands oder der EU in der Welt einzufordern mag ja ganz ehrgeizig sein, aber weder die Afrikaner oder andere Völker der Welt und erst recht nicht die Chinesen haben den Kolonialismus vergessen. Und die gegenwärtige Politik "des Westens" trägt dazu bei, daß dies auch nicht vergessen wird und auch nicht verziehen.

Führungsanspruch

Auch hier kann ich nur zustimmen!

Michael Müller / Peter Brandt / Reiner Braun

Ich kann nur erneut empfehlen, das sehr informative und ausgewogene
Buch von

Michael Müller
Peter Brandt
Reiner Braun

zu lesen:

' Selbstvernichtung oder Gemeinsame Sicherheit? Unser Jahrzehnt der Extreme: Ukraine Krieg und Klimakrise ' .

Westend-Verlag, 2022

In diesem Buch steht sehr vieles, auch historisches, was viele ? in der
SPD vergessen (zu) haben (scheinen).

Inhaltlich ist das Buch vorzüglich. Ein besseres Lektorat wäre ihm jedoch zu wünschen gewesen.

Größenwahn oder Solidarität?

Ich kann mit diesem Papier nichts anfangen. Wenn „der russische Angriffskrieg auf die Ukraine ist der bisher brutalste Bruch mit Grundprinzipien der internationalen Ordnung, die nach dem Zweiten Weltkrieg mühsam errichtet wurde“, sein soll, frage ich mich, welche Ordnungsvorstellung diesem Papier zugrunde liegt? Auf jeden Fall geht es wohl davon aus, dass die Führungsmacht USA auch künftig führen kann wie bisher. Anders ausgedrückt: die Kriege in Vietnam, dem Irak und Jugoslawien waren kein Bruch mit „unserer“ Ordnung, und deshalb können sie auch nicht brutal gewesen sein?
Immerhin sollen die Staaten des globalen Südens die „internationale Ordnung mitgestalten“ dürfen. Offenbar aber nur zu unseren Regeln. Ich fürchte, unsere Vorstellungen dürften außerhalb der sich zunehmend verengenden westlichen Filterblase günstigstenfalls für mitleidiges Lächeln sorgen. Die Asiaten sind bekanntlich höflich. Dennoch werden sie die künftige Weltordnung dominieren. So ist das mit der „Größe“.

Wie wäre es statt dessen mit der Solidarität?

Zu Heinz Schneider

"Immerhin sollen die Staaten des globalen Südens die "internationale Ordnung mitgestalten" dürfen. Offenbar aber nur zu unseren Regeln:"

So sehen z.B. die US-Regeln aus:

https://amerika21.de/2023/01/262358/usa-china-russland-lateinamerika

Alle oder Keiner - kollektive Sicherheit

Unsere Grundwertekommission hat für „ein neues Jahrhundert sozialer Demokratie“ (2017) eine umfassende Strategie der Gleichheit, national, europäisch und global, vorgeschlagen, und: „Die Wahrung regionaler Sicherheitsinteressen durch die Tätigkeit regionaler Systeme kollektiver Sicherheit sollte in Zukunft Vorrang haben vor „Weltpolizei“- Einsätzen der USA oder von NATO und EU.“

Kollektive Sicherheit statt Führungsanmaßung und neue Erbfeindschaften finde ich wesentlich intelligenter.

Wo

war die Grundwertekommission bei der Entstehung des unsäglichen Papiers der Kommission Internationale Politik (KIP)?
Durfte sie nicht mitmachen oder wollte sie nicht mitarbeiten?
Wer Sätze formuliert, wie sie Heinz Schneider zitiert, kann an dem KIP-Papier keinen Anteil haben.

Papier der Kommission Internationale Politik (KIP)

Ich habe die „Sozialdemokratischen Antworten auf eine Welt im Umbruch“ gelesen. Dabei fiel mir die große (ínhaltliche) Übereistimmung mit Klingbeil-Beiträgen im Vorwärts vom 21.6. und 19.10.22 (- „derzeit erarbeiten wir in der Kommission eine grundlegende Neupositionierung sozialdemokratischer Außen- und Sicherheitspolitik“ -) auf. Darum würde mich sehr interessieren, ob Klingbeil seine Vorstellungen aus dem Papier der KIP, oder die KIP ihre aus den Klingbeil-Vorstellungen übernommen hat.

Wer sind eigentlich die Autoren des KIP-Papiers – ich meine außer Klingbeil?

„Die SPD richtet ihre internationale Politik neu aus“_1

in diesem Artikel, der eine kurze Wiedergabe der „Sozialdemokratischen Antworten auf eine Welt im Umbruch“ ist. Zusätzlich weckte am 24.1. eine Mail von Lars Klingbeil mein Interesse für die „Sozialdemokratischen Antworten ...“ auf „tektonische Verschiebungen in der europäischen Sicherheitsordnung“, die uns zwingen, in Ermangelung anderer Feinde, „in der jetzigen Phase Sicherheit ... vor Russland zu organisieren“. (Später kann es dann wieder anders sein.) „Tektonische Verschiebung“ meint natürlich den Putinschen Angriffskrieg. Zu dessen Vorgeschichte gesteht die KIP, dass „wir Entwicklungen der vergangenen Jahre nicht immer richtig eingeschätzt haben“, insbesondere die „seit zwei Jahrzehnten wachsende Aggression und Bedrohung durch ein expansionistisches Russland“. Zur Unfähigkeit, Realität zu erkennen, gesellte sich noch die Hybris, „unsere Partner aus Mittel- und Osteuropa und ... deren Einschätzung der Sicherheitslagen (nicht) ernstgenommen“ zu haben. So streut die KIP Asche auf die Häupter der SPD-Großen, beispielhaft vorangegangen ist Steinmeier, (trotzdem immer noch Bundespräsident,) für „zwei Jahrzehnte“ blinde Außen- und Sicherheitspolitik.

„Die SPD richtet ihre internationale Politik neu aus“_2

Dabei lief doch alles eigentlich märchenhaft: Die „Osterweiterung der Europäischen Union... (wurde) eines ihrer erfolgreichsten Instrumente“. Bis 2004 traten 10 ehemalige, an die UDSSR gebundene Staaten EU und Nato bei. Die Neuen bringen ein BIP mit, das dem der Russischen Föderation entspricht, stellten also eine gewaltige Stärkung unserer geopolitischen und geostrategischen Position dar. Warum nur haben Steinmeier, Gabriel und Maas nicht gemerkt, obwohl gewarnt, dass Putin das nicht gefiel und darum Böses vorhatte? Fehlte ihnen die Fähigkeit zum „Denken in Szenarien“, wie Klingbeil „uns“ kürzlich im Fernsehen testierte? Oder war es einfach, altbacken mit der KIP formuliert, ihre Unkenntnis, dass „zu einer weitsichtigen Außenpolitik strategisches Denken und Handeln gehören“? Kannten sie gar die Grundregel einer wertebasierten Friedensordnung nicht, „Herausforderungen lassen sich nicht im Gegeneinander, sondern nur im Miteinander lösen“? Oder haben sie ihre eigenen Bedenken nicht ernstgenommen?
Diese Fragen werden wohl nur die Historiker beantworten können.

„Die SPD richtet ihre internationale Politik neu aus“_3

Die KIP allerdings weiß jetzt schon sicher, dass „im Konflikt mit Putins Russland die EU eines ihrer erfolgreichsten Instrumente wiederentdeckt hat: die Erweiterungspolitik“, die nicht nur die Ukraine meint, sondern auch Georgien (, Armenien und Aserbeidschan).
So geht „Denken in Szenarien“.
Bravo!
Reinhard Krumm hat doch keine Ahnung, wenn er verlangt, dafür „ein belastbares Verständnis mit Russland zu haben“ (16.12.22).

Oder?