EU-Kandidat

Moldau: Richtung Westen. Aber wie? 

Dmitri Stratievski05. Juli 2023
Moldauische und europäische Flagge am Verfassungsgericht in Chisinau: Zwischen 53 und 60 Prozent der Moldauer*innen wünschen sich einen EU-Beitritt ihres Landes.
Moldauische und europäische Flagge am Verfassungsgericht in Chisinau: Zwischen 53 und 60 Prozent der Moldauer*innen wünschen sich einen EU-Beitritt ihres Landes.
Seit Juni 2022 ist die Republik Moldau EU-Beitrittskandidat. Präsidentin Maia Sandu will eine Vollmitgliedschaft ihres Landes bis 2030. Die Lage in Moldau bleibt jedoch angespannt – auch wegen der Kriegs in der Ukraine.

Aus Sicht der Regierung ist der Weg nach Westen für Moldau alternativlos. EU-Fahnen sind in der Hauptstadt Chişinău omnipräsent. Prowestliche moldauische Kräfte haben in den vergangenen Jahren deutlich an Beliebtheit gewonnen. Maia Sandu siegte 2020 in der Präsidentschaftswahl. Bei der Parlamentswahl 2021 erzielte die liberale „Partei der Aktion und Solidarität“ 52,8 Prozent der Stimmen und schaffte somit das beste Ergebnis seit der Unabhängigkeit Moldaus. Laut Umfragen sind die meisten Moldauer für den EU-Beitritt (zwischen 53 und 60 Prozent). Sandu kritisiert den russischen Krieg gegen die Ukraine und den hybriden Krieg des Kremls gegen Moldau scharf. Sie stuft Russland als Gefahr ein. Kürzlich beschloss die moldauische Legislative den Austritt des Staates aus der von Moskau dominierten Interparlamentarischen Versammlung der GUS.

Mehrheit für militärische Neutralität

Die Westbindung hat jedoch in Moldau verschiedene Lesarten. Während der EU-Beitritt Zustimmung erfährt, bleiben die Moldauer in puncto NATO-Mitgliedschaft ihres Landes gespalten. Eine Mehrheit unterstützt in der Verfassung verankerte militärische Neutralität Moldaus. Viele Bürger*innen sind unentschlossen. Darüber hinaus ist die moldauische Demokratiebewegung in zwei Gruppen aufgeteilt: in Befürworter*innen einer Fusion mit Rumänien, genannt Unionisten, und in Anhänger*innen des Fortbestehens des unabhängigen Staates. Eine Vereinigung mit dem historisch und kulturell sehr nahestehenden Nachbarland würden 40 Prozent der Befragten begrüßen, 50 Prozent wären dagegen.

Prorussische Kräfte waren in Moldau lange Zeit bedeutsam. Jetzt sind sie geschwächt, aber immer noch politisch aktiv. Unterschiedliche russophile und EU-skeptische Parteien erhielten bei der Parlamentswahl 2021 gemeinsam etwa 37 Prozent der Stimmen und bilden eine ernstzunehmende parlamentarische Opposition. Ex-Präsident Igor Dodon, derzeit zweitpopulärste Politiker Moldaus, bezeichnet Putin als „Patriot seines Landes und Staatsmann“ und hofft auf das Widerbeleben guter Beziehungen zwischen Moldau und Russland. Ein Bündnis von russlandorientierten Kommunist*innen und Sozialist*innen liegt in Umfragen bei 15 Prozent. Mit zehn Prozent hätte die inzwischen verbotene russlandtreue Partei ŞOR gerechnet. Der russlandfreundliche Bevölkerungsanteil von etwa einem Viertel bestätigt die neueste Meinungsforschung:  27 Prozet der Teilnehmenden hätten eine Wirtschaftsunion mit Russland bevorzugt.

Wie der Krieg in der Ukraine in Moldau wirkt

Chişinău wirkt sehr friedlich. In der 100 Kilometer entfernten Ukraine schlagen dagegen russische Raketen ein. Der Krieg im Nachbarland ist hier in jeder Hinsicht zu spüren. Von 700.000 im Vorjahr nach Moldau geflüchteten Ukrainer*innen sind 100.000 im Land geblieben. 2022 kam es infolge der russischen Angriffe auf ukrainische Infrastruktur zu mehrtätigen Stromausfällen in vielen moldauischen Orten, da die Stromnetze beider Länder miteinander verbunden sind.

Das Kriegsgeschehen in der Nähe treibt Lebensmittel- und Medikamentenpreise in Moldau in die Höhe. Und: Militärexperten vermuten, Putin habe seine Angriffspläne gegen das kleine Land noch nicht aufgegeben. 60 Prozent der Moldauer*innen haben weiterhin Angst vor der Ausweitung des Krieges, 91Prozent meinen, die winzige und schlecht ausgestattete Nationalarmee würde einen russischen Schlag nicht überstehen.

Diese Unsicherheiten nutzen Moskau und seine Anhänger*innen in Moldau. Sie verbreiten über die Propagandakanäle die These, nur ein Friedensschluss in der Ukraine könne Moldau Ruhe bringen, auch wenn er Gebietsverluste für die Ukraine bedeuten würde. Man versucht, die Solidarität mit dem ukrainischen Volk mit allen Mitteln zu torpedieren.

Zugleich wird der Krieg in der Ukraine von einigen Beobachter*innen als möglicher Reformbeschleuniger für Moldau gesehen. Je schneller die Beitrittskriterien erfüllt werden, desto schneller wird Moldau Teil der EU-Familie, so das Kalkül.

Werden in Transnistrien die Karten neu gemischt?

Und dann ist da noch Transnistrien. Der abtrünnige Landstrich am Dnister gilt als von Moskau kontrolliert. Dort werden die russischen Truppen stationiert. Hiesige Machthaber handeln in enger Absprache mit dem Kreml. Der Angriff Russlands auf die Ukraine ändert jedoch zunehmend das Stimmungsbild vor Ort. Etwa 27 Prozent der Bevölkerung bilden ethnische Ukrainer*innen. In manchen Gemeinden sind Ukrainer*innen sogar die größte Gruppe.

Das brutale Vorgehen Russlands gegen ihre alte Heimat können sie nicht begrüßen und wollen kein Spielball Moskaus im Konflikt gegen Chişinău werden. Alte Feindschaften sind fast vorbei. Seit 1992 gibt es in Transnistrien kein Blutvergießen. Wirtschaftliche und kulturelle Kooperation zwischen beiden Teilen Moldaus gehört zum Alltag. Durch den erfolgreichen Weg Moldaus in die EU könnten die Weichen für die Reintegration Transnistriens gestellt werden.

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Kommentare

angesichts der relativ betrachtet hohen Zahl von

Asylbewerbern aus Moldau wird deutlich, dass das Land in der Frage der Westorientierung gespalten ist ist. Es ist die Verfolgung der nach Westen tendierenden Bevölkerung, die diese Asylverfahren begründet.
Die EU ist das schon weiter, meine ich- Moldau ist demnächst Beitrittskandidat, und Rumänien gibt den dort lebenden ethnisch rumänischen Menschen heute schon die Pässe, die dann den Zugang in die EU gewährleisten. Für Moldau insgesamt eine Zerreisprobe, die auch der Artikel verdeutlicht. Roma und Sinti sitzen auch dort zwischen allen Stühlen