Vergessene Sozialdemokrat*innen

Fritz Solmitz: Eines der ersten prominenten SPD-Opfer der Nazis

Lothar Pollähne23. Oktober 2023
Redakteur und SPD-Politiker Fritz Solmitz: „Politik ist für mich nie etwas anderes gewesen als der Weg der Verwirklichung der Gerechtigkeit.“
Redakteur und SPD-Politiker Fritz Solmitz: „Politik ist für mich nie etwas anderes gewesen als der Weg der Verwirklichung der Gerechtigkeit.“
Willy Brandt brachte er den Journalismus nah. In der Weimarer Republik stieg Fritz Solmitz zum führenden Sozialdemokraten in Lübeck auf. Nur wenige Monate nach der „Machtergreifung“ wurde er im Konzentrationslage ermordet.

Knapp drei Wochen nachdem Reichspräsident Hindenburg Adolf Hitler die Macht übertragen hat, versammeln sich am 19. Februar 1933 in Lübeck rund 15.000 Menschen auf dem Burgfeld zu einer Kundgebung der „Eisernen Front“. Es ist die größte Kundgebung, die die Hansestadt seit der Novemberrevolution von 1918 gesehen hat. Reden soll eigentlich der Reichstagsabgeordnete Julius Leber, aber der ist erst drei Tage zuvor aus der Nazi-Folterhaft entlassen worden. Leber tritt, von der Folter gezeichnet, mit einer Augenklappe ans Mikrophon, ballt die Faust und ruft mit brüchiger Stimme: „Freiheit“. So erinnert sich Willy Brandt in seinen frühen Memoiren.

Eines der ersten Opfer der Nazis in Lübeck

An Lebers Stelle spricht der politische Redakteur des Lübecker „Volksboten“ und fragt die Anwesenden: „Seid ihr ein zusammengelaufener Haufen, der auseinanderströmt, wenn der erste Schuss fällt? Das Gegenteil ist wahr, davon  bin ich überzeugt. Alle Drohungen und Terrorakte schließen uns immer fester und einiger zusammen.“ Am Tag darauf schreibt er im „Volksboten“: „Nicht ohne Opfer werden wir unser Ziel erreichen.“ Er selbst wird eines der ersten Opfer der Nazis in Lübeck: Fritz Solmitz, Bürgerschaftsabgeordneter und langjähriger Freund von Julius Leber.

Beide kennen sich seit 1913 aus ihrer gemeinsamen Studienzeit, beide ziehen freiwillig in den Krieg, der später der Erste Weltkrieg genannt wird, und beide entkommen desillusioniert den Granathagelstürmen und Giftgasnebeln. Das „Vaterland der Liebe und Gerechtigkeit“, wie es August Bebel genannt hat, haben sie nicht erfochten, sondern einen kaiserfreien Trümmerhaufen, auf dessen fragilen Grundlagen sich beide als Pazifisten am Aufbau eines demokratischen Staates beteiligen. Fritz Solmitz und Julius Leber sind „Brüder im Geiste“, auch wenn sie aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Milieus stammen. Leber ist Proletarierkind und Solmitz stammt aus einer wohlhabenden assimilierten jüdischen Bankiersfamilie.

Mehr fromm als fortschrittsgläubig

Geboren wird Fritz Solmitz am 22. Oktober 1893 in Berlin. 1912 legt er seine Reifeprüfung ab und arbeitet danach ein Jahr lang in  der Landwirtschaft. Zum Studium geht Fritz Solmitz nach Freiburg, wo er die Fächer Rechtswissenschaften, Nationalökonomie und Staatswissenschaften belegt. In der badischen Universitätsstadt freundet er sich mit Julius Leber an, der ebenfalls Nationalökonomie studiert. Die Freundschaft wird bis zum bitteren, von den Nazis herbeigeführten, Ende andauern.

Nach dem Krieg nimmt Fritz Solmitz sein 1915 unterbrochenes Studium in Berlin wieder auf, tritt in die SPD ein und verlässt die jüdische Gemeinde, bleibt aber ein gläubiger Mensch. Willy Brandt schreibt in seinen frühen Erinnerungen über Solmitz: „Dass er mehr fromm als fortschrittsgläubig war, behielt er für sich.“ Kurzzeitig arbeitet Fritz Solmitz als Richter. 1921 wird er in Freiburg mit einer Arbeit über „Dialektik und Materialismus bei Karl Marx“ zum Dr. rer. pol. promoviert. Drei Jahre lang ist Fritz Solmitz als Dezernent für öffentliche Wohlfahrtspflege bei der Berliner Stadtverwaltung tätig.

Dann bittet ihn 1924 sein Freund, der Reichstagsabgeordnete Julius Leber, als politischer Redakteur der sozialdemokratischen Tageszeitung „Lübecker Volksbote“ tätig zu werden, dessen Chefredakteur Leber ist. Solmitz nimmt das Angebot an, getrieben von der Überzeugung: „Politik ist für mich nie etwas anderes gewesen als der Weg der Verwirklichung der Gerechtigkeit.“

Pathos, Polemik und Pamphletismus

Der bildungsbürgerliche, sozialistische Intellektuelle Fritz Solmitz stellt sich mit Kopf und Herz auf seine neue Aufgabe ein und strebt die „Verwirklichung der Gerechtigkeit“ in einem umfassenden Sinne an. Er wird Mitglied im Vorstand des Lübecker Arbeiter-Kulturkartells und organisiert die Bildungsarbeit der örtlichen Jungsozialist*innen in der Verantwortung für eine demokratische Republik. 1925 schreibt Fritz Solmitz anlässlich einer Reichsbannertagung: „Wir aber wollen ein Vaterland schaffen, das jedem von uns Heimat und ein wirkliches Heim ist. Wir wollen ein Deutschland, das wir lieben können, frei und ohne Scham, nicht nur als Heimat, nicht nur als Volk, sondern auch als das, was beides vereint, als Staat, als Reich. Lieben können wir nur einen Staat, der seine Größe nicht auf Blut und Eisen, auf Reichtum und schimmernde Wehr stützt. Lieben können wir nur einen Staat, der auf Arbeit und Gerechtigkeit gegründet ist, einen Staat den wir frei schaffende Männer und Frauen gestalten können, nach dem Bild, das wir in uns tragen.“ Mit diesen Worten nimmt Fritz Solmitz Bebels Gedanken von einem „Vaterland der Liebe und Gerechtigkeit“ wieder auf.

Als Journalist beschränkt sich der spachmächtige Fritz Solmitz nicht auf die große Politik, sondern bedient auch das klassische Feuilleton mit ironischen oder satirischen Untertönen. Wo nötig, schreckt Solmitz auch vor Pathos, Polemik und Pamphletismus nicht zurück, bleibt aber grundsätzlich dem Gedanken der Aufklärung verhaftet. In dieser Verantwortung widmet er sich auch dem journalistischen Nachwuchs. Den jungen Willy Brandt etwa, der bereits als Schüler Artikel für den Volksboten schreibt, führt Fritz Solmitz in die Kunst des Redigierens ein.

Führender Sozialdemokrat in Lübeck

1926 wird Fritz Solmitz Mitglied der Lübecker Bürgerschaft und etabliert sich neben Julius Leber als führender Sozialdemokrat der Ostholsteiner Hansestadt und als engagierter Streiter gegen den aufkommenden Nationalsozialismus. Dabei verabschiedet er sich schließlich von seinen pazifistischen Positionen und plädiert für gewaltbereite Gegenwehr. Als Jude und Sozialdemokrat ist sich Fritz Solmitz der Gefahren einer Naziherrschaft bewusst. So schreibt er im Sommer 1932 im Lübecker Volksboten: „Ob ich den kommenden Winter noch erleben werde, das freilich weiß ich nicht. Aber es ist mit auch vollkommen gleichgültig. Wichtig ist nur eines. Dass die Freiheit am Leben bleibe.“

Ganz so gleichgültig, wie sich Solmitz in dieser pathetischen Einlassung gibt, ist er persönlich nicht. Bereits 1932, so berichtet seine Tochter Brigitte, diskutiert Solmitz mit seiner Frau Karoline über Möglichkeiten der Emigration, verwirft diese Perspektive aber aus Verantwortung gegenüber den vielen Genossinnen und Genossen, die keine Fluchtperspektiven haben.

Torturen, festgehalten auf Zigarettenpapier

Am 11. März 1933 endet das Leben von Fritz Solmitz in Freiheit. Die Nazis verhaften den ihnen verhassten Gegner und karren ihn durch Lübeck, versehen mit einem Schild mit der Aufschrift „Jude“. Solmitz wird zunächst im Gefängnis Lübeck-Lauerhof inhaftiert und Anfang Mai ins KZ Fuhlsbüttel verschleppt. Damit beginnt sein monatelanges Martyrium. Im August 1933 erwirkt Karoline Solmitz bei der Lübecker Polizei die Freilassung ihres Mannes zum 16. September, aber die Gestapo-Schergen wollen Fritz Solmitz nicht in Freiheit setzen. Stattdessen sperren sie ihn in eine Einzelzelle und misshandeln ihn grausam. Vom 13. bis zum 18. September gelingt es Solmitz, seine Torturen auf Zigarettenpapier festzuhalten. Dieses Zeugnis der Barbarei kann Fritz Solmitz im Boden seiner Taschenuhr verstecken. Die Uhr wird Karoline Solmitz nach dem Tod ihres Mannes ausgehändigt.

Am 18. September notiert Fritz Solmitz abends die Aufforderung eines Folterers: „Häng dich doch auf! Dann kriegst du keine Prügel.“ Die Drohung ist ernst gemeint, denn die Folterer legen ein Seil in seiner Zelle bereit. Seiner Frau schreibt Somitz auf einem Blättchen Zigarettenpapier verzweifelt: „Herr Gott! Was soll ich tun? ( …) Leb auf ewig wohl.“ Am 19. September 1933 hängt Fritz Solmitz tot in seiner Zelle. Wahrscheinlich haben ihn die Folterknechte totgeschlagen und danach den Leichnam aufgehängt, um einen Selbstmord vorzutäuschen. Der Hauptverantwortliche für diesen Mord, der stellvertretende Lagerleiter Willi Dusenschön, wird 1962 von einem deutschen Gericht, dem das Zigarettenpapier-Zeugnis als Beweismittel vorliegt, aus „Mangel an Beweisen“ freigesprochen. 

Die Taschenuhr von Fritz Solmitz und Kopien der Notizen sind heute in der Gedenkstätte Fuhlsbüttel ausgestellt. Solmitz’ Tochter Brigitte, die mit ihren Brüdern und ihrer Mutter 1938 mit Hilfe der Quäker in die USA emigrieren konnte, hat sie der Gedenkstätte bei einem Besuch übergeben.

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Kommentare

Fritz Solmitz

Es ist gut an ihn zu erinnern und an seine Mörder (Freispruch). Aber das Mordregime der Rechten fängt nicht erst 1933 an. Dazu hat der Sozialdemokrat und Mathematikprofessor Emil Gumbel schon 1922 sein Buch "Vier Jahre politischer Mord" veröffentlicht (Als Digitalisat im Internet abrufbar: https://www.gutenberg.org/files/39667/39667-h/39667-h.htm)