Abkommen mit Separatist*innen

Zweite Amtszeit: Was die Entscheidung von Sánchez für Spanien bedeutet

Kay Walter17. November 2023
Bleibt Ministerpräsident Spaniens: Pedro Sánchez nach seiner Wiederwahl im Parlament am Donnerstag
Bleibt Ministerpräsident Spaniens: Pedro Sánchez nach seiner Wiederwahl im Parlament am Donnerstag
Am Donnerstag wurde Pedro Sánchez als Ministerpräsident Spaniens bestätigt. Was die eine Hälfte des Landes frenetisch jubeln lässt, führt auf der anderen Seite zu wütenden Protesten. Wie sind die Aussichten für die zweite Amtszeit von Sánchez?

Als vor drei Wochen klar wurde, dass Pedro Sánchez eine Vereinbarung zur Regierungsbildung erreichen würde, schrieb der „vorwärts“, dass er für seinen Verhandlungserfolg mit dem Amnestiegesetz einen hohen Preis zu zahlen habe, er aber „nicht eben schlechte Chancen“ habe, seine durchaus erfolgreiche Sozial- und Wirtschaftspolitik über die gesamte Legislatur hin fortzusetzen. Trotzdem dürfte seine Wiederwahl zum spanischen Ministerpräsidenten der zunehmenden Spaltung im Land Vorschub leisten. Das betrifft sowohl die sich weiter verhärtende Konfrontation zwischen rechts und links, als auch den immer kleingeistiger werdenden, nationalistischen Separatismus in mehreren Landesteilen.

Die Konservativen stellten Sánchez als Diktator dar

Der Streit eskaliert weiter und immer stärker, die spanische Gesellschaft zeigt sich so zerrissen wie seit den Tagen dertransición nicht mehr. Ja die Wut der Konservativen auf Sánchez scheint so grenzenlos, dass der Schrei „Hijo de puta“ Hurensohn, den die Madrider Regionalpräsidentin Diaz Ayuso ihm im Parlament an den Kopf warf, noch in den Bereich der harmlosen Beleidigungen gehört.

Woran liegt das? Was bringt die Konservativen derart in Rage, dass sie Donald Trump kopieren und von Wahlbetrug reden, den drohenden Untergang von Demokratie und Rechtsstaat beschwören, Sánchez als Diktator bezeichnen und selbst vor Hitlervergleichen nicht zurückscheuen?

Wie umgehen mit den Separatist*innen?

Als erstes gilt es festzuhalten, dass der Firniss der Demokratie in Spanien noch immer sehr dünn ist, der Übergang vom Franquismus zur Demokratie nur gelingen konnte, weil die faschistischen Verbrechen nicht verfolgt und bestraft werden durften und selbst die Anführer des Militärputsches von 1981, genannt 23-F, wenn überhaupt, dann nur zu geringen Strafen verurteilt wurden.

Wie große Teile der spanischen Rechten – nicht allein der ultranationalistischen VOX – zur Demokratie stehen, belegen ihre vehementen Proteste gegen die Umbettung des Diktators 2019. Vox wurde 2014 gegründet, weil einigen extrem Rechten schon der Umgang der PP mit den Separatist*innen in Katalonien und dem Baskenland als viel zu weich erschien. Erst Recht treibt ihnen die Amnestie regelrecht Schaum vor den Mund. Aber wer unter anderem Feministinnen als „Feminazis“ bezeichnet, kann kaum als Kronzeuge für Demokratie gelten.

Man muss aber gleichzeitig auch festhalten, das Verfassungsgericht das katalanische Unabhängigkeitsreferendum von 2017 für illegal und verfassungswidrig erklärt hat und zudem ein – ebenfalls ursprünglich von den Separatisten gefordertes – neues Referendum strikt untersagt hat. Es gäbe keinerlei Recht für eine Region, aus dem Staatsgebiet auszutreten, schon gar nicht durch einseitige Erklärung, besagt das Urteil.

Die Konservativen hatten keine Chance, eine Regierung zu bilden

Eine Amnestie für die Verantwortlichen des Referendums ist zwar nicht ausdrücklich verboten, muss aber in diesem Licht betrachtet werden. Selbst Mitglieder der PSOE halten den Preis für die neue Regierung daher für deutlich zu hoch, vor allem, wenn die Amnestie auch ein straffreies Rückkehrrecht für Carles Puigdemont beinhaltet. Es gibt gute Gründe, eine Amnestie für falsch zu halten. Aber in diesem Zusammenhang von Diktatur zu reden, ist mit Verlaub schlicht Blödsinn. Denn selbst eine falsche Entscheidung brächte weder Demokratie noch Rechtsstaatlichkeit ins Wanken. Im Gegenteil schafft Demokratie die Option, jede Entscheidung, die eine Mehrheit der Wähler*innen für falsch erachtet, qua Wahl wieder zu korrigieren.

Die PP hatte bei der Wahl am 23. Juli zwar die meisten Stimmen erhalten, aber null Chance, eine Mehrheit der Stimmen im Parlament zu erzielen. Ihrem Chef Alberto Nunez Feijóo wurde der sicher geglaubte Wahlsieg doch nicht von Sánchez noch entrissen, weil er Journalist*innen beschimpfte oder alte Fotos ihn auf einer Yacht mit einem bekannten galicischen Narco (Drogenhändler) zeigte. Schon eher, weil gerade jungen Menschen die ständigen Beschimpfungen des Ministerpräsidenten als perro sanxé (dreckiger Hund Pedro Sanchez) mächtig auf die Nerven gingen.

Vor allem aber doch, weil Feijóo zwar einerseits versucht hat, die PP bei der landesweiten Wahl als gemäßigte Partei darzustellen, aber gleichzeitig nahezu flächendeckend in regionale und lokale Koalitionen mit dem rechtsextremen Vox eintrat. Eben das wollten die Spanier*innen nicht. Sie bescherten der PP ein unterdurchschnittliches Ergebnis, der Vox eine fette Niederlage und der PSOE von Premier Sánchez ein Ergebnis, deutlich oberhalb des Erwarteten.

Sánchez' Entscheidung dürfte die Separatist*innen stärken

Demokratie bedeutet, diese Realität anzuerkennen. Und trotzdem darf, soll und muss die Frage gestellt werden, ob die Amnestie für die Separatistenführer nicht ein politischer Fehler ist. Denn sie wird die Tendenz gerade der katalanischen Separatist*innen zur Kleingeistigkeit noch verstärken. Wer es fertigbringt, in den Schulen und Universitäten einer Region das hochspanische Castilian – eine Sprache, die 550 Millionen Menschen täglich nutzen und die damit die viertgrößte der Welt ist – nicht nur als erste Sprache abzuschaffen und erst als zweite Fremdsprache nach Englisch wieder einzusetzen, der versündigt sich an den Zukunftschancen der eigenen Kinder. Und mit noch abstruserem dürfte zu rechnen sein.

Pedro Sánchez vertraut darauf, derartige Flausen würden selbst dem verbohrtesten Separatisten vergehen, wenn sich die Regierung erst einmal gebildete habe. In der realen Welt müsse die sich letztendlich mit wichtigeren Problemen zu beschäftigen. In der Praxis entzaubern, nennt man das bisweilen. In seiner ersten Amtszeit ist ihm das partiell gelungen. Nicht mehr und nicht weniger.

Pedro Sánchez gilt seinen Landsleuten als gewiefter Taktiker und guter Verhandler. Diese Eigenschaften wird er brauchen, damit sein Land nicht zwischen den Polen letztlich nationalistischer Kleinstaaterei der Separatisten und dogmatisch konservativen Ideen von Großspanien zerrieben wird. Die beste Hilfe wäre sicher ein ökonomischer Aufschwung, der der Jugend im Land bessere Zukunftsperspektiven bereitet.

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