Autofreie Sonntage gegen die erste Ölkrise

Ölkrise vor 50 Jahren: Als Autobahnen zu Rollschuhpisten wurden

Renate Faerber-Husemann25. November 2023
Pferdekutsche und Fahrrad statt Auto: Die Erdölkrise 1973 war ein Schock für die Bundesrepublik.
Pferdekutsche und Fahrrad statt Auto: Die Erdölkrise 1973 war ein Schock für die Bundesrepublik.
Als im Herbst 1973 der Benzinpreis auf über 70 Pfennig anstieg, war das ein Schock für die Autofahrer*innen. Die Regierung von Willy Brandt reagierte mit drastischen Maßnahmen, um Energie zu sparen. Wie den autofreien Sonntagen.

Erdöl trieb die Wirtschaft an, nie hatte man einen Gedanken daran verschwendet, dass diese Ressource endlich sein könnte – oder gar aus politischen Gründen verknappt werden könnte. Genau dies aber war geschehen. Die Organisation der Erdöl exportierenden Länder (OPEC) verknappte als Reaktion auf den israelisch-arabischen Krieg, den Yom-Kippur-Krieg, ihre Erdöllieferungen an den Westen. Neun Erdöl fördernde Länder drosselten die Produktion Monat für Monat um fünf Prozent. Ihre Forderung, die allerdings nicht erfüllt wurde: die vollständige Evakuierung israelischer Truppen aus arabischen Territorien.

Die Folgen für die vom Erdöl angetriebenen westlichen Wirtschaften waren heftig: Die Preise und die Arbeitslosenzahlen stiegen ebenso wie die Inflationsraten. Mit der Vollbeschäftigung in der erfolgsverwöhnten Bundesrepublik war es vorbei. Man gewöhnte sich an Begriffe wie Kurzarbeit und Entlassungen. Zeitungen prophezeiten „ein Zeitalter des Mangels“ oder warnten: „Die Krise dauert 15 Jahre“.

Das Land wird zur Fußgängerzone

Und doch haben die Menschen eher fröhliche Bilder im Kopf, wenn sie sich an jene erste Ölkrise 1973 erinnern. Meist mit einem Lächeln erzählen sie von den autofreien Sonntagen und erinnern sich anscheinend weniger an die Schlangen vor den Tankstellen und die Hamsterkäufe von Heizöl. Vier autofreie Sonntage hatte die Regierung unter Bundeskanzler Willy Brandt der Bevölkerung auferlegt. Der erste war am 25. November 1973, der letzte kurz vor Weihnachten. Am 24. November appellierte Brandt an die Bevölkerung: „Zum ersten Mal seit dem Ende des Krieges wird sich morgen und an den folgenden Sonntagen vor Weihnachten unser Land in eine Fußgängerzone verwandeln. Die Energiekrise kann auch zu einer Chance werden. Wir lernen in diesen Wochen, dass wir auf gegenseitige Hilfe angewiesen sind.“

Die meisten Bürger nahmen diese Herausforderung als Abenteuer an und erzählen bis heute von der Stille in den Städten. Die leeren Autobahnen wurden von Rollschuhläufern und Radfahrern erobert. In den Innenstädten, wo sich sonst im Dauerstau schlechtgelaunte Autofahrer durch die „autogerechten Städte“ schoben, spielten Kinder auf den Kreuzungen Fangen. Reiter hoch zu Ross trabten über vierspurige Straßen und in den Zeitungen gab es Fotos von Witzbolden, die Pferde vor ihre Autos gespannt hatten. Ob Großstadt oder Kleinstadt in der Provinz: Es herrschte eher Volksfestatmosphäre.

Abschließbare Tankdeckel erfunden

Wer eine Sondererlaubnis zum Fahren hatte und nicht zu Polizei, Feuerwehr oder Krankentransporten gehörte, musste sich Hohn und Spott gefallen lassen. Die Familie Brandt ließ sich beim Sonntagsspaziergang auf dem Bonner Venusberg fotografieren und Bundeswirtschaftsminister Hans Friderichs (FDP) versprach, auf seinen mit Öl geheizten Swimmingpool zu verzichten. Ohne Murren wurden auch die weiteren autofreien Sonntage hingenommen, schließlich fuhren Busse und Bahnen.

Auch die weiteren Einschränkungen durch das vom Bundestag verabschiedete „Energiesicherungsgesetz“ stießen nicht auf große Proteste: Auf Land- und Bundesstraßen galt Tempo 80, auf Autobahnen Tempo 100. Die Welt ging deshalb nicht unter, kaum jemand pochte auf „freie Fahrt für freie Bürger.“ Mehr Ärger gab es an den Tankstellen, die Benzin und Diesel nur rationiert abgeben durften und für Stammkunden schon mal Ausnahmen machten. Damals ging die Angst vor Benzinklau um. Die Autoindustrie reagierte rasch und versorgte ihre Kunden seit jener ersten Ölkrise mit abschließbaren Tankdeckeln!

Was haben die (bald wieder verschwundenen) Tempolimits und die Sonntagsfahrverbote gebracht?

Wirtschaftlich nicht sehr viel, denn schon am 24. Dezember 1973 machten die OPEC-Länder den Ölhahn wieder auf. Und doch hat mit jenem Herbst 1973 das Umdenken begonnen. In jener Zeit erschien das Buch „Die Grenzen des Wachstums“ des Club of Rome und es wurde erstmals über alternative Energien und über Energiesparmaßnahmen diskutiert. Neue Ölquellen, die bis dahin als zu teuer galten, wurden vor der eigenen Haustür, etwa in der Nordsee erschlossen. Und allen nachdenklichen Menschen wurde eines bewusst: Ob Erdöl, Erdgas oder Kohle, natürliche Ressourcen haben es so an sich, dass sie eines Tages zu Ende gehen.

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