Österreich

Neuer SPÖ-Chef Babler: „Die sozialen Fragen wieder mit Leben füllen!“

Kai Doering06. Juli 2023
SPÖ-Chef Andreas Babler bei Sommerfest der SPD-Bundestagsfraktion: Die Sozialdemokratie muss Partnerin sein, das einzufordern, was den Menschen zusteht.
SPÖ-Chef Andreas Babler bei Sommerfest der SPD-Bundestagsfraktion: Die Sozialdemokratie muss Partnerin sein, das einzufordern, was den Menschen zusteht.
Seit einem Monat ist Andreas Babler Vorsitzender der SPÖ. Im Interview sagt er, warum sich die Sozialdemokratie wieder mehr sozialen Fragen widmen muss. Für den Kampf gegen Rechtspopulisten fordert er ein „konsequent anderes Politikverständnis“.

Es war eine Achterbahnfahrt. Auf dem Parteitag der SPÖ am 3. Juni unterlag Andreas Babler bei der Wahl zum Vorsitzenden Hans Peter Doskozil knapp. Zwei Tage später gab es dann die faustdicke Überraschung: Beim Auszählen waren Stimmen vertauscht worden, nicht Doskozil, sondern Babler hatte die Mehrheit errungen.

Wie hat es sich angefühlt, innerhalb von 48 Stunden vom Verlierer zum Sieger zu werden?

Eine solche Situation habe ich noch nie erlebt. Eigentlich war ich mit meinem Ergebnis auf dem Parteitag sehr zufrieden, auch wenn es – scheinbar – nicht für die Wahl zum Parteivorsitz gereicht hatte. Wir haben ja innerhalb weniger Woche aus dem Nichts eine Kampagne auf die Beine gestellt, ohne irgendeinen Apparat dahinter zu haben. Als dann die Nachricht kam, dass es einen Fehler gab und ich Parteivorsitzender bin, haben wir es gut hinbekommen, keine Diskussion über das Ergebnis aufkommen zu lassen, indem wir die Stimmzettel mehrfach unter Aufsicht noch einmal haben auszählen lassen. Für Euphorie bleibt wenig Platz. Mein Team und ich sind schon an der Arbeit. Es steht ja eine Menge an.

Vor dem Parteitag gab es eine Befragung unter den SPÖ-Mitgliedern. Was hat Sie bewogen, sich für den Parteivorsitz zu bewerben?

Hinter der SPÖ liegen zweieinhalb Jahre, die geprägt waren von Fouls und vielen persönlichen Auseinandersetzungen. Viele hatten die Sorge, dass das auch nach der Mitgliederbefragung weitergehen würde. Hinzu kam der Wunsch nach einer Renaissance einer modernen Sozialdemokratie. Als es zur Mitgliederbefragung kam, haben mich deshalb viele angesprochen, dass ich mich auch um den Parteivorsitz bewerben solle. Ich habe mich dann mit meiner Frau, die auch meine engste politische Weggefährtin ist, besprochen und am Ende haben wir gemeinsam entschieden, dass ich antrete.

In welchem Zustand ist die SPÖ nach den Auseinandersetzungen der vergangenen Monate?

Die Auseinandersetzungen innerhalb der Partei dauern eigentlich schon drei Jahrzehnte an. Es ist uns zwar immer noch gelungen, griffige Überschriften zu formulieren, aber es stand immer weniger inhaltlich dahinter. Besonders die sozialen Fragen der Arbeitsproduktivität und von gelebter Gleichberechtigung müssen wir wieder viel stärker mit Leben füllen. Mit Einmalzahlungen und Almosen sind immer mehr Menschen in Österreich zu Bittstellern geworden. Das müssen wir umkehren. Es geht schließlich um soziale Rechte, die allen zustehen. Die SPÖ muss die Bewegung sein, die das einfordert und umsetzt.

Im Zuge der Mitgliederbefragung und Ihrer Wahl hatte die SPÖ einen enormen Zulauf an neuen Mitgliedern. Wie kann die Partei darauf aufbauen?

Der Zulauf hält weiter an! Wir stehen kurz davor, die Marke von 150.000 Mitgliedern zu knacken. Es gibt wahnsinnig viele Menschen, die Interesse haben, in der SPÖ mitzuarbeiten. Darunter sind auch viele, die wieder eintreten, nachdem sie 20 oder 30 Jahre nicht Mitglied gewesen sind. Das ist schon ein starkes Statement. Schön finde ich auch, dass unter den Neumitgliedern viele sind, die eintreten, weil sie merken, dass die SPÖ ganz konkret etwas mit ihrem Leben zu tun hat. Diese Menschen wollen nicht nur still dabei sein, sondern sich aktiv einbringen und mitmachen. Jetzt wird es darauf ankommen, wie wir Strukturen schaffen, in denen sie das auch können und dabei bleiben. Das ist mir auch persönlich ein großes Anliegen.

Sie haben angekündigt, dass es auch ein „außenpolitisches Comeback“ der SPÖ geben wird. Wie soll das aussehen?

Die internationale Arbeit hat leider in vielen sozialdemokratischen Parteien in Europa an Stellenwert verloren. Viele Probleme lassen sich aber nur international lösen. Eine Renaissance des Internationalismus ist deshalb dringend notwendig. Die Sozialdemokratie hat das Privileg, in einer international tätigen Bewegung organisiert zu sein. Das müssen wir wieder viel stärker nutzen. Die Grundfragen von Gerechtigkeit, dem Schutz vor Ausbeutung und dem Schutz der Natur sind auf allen Kontinenten dieselben.

Die Europawahl im kommenden Jahr wird die erste große Wahl mit Ihnen an der SPÖ-Spitze sein. Welchen Stellenwert hat sie?

Die Europawahl steht bei uns schon jetzt im Fokus. Leider ist das große Wohlstandsversprechen der Europäischen Union gebrochen worden. Es muss deshalb jetzt darum gehen, das soziale Fortschrittsprotokoll zu implementieren, um den sozialen Grundrechten in der Europäischen Union mehr Gewicht zu verleihen. Das Schlagwort der Sozialunion muss endlich mit Leben gefüllt werden. All das werden wir im Europawahlkampf in den Vordergrund rücken – als fortschrittliche Kritik an der Europäischen Union.

Bei der Europawahl wird ein Rechtsruck befürchtet. In Deutschland ist die AfD zurzeit im Aufwind. Mit der FPÖ konnten Sie bereits Erfahrungen im Umgang mit Rechtspopulist*innen sammeln. Was raten Sie der SPD?

Leider hat die SPÖ bisher kein Allheilmittel gegen die FPÖ gefunden. Was nicht funktioniert, ist nach rechts zu blinken und zu glauben, so der FPÖ das Wasser abzugraben. Ein konsequent anderes Politikverständnis, nämlich Politik von unten gedacht, die den sozialen Zusammenhalt in den Mittelpunkt rückt, hat in meiner Heimatstadt Traiskirchen zumindest dazu geführt, dass die SPÖ bei der letzten Wahl 70 Prozent der Stimmen geholt hat und die FPÖ einstellig war. Es bringt niemandem auch nur einen Cent mehr, nach unten zu treten. Stattdessen muss die Sozialdemokratie Partnerin sein, das einzufordern, was den Menschen zusteht.

weiterführender Artikel