Friedrich-Ebert-Stiftung

Mitte-Studie: Massiver Anstieg rechtsextremer Einstellungen

Jonas Jordan21. September 2023
Rechtsextreme Einstellungen haben laut der Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung stark zugenommen und sind in Ostdeutschland besonders ausgeprägt.
Rechtsextreme Einstellungen haben laut der Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung stark zugenommen und sind in Ostdeutschland besonders ausgeprägt.
Am Donnerstag hat die Friedrich-Ebert-Stiftung ihre neue Mitte-Studie vorgestellt. Sie liefert erschreckende Erkenntnisse. Die Zustimmung zu rechtsextremen Einstellungen ist deutlich gestiegen, die zur Demokratie gleichermaßen gesunken.

Alle zwei Jahre erhebt die Friedrich-Ebert-Stiftung ihre sogenannte Mitte-Studie. Stets versehen mit einem vorangestellten Attribut. Mit Blick auf rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen in Deutschland in den Jahren 2022/23 lautet der Titel „Die distanzierte Mitte“. Was auf den ersten Blick harmlos klingt, verbirgt erschreckende Erkenntnisse, spiegelt die Studie doch eine gestiegene Distanz der gesellschaftlichen Mitte zur Demokratie wider. So das Ergebnis der repräsentativen Befragung, bei der 2.000 Personen zwischen 18 und 94 Jahren in Deutschland zwischen dem 2. Januar und 28. Februar telefonisch interviewt wurden.

Laut den Autor*innen basiert die aktuelle Mitte-Studie auf einer Fortschreibung vorangegangener Studien. Dementsprechend sind auch die gewonnenen Ergebnisse vergleichbar. So sind zwar 87 Prozent der Befragten der Meinung, in einer Demokratie sollte die Würde und Gleichheit aller an erster Stelle stehen. Doch in den Jahren 2018/19 stimmten noch 93 Prozent dieser Aussage zu. Gleichzeitig sind nur noch 57 Prozent der Meinung, dass die Demokratie im Großen und Ganzen ganz gut funktioniere. Dieser Wert lag 2018/19 immerhin noch bei 65 Prozent.

Ost-West-Unterschied

Besonders auffällig: Die Zustimmung zu einem rechtsextremem Weltbild ist mit 8,3 Prozent auf einen Rekordwert gestiegen. Oder anders ausgedrückt: Jede*r Zwölfte in Deutschland teilt ein rechtsextremes Weltbild. Zum Vergleich: Vor zwei Jahren waren es noch marginale 1,7 Prozent, davor 2,5 Prozent. Zugleich ist der Graubereich auf 20 Prozent gestiegen. Nur noch 71,6 Prozent lehnen ein rechtsextremes Weltbild eindeutig ab. Fast ein Viertel stimmt der Aussage zu, dass Deutschland jetzt eine einzige starke Partei brauche, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpere.

„Was wir auch sehen, ist ein Ost-West-Unterschied“, sagt Andreas Zick, Professor für Sozialisation und Konfliktforschung an der Universität Bielefeld und neben Beate Küpper und Nico Mokros einer der Herausgeber*innen der Mitte-Studie während einer Pressekonferenz am Donnerstag in Berlin. So sei die Befürwortung einer Diktatur in Ostdeutschland weiter stärker verbreitet, ebenso die Verharmlosung des Nationalsozialismus und die Zustimmung zu Antisemitismus. Jedoch gebe es auch in Westdeutschland mit 15,1 Prozent eine hohe Zustimmung zu Fremdenfeindlichkeit.

Hohe Zustimmung zu Rechtsextremismus bei jungen Menschen

Interessant ist der Blick auf die Parteipräferenz von Menschen mit rechtsextremem Weltbild. Wenig überraschend würden 24,1 Prozent von ihnen die AfD wählen, jedoch auch 15,9 Prozent die FDP. Zugleich wird deutlich: „Die Zustimmung zu Rechtsextremismus wird jünger“, sagt Zick. Auffällig sind demnach die hohen Zustimmungswerte bei 18-34-Jährigen. 12,3 Prozent von ihnen haben laut der Studie ein rechtsextremes Weltbild. Zum Vergleich: Bei den Über-65-Jährigen sind es nur 4,4 Prozent. Insbesondere die Zustimmung zu Sozialdarwinismus, Antisemitismus sowie die Verharmlosung des Nationalsozialismus seien bei jungen Menschen besonders ausgeprägt, erklärt Nico Mokros.

Entsprechend plädieren die Autor*innen der Studie dafür, politische Bildung zu stärken. „Die Mitte hat sich in Teilen auf Distanz zur Demokratie begeben und ist nach rechts gerückt. In Teilen hat sie sich radikalisiert. Deswegen sind wir der Meinung: in Demokratieförderung investieren. Sie ist zentral. Demokratie muss gelernt und gemacht werden“, diagnostiert Andreas Zick. Er hält nichts von der viel propagierten Brandmauer gegen rechts. Denn: „Es ist kein Brand, sondern eher eine Überschwemmung in die Mitte. Wir stehen jetzt an einem Kipppunkt. Demokratie ist nicht genetisch veranlagt.“

Mehr Investitionen in die Demokratie

Die große Gefahr sehe er darin, „dass sich das, was wir beobachten, in Institutionen strukturell verankert“ und Rechtsextreme Zugang zu demokratischen Strukturen bekämen. „Das ist die neue Herausforderung. Deswegen müssen wir über andere Formen politischer Demokratiebildung nachdenken. Das muss uns viel wert sein. Denn Demokratieförderung bedeutet Prävention, Intervention, auch Deradikalisierung der Mitte.“ Kürzungen im Bereich der politischen Bildung halte er in jedem Fall für falsch. Stattdessen brauche es mehr Investitionen in die Demokratie. „Sie fällt nicht aus dem Himmel. Einstellungen können sich verändern. Nur müssen wir dafür sorgen.“

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Kommentare

Wie wäre folgende Gegenmaßnahme:

Einfach mal die Politik konsequent an den Interessen der breiten Mehrheit und insbesondere der abhängig Beschäftigten und der abgehängten Mitglieder unserer Gesellschaft ausrichten. Macht die Räume für die AfD eng und sichert Unterstützung bei breiten Bevölkerungsschichten.

Vermutlich ist das von einer Partei, deren Kernanliegen genau darin liegt, heutzutage zu viel verlangt.

An mangelnder politischer Bildung liegt dieser Trend jedenfalls nicht. In meinem Bekanntenkreis wissen alle, die jetzt erstmalig die Wahl der AfD erwägen, ganz genau was sie tun und wen sie da wählen. Sie sehen nur keinen anderen Weg mehr, ihren Unmut über die Politik der Mainstreamparteien (inklusive der Linken) zu artikulieren.

Konkreter? Will die SPD etwas wirksames tun, muss sie wieder konsequent für Umverteilung von Oben nach Unten eintreten. In allen Farben und Formen und unter Tragung aller unangenehmen Konsequenzen. Und wenn es die temporäre Verbannung auf die Oppositionsbänke ist, weil man das Großkapital verärgert hat.

Das und nur das ist die Rolle der Sozialdemokratie.
Sonst ist sie entbehrlich und durch die AfD ersetzbar.

"Umverteilung von Oben nach

"Umverteilung von Oben nach Unten"

Ich glaube kaum, dass das wirklich das Thema ist, das die Leute bewegt. Gerade im Osten hat man schon Erfahrungen mit "Umverteilung" und "Vergesellschaftung" gemacht. Irgendwann gab es keine "Reichen" mehr und somit nichts mehr zum umverteilen. Theoretisch hat allen alles gehört ("Volkseigentum") aber praktisch hat niemandem irgendetwas gehört.
Alle waren gleich arm und niemand hat sich um irgendetwas gekümmert, so das alles verfallen ist.

ja, das ist arg, und es stellen sich einige Fragen zu den

daraus abzuleitenden Konsequenzen.
Dabei muss aber auch berücksichtigt werden, dass nunmehr fast 40% der Bevölkerung (und damit wohl auch 40% der Befragten), einen Migrationshintergrund bzw. einen nichtdeutschen Pass haben. Wir nehmen zur Kenntnis, dass ein starker Führer wie Erdogan bei seinen hier lebenden Landsleuten so starken Zuspruch findet, erwarten dann aber, dass eben diese Landsleute in den hier zugrunde gelegten Befragungen anders votieren. Das geht doch nicht- repräsentativ ist eben auch die Meinung derer die (noch) keine demokratische Grundeinstellung haben erwerben können, weil sie noch nicht ausreichend lange demokratisch sozialisiert sind.
Schon damit relativiert sich die Studie, wegen des anhaltenden Zuzugs auch im vergleich mit Vorjahresergebnissen. Das bedeutet nicht, dass wir den gefahren nicht begegnen müssen, mit noch mehr Schulungen und am bestens auch Fernseh- und Rundfunksendungen für die Migranten in deren Sprachen. Das hart dann nicht nur Auswirkungen auf die Ergebnisse solcher Studien, es hilft uns allen auch im Alttagsleben.