Vergessene Sozialdemokrat*innen

Karl Wilhelm Tölcke: Vater der westfälischen Sozialdemokratie

Lothar Pollähne30. November 2023
Einer der führenden Köpfe aus den Anfängen der Sozialdemokratie: Karl Wilhelm Tölcke (l.), hier mit Ferdinand Lassalle
Einer der führenden Köpfe aus den Anfängen der Sozialdemokratie: Karl Wilhelm Tölcke (l.), hier mit Ferdinand Lassalle
Mit August Bebel liegt er über Kreuz. Später wird Karl Wilhelm Tölcke einer der Architekten der Vereinigung von ADAV und SDAP zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands. Besonders die SPD in Westfalen hat ihm einiges zu verdanken.

August Bebel glaubt seinen Augen nicht zu trauen, als er am 5. April 1865 den „Social-Demokrat“ aufschlägt, das inoffizielle Organ des Allgemeinen Deutschen Arbeiter-Vereins (ADAV). Spaltenlang muss er einen Artikel über eine Königsgeburtstagsfeier lesen, welche die Mitglieder des Allgemeinen Deutschen Arbeiter-Vereins in Iserlohn veranstaltet hatten, die mit einem Hoch auf den König von Preußen einherging. Es wurde eine telegraphische Depesche mit einem Glückwunsch zum Geburtstag an den König versandt, die dieser mit bestem Dank beantworten ließ. Dies wurde im Versammlungssaal mit einem gewaltigen Hoch auf Seine Majestät aufgenommen. Im Saal prangte ein Banner mit der Aufschrift „Heil dem König, dem Beschützer der Bedrängten“. „Ein Kriegerverein konnte nicht patriotischer handeln“, schimpft August Bebel über die frevelhafte Veranstaltung und ihren Berichterstatter Karl Wilhelm Tölcke, der in seinem Iserlohner Revier der ungekrönte Arbeiterkönig ist.

Haltlosse Behauptungen des „Knüppeltölcke“

Freunde werden Karl Wilhelm Tölcke und August Bebel nicht. Kurz vor dem Eisenacher Parteitag von 1869, der mit der Gründung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei endet, behauptet Tölcke im „Social-Demokrat“, Bebel beziehe vom Ex-König von Hannover eine jährliche Besoldung von 600 Talern. Beweise für diese Anschuldigung kann Tölcke nicht beibringen, und auch die Absicht, August Bebel politisch zu schaden, misslingt gründlich. Aber auch der Denunziant Karl Wilhelm Tölcke übersteht diese Affäre ohne Kratzer, obwohl er vorerst weiter gegen die Sozialdemokratische Arbeiterpartei zu Felde zieht. Zu diesem Zweck hat er eine eigene „Putztruppe“ ins Leben gerufen, die vorgeblich die Veranstaltungen des ADAV schützen soll, hauptsächlich jedoch, gegnerische sozialdemokratische Treffen zu stören hat. In einer zeitgenössischen Karikatur wird er daher als „Knüppeltölcke“ dargestellt.

Karl Wilhelm Tölcke wird am 31. Mai 1817 im sauerländischen Eslohe geboren, wohin sein Vater als preußischer Gendarm versetzt worden war. Trotz der Autoritätsstellung des Vaters lebt die Familie in bescheidenen Verhältnissen. Der Wind weht durch die Fensterritzen und im Winter fehlt häufig das Geld, um Feuerholz zu kaufen. Nach Abschluss der Volksschule beginnt Tölcke 1832 eine Ausbildung im Justizverwaltungsdienst, die er für die Ableistung des Militärdienstes unterbrechen muss. Ab 1844 arbeitet er als Gerichtsaktuar und Salarien-Kassenkontrolleur am Land- und Stadtgericht in Altena — ist also Vertreter des Amtsrichters. 1848 wird er zum Büroleiter ernannt und wird so zur Respektsperson. Warum sich Karl Wilhelm Tölcke in den Tagen der „Märzrevolution“ politisiert, ist nicht bekannt.

Republikanische Vorstellungen liegen ihm fern

Am 8. April 1848 veröffentlicht Tölcke im „Altenaer Wochenblatt“ einen Aufruf zur Gründung einer kampffähigen Bürgerwehr und wird wenige Wochen später wegen „Dienstvernachlässigung“ entlassen. Das ist undankbar von Seiten der preußischen Justizverwaltung, denn Karl Wilhelm Tölcke ist weder ein Umstürzler noch ein Gegner der Monarchie. Am 20. Juli 1848 ist er Mitgründer  des konstitutionellen Bürgervereins und wird zu dessen provisorischen Präsidenten gewählt. Republikanische Vorstellungen liegen ihm fern.  Karl Wilhelm Tölcke strebt eine konstitutionelle Monarchie an. Als ihm während des „Iserlohner Aufstands“ in der Endphase der Revolution die Führung der Altenaer Bürgertruppe angetragen wird, lehnt er ab, weil er nach wie vor legalistisch denkt.

Dennoch wird Karl Wilhelm Tölcke steckbrieflich wegen Hochverrats gesucht. Nachdem er sich der Polizei gestellt hat, kommt es zu einem Prozess, der mit dem Freispruch Tölckes endet. In einem weiteren Verfahren wird er schließlich wegen vermeintlicher Unterschlagung zu einer Geldstrafe und zur Aberkennung seiner bürgerlichen Ehrenrechte verurteilt. Der Dienst in der Justizverwaltung ist ihm fortan verwehrt, und so versucht sich Karl Wilhelm Tölcke als Handlungsreisender und Schriftsteller. Da er 1857 wegen „Amtsbeleidigung“ zur drei Monaten Haft verurteilt wird, scheitern seine Bemühungen, die bürgerlichen Ehrenrechte wieder zu erlangen.

Wichtigster Agitationsredner im Rheinland und in Westfalen

Anfang 1865 stößt Karl Wilhelm Tölcke in Iserlohn zum ADAV und wird bald auf Grund seiner organisatorischen und rhetorischen Fähigkeiten zum wichtigsten Agitationsredner im Rheinland und in Westfalen. Seine Erfolge lassen die ADAV-Spitze aufhorchen. Während der 2. Generalversammlung des ADAV wird Tölcke am 30. November zum Präsidenten gewählt. Das kann nicht gut gehen, denn der ADAV ist ein organisatorischer Trümmerhaufen, dem es an politischer Orientierung mangelt. Vor allem die Nachlass-Verweserin des Lassalle’schen Erbes, Sophie Gräfin Hatzfeld, erweist sich als Intrigantin. Sie verbündet sich schließlich sogar mit der Polizei, die Karl Wilhelm Tölcke wegen der fehlenden bürgerlichen Ehrenrechte die Anerkennung als Präsident des ADAV verweigert.

Im Juni 1866 tritt Tölcke von seinem Amt zurück, bleibt aber im Hintergrund einflussreich. Ein Jahr später wird er besoldeter Sekretär des ADAV und der nächste Konflikt ist absehbar. Der Präsident des ADAV, Johann Baptist von Schweitzer, mit dem Tölcke als konstitutioneller, sozialistischer Monarchist weitgehend auf einer Linie liegt, wird der Hintertriebenheit des Westfalen überdrüssig und entlässt ihn 1870.

Der Kurswechsel des ADAV

In Tölckes Amtszeit als Sekretär  fällt 1868 die Gründung der „Allgemeinen Genossenschaft der Berg-, Hütten- und Salinenarbeiter“, die als eine der ersten Gewerkschaften in deutschen Landen gilt. Tölcke, obwohl im Sinne Lassalles und Schweitzers ein Gegner von Gewerkschaften, hat die Zeichen der Zeit erkannt. Angesichts sinkender Mitgliedszahlen und schwindendem Einfluss auf die sich entwickelnde Arbeiterbewegung, setzt sich Tölcke an die Spitze der Genossenschaft, in der Hoffnung, damit seine politischen Einflussmöglichkeiten auszubauen. Im ADAV allerdings verliert er an Einfluss und wird gar 1872 aller Vorstandsämter enthoben. Ohne jedes Quäntchen an Selbstkritik schreibt Tölcke: „Wenn man die Geschichte des Vereins betrachte, so falle es einem in die Augen, das jedesmal, wenn derselbe in die Höhe ging, irgendein Experimentchen gemacht wurde, das ihn wieder herunterbrachte.“

Wilhelm Hasenclever sorgt als Nachfolger Schweitzers dafür, dass Karl Wilhelm Tölcke weiterhin dem Vorstand des ADAV verbunden bleibt. Als der ADAV 1874 in Preußen verboten wird, dämmert es Tölcke, dass der Zwist zwischen den Lassalleanern und den Eisenachern nicht weiter fortgeführt werden darf. Mit Billigung Hasenclevers kann Tölcke schließlich den Kurswechsel des ADAV einleiten. Am 11. Oktober 1874 besucht er Wilhelm Liebknecht in Leipzig, erklärt ihm, dass sich die „Deutschen Allgemeinen“ vollständig „en deroute“, also in Auflösung, befänden und bietet die Vereinigung beider Arbeiterparteien an.

Achtungserfolg bei der Reichstagswahl

In der Folge erarbeiten paritätisch besetzte Kommissionen ein gemeinsames Parteiprogramm, das am 14. und 15. Februar 1875 in Gotha verabschiedet wird. An diesem Treffen nimmt Karl Wilhelm Tölcke wegen innerparteilicher Konflikte nicht teil. Nach dem Vereinigungsparteitag, der vom 22. bis zum 27. Mai in Gotha stattfindet, zieht Karl Wilhelm Tölcke nach Dortmund und organisiert die Konsolidierung der neuen Partei, gründet den Dortmunder Ortsverein und wird Redakteur der sozialdemokratischen „Westfälischen Freien Presse“. 1879 kandidiert er erfolglos für die Dortmunder Stadtverordnetenversammlung. Auch seine Reichstagskandidatur scheitert 1890, aber Karl Wilhelm Tölcke erzielt einen Achtungserfolg und erreicht 26,7 Prozent der Stimmen.

Als Bismarcks Sozialistengesetze am 30. September 1890 außer Kraft gesetzt werden, stürzt sich Karl Wilhelm Tölcke trotz gesundheitlicher Beschwerden in den Wiederaufbau der westfälischen Partei und der sozialdemokratischen Presseorgane. Im Jahr darauf besucht er seinen letzten Parteitag in Erfurt und nimmt teil an der Verabschiedung des Erfurter Programms der SPD. Die Dortmunder Genossen überreden den alten, kranken Mann 1893, noch einmal für den Reichstag zu kandidieren. Diese Wahl verliert er nur knapp gegen einen nationalliberalen Kandidaten. Karl Wilhelm Tölcke, der „Vater der westfälischen Sozialdemokratie“, stirbt am 30. November 1893 und wird unter großer Anteilnahme am 4. Dezember des Jahres auf dem Ostenfriedhof in Dortmund bestattet.

weiterführender Artikel

Kommentare

und nicht nur das- wenn ich recht informiert bin, handelt

es sich auch um den Großvater des Showmasters Wim Toelcke