Regine-Hildebrandt-Preis

„Jamel rockt den Förster“: Auszeichnung für Kampf gegen Nazi-Nachbarn

Jonas Jordan18. Oktober 2023
Horst und Birgit Lohmeyer mit Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig, der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer und der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken bei der Verleihung des Regine-Hildebrandt-Preises im vergangenen Jahr.
Horst und Birgit Lohmeyer mit Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig, der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer und der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken bei der Verleihung des Regine-Hildebrandt-Preises im vergangenen Jahr.
Horst und Birgit Lohmeyer zeigen durch ihr Engagement, dass Jamel nicht nur ein Nazi-Dorf ist. Seit mehr als 15 Jahren veranstalten sie das Festival „Jamel rockt den Förster“ und wurden dafür nun mit dem Johannes-Stelling-Preis ausgezeichnet.

Eigentlich könnte das Dorf Jamel in Mecklenburg-Vorpommern mit seinen laut Wikipedia 35 Einwohner*innen ein beschauliches Örtchen zwischen Wismar und Lübeck sein. Wäre da nicht die Vorsilbe „Nazi-“. Denn seit Jahrzehnten gilt Jamel als Nazi-Dorf. Dass nicht alle Menschen im Ort Anhänger*innen des Rechtsextremismus sind, hat in erster Linie mit Birgit und Horst Lohmeyer zu tun. Die beiden wohnen seit 2004 in Jamel und werden nicht müde, die Fahne gegen Rechts hoch zu halten. Seit 2007 veranstalten sie daher das Festival „Jamel rockt den Förster“. 

Engagierte Leute gegen Rechtsextremismus

„Wir wollten der gezielten Besiedelung unseres Dorfes durch rechtsextreme Familien nicht tatenlos zusehen. Als sie anfingen, uns zu mobben und uns augenscheinlich vertreiben wollten, haben wir gesagt, wir müssen uns wehren“, erklärt Birgit Lohmeyer im Gespräch mit dem „vorwärts“, wie es vor mehr als 15 Jahren zur ersten Auflage kam. Sie wollten sich nicht mit Gewalt wehren, sondern mit anderen Mitteln. „Wir haben uns dann ganz schnell überlegt, dass wir auf unserem großen Hof wunderbare Möglichkeiten haben, öffentliche Veranstaltungen anzubieten. Wir haben Kunst- und Gartenausstellungen gemacht und der Bevölkerung so eine sichere Möglichkeit gegeben, sich das Dorf Jamel und was hier passiert, mal anzuschauen. Da Horst Musiker ist, hatten wir die Idee: Musik wäre auch cool“, erzählt sie.

Was damals im kleinen Rahmen begann, ist inzwischen deutlich größer geworden. Namhafte Bands und Künstler*innen wie die Toten Hosen, die Ärzte, Herbert Grönemeyer oder die Sportfreunde Stiller traten in den vergangenen Jahren bei Horst und Birgit Lohmeyer auf dem ehemaligen Forsthof auf. Alle komplett ohne Gage, da das Festival nicht-kommerziell und ehrenamtlich organisiert ist. „Das sind sehr engagierte Leute, die auch kein Blatt vor den Mund nehmen, um von der Bühne herunter etwas gegen Rechtsextremismus zu sagen. Insofern sind wir sehr stolz und freuen uns über die Unterstützung“, freut sich Lohmeyer.

Große Unterstützung durch die Toten Hosen

Vor allem die Unterstützung der Toten Hosen habe enorm dazu beigetragen, das Festival so groß und bundesweit bekannt zu machen. Nicht nur durch den unangekündigten Auftritt der Band 2015, sondern auch im Nachgang, als sie den Lohmeyers Leute aus dem Musikbusiness an die Seite gestellt haben, die bei der Organisation geholfen haben. Es war ein sichtbares Zeichen der Solidarität, nachdem die Scheune des Ehepaars auf dem Hof in Jamel im selben Jahr durch Brandstiftung komplett abgebrannt ist.

Von den Bedrohungen und Beleidigungen ihrer rechtsextremen Nachbarn lassen die beiden sich weder einschüchtern noch vertreiben. „Es wird nach wie vor sabotiert, wo es nur geht“, sagt Birgit Lohmeyer und denkt trotzdem nicht ans Aufhören. Ein bisschen „reclaim your village“, also das eigene Dorf zurückholen, sei auch mit dabei, sagt sie. „Nicht nur die Nazis haben die Deutungshoheit über alles, was Jamel betrifft.“ 

Preise für Aufklärungsarbeit

An Veränderung im Ort durch ihr Engagement und das Festival glaubt sie trotzdem nicht: „Nein, so naiv sind wir nicht, dass wir das erwartet hätten. Hier im Ort sind alle Immobilien in festen Händen. Und selbst wenn eine Nazi-Familie mal ihr Haus verkaufen wollte, ist klar, aus welcher Ecke die Käufer kommen würden. Demografisch wird sich Jamel also in keiner Weise verändern. Das war auch gar nicht unser Ziel. Wir wollen niemanden vertreiben, im Gegensatz zu unseren Nazi-Nachbarn, die uns gerne vertrieben hätten. Es geht uns darum, aufzuklären und gesellschaftlich zu wirken.“

Für dieses gesellschaftliche Wirken wurde das Ehepaar in den vergangenen Jahren bereits mit einigen Preisen ausgezeichnet, wie zum Beispiel dem Regine-Hildebrandt-Preis der SPD im vergangenen Jahr: „Wir sind Bewunderinnen von Regine Hildebrandt gewesen. Sie war zu ihren Lebzeiten eine sehr kämpferische und klar denkende Person, die kein Blatt vor den Mund nahm, wenn es notwendig war. Wenn wir uns durch den Preis in die politische Tradition, die sie geprägt hat, einreihen dürfen, sind wir darüber sehr glücklich“, sagt Birgit Lohmeyer, die selbst SPD-Mitglied ist. Am Dienstag kam eine weitere Ehrung für Horst und Birgit Lohmeyer hinzu. Die SPD-Landtagsfraktion in Mecklenburg-Vorpommern zeichnete sie mit dem Johannes-Stelling-Preis aus. 

Mit ihm werden Menschen geehrt, die sich in besonderer Weise gegen Rassismus und Rechtsextremismus einsetzen und Zivilcourage zeigen. Namensgeber ist der in Hamburg geborene Sozialdemokrat Johannes Stelling. Er war von 1919 an zunächst Innenminister und von 1921 bis 1924 dann Ministerpräsident des damaligen Freistaats Mecklenburg-Schwerin. Wegen seiner kritischen Haltung zur NS-Diktatur wurde er im Juni 1933 zusammen mit anderen aufrechten Demokraten in Berlin von den Nazis ermordet.

Schwarzer Vorhang bis zum Auftritt

Wer im kommenden Jahr auf der Bühne stehen wird, ist wie immer noch nicht bekannt. „Das ist unser Konzept seit 2016. Nachdem die Toten Hosen ganz überraschend hier gespielt hatten, haben ganz viele Leute gesagt: Hätte ich das gewusst, wäre ich auch gekommen“, erklärt Lohmeyer. Deswegen hängt vor der Bühne stets ein riesiger, schwarzer Vorhang, der erst fällt, wenn die Künstler*innen ihre ersten Akkorde spielen. Denn: „Das soll hier kein ganz normales Musikfestival sein. Wir möchten gerne ein Publikum erreichen, das weiß, worum es hier geht und selbst auch Flagge zeigen möchte durch ihre Anwesenheit.“

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