Vor 76 Jahren

Nach Hiroshima: Wir können uns neues atomares Wettrüsten nicht leisten

Gedenken in Hiroshima: 75 Jahre nach dem ersten Atombombenabwurf ist Zeit für eine neues Jahrzehnt der Abrüstung.
Gedenken in Hiroshima: 75 Jahre nach dem ersten Atombombenabwurf ist Zeit für eine neues Jahrzehnt der Abrüstung.
Vor 76 Jahren töteten die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki zehntausende Menschen. Heutige Atomwaffen sind noch weitaus zerstörerischer. Ein neues atomares Wettrüsten muss unbedingt verhindert werden.

Der Jahrestag der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki, oft als historisches Ereignis zelebriert, erinnert uns heute auf eindringliche Weise daran, welche schrecklichen und katastrophalen Folgen der Einsatz selbst einer einzigen Atombombe haben kann. Der Abwurf zweier „kleiner Atombomben“ auf die wehrlosen und unvorbereiteten japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki tötete sofort insgesamt zwischen ca. 55.000 und 130.000 Menschen. Dazu kamen Hunderttausende von Verletzten und spätere Strahlenopfer („Hibakusha“).

Die Gründe für die Abwürfe waren die Beendigung des Krieges, Vergeltung, Machtdemonstration, politisches Nach- kriegskalkül sowie ein zynisches wissenschaftliches Experiment. Die Abwürfe markierten den Beginn des Atomzeitalters, das in unseren Tagen durch ein neues nukleares Wettrüsten – teils quantitativ, teils qualitativ – fortgeführt wird und die Atomkriegsgefahr erhöht.

Klimawandel und Atomwaffen bedrohen die Menschheit

Die Menschheit sieht sich zwei tödlichen Bedrohungen ausgesetzt: Zum einen spielen die Langzeitfolgen des Klimawandels in der politischen Debatte endlich eine immer größere Rolle. Wie der menschengemachte Klimawandel und die zunehmende Zerstörung lebenswichtiger Ökosysteme bedrohen, zum anderen, Atomwaffen, zunehmende Aufrüstung und die erkennbar werdenden Kriegsvorbereitungen die Existenz und Zukunft der Menschheit. Der Klimawandel ereignet sich in zeitlich längeren Perioden. Im Gegensatz dazu kann sich die Menschheit mit dem massiven Einsatz heutiger, verglichen mit Hiroshima und Nagasaki, weitaus zerstörerischerer Atomwaffen in 24 Stunden selbst auslöschen. Dies vermag keine andere Technologie.

Mit dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ vor 30 Jahren war die Hoffnung auf tiefgreifende Abrüstung und verifizierbare Rüstungskontrolle auch im Hinblick auf eine Welt ohne Atomwaffen verbunden. Trotz vielversprechender Erfolge in den 1990er Jahren durch neu geschlossene Abrüstungsverträge (INF, New START) wird dieses Erbe zur Zeit verspielt. Der INF-Vertrag wurde gekündigt, der letzte strategische Rüstungskontrollvertrag New START zwischen den USA und Russland kurz vor Ablauf immerhin um fünf Jahre bis 2026 verlängert.

Entfällt die vertragliche Bindungsverpflichtung zwischen den beiden führenden Atomwaffenmächten, ist ein neues jahrelanges nukleares Wettrüsten vorprogrammiert. Insbesondere Russland, die USA und China investieren in die Entwicklung neuer Atomwaffen und Trägersysteme. Dies heizt die nukleare Weiterverbreitung an und verschärft die Nuklearkrisen im Mittleren Osten (Iran, Israel, Saudi-Arabien etc.) und in Asien (Nordkorea).

Eine atomwaffenfreie Welt rückt in weite Ferne

Nach Jahrzehnten der Abrüstung scheint die Vision einer Welt ohne Atomwaffen wieder in weite Ferne gerückt zu sein. Ein internationaler Dialog zu Kriegsverhütung, Risikominderung und Abrüstung wird nicht mehr geführt. Wie ehemalige Entscheidungsträger*innen und die Expert*innen des „Bulletin of the Atomic Scientists“ immer wieder betonen, ist das Risiko eines eskalierenden Atomwaffeneinsatzes größer als zur Zeit des Kalten Krieges. Neue Technologien, Nationalismus und massive Militärausgaben verschärfen die Situation.

Angesichts der voranschreitenden SARS-2-COVID-Krise sind enorme Investitionen in die Gesundheitssysteme, die Wirtschaft und das soziale Leben erforderlich. Die immensen Kosten eines neuen nuklearen Wettrüstens kann sich die Welt schlicht nicht leisten. Die Europäer*innen müssen in dieser Situation selbst aktiv werden, um ein Wettrüsten auf ihrem Territorium und weltweit zu verhindern und aktuelle Nuklearkrisen zu entschärfen. Dialog und Gemeinsame Sicherheit müssen wieder Bestandteil der Diplomatie und außenpolitischer Initiativen werden.

Die Bundesregierung, im Verbund mit weiteren führenden europäischen Regierungen, muss sich dafür einsetzen, dass

  • eine öffentliche Diskussion in den NATO-Staaten über die Nuklearstrategie in Europa und über die Eskalationsrisiken durch die Stationierung neuer Atomwaffen geführt wird,
  • keine neuen Trägersysteme mit Atomwaffen auf europäischem Boden stationiert werden, solange sich alle Seiten nachprüfbar an den Status Quo halten, dass die taktischen Atomwaffen in Europa, auch die Russlands, nachprüfbar abgezogen bzw. zerstört werden,
  • die europäischen Staaten Rüstungskontrollverhandlungen mit Russland vorbereiten und aufnehmen, um den Ausbau konventioneller Streitkräfte in und um Europa verifizierbar zu beschränken und die Stationierung neuer taktischer Nuklearwaffen zu verhindern,
  • die P5-Staaten (Atommächte) aufgefordert werden, eine öffentliche Erklärung dazu abzugeben, dass ein Atomkrieg nicht gewonnen werden kann und daher niemals geführt werden darf, dass die P5-Staaten darüber hinaus einen strukturierten Dialog über neue Bedrohungen durch neue Atomwaffen und neue Technologien beginnen, die zu einem Krieg aus Versehen und damit zu einem globalen Atomkrieg führen können,
  • die Stockholm-Initiative von 16 Ländern für neue Impulse zur nuklearen Abrüstung stärker unterstützt wird und ein klares Zeichen zur verstärkten Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedern des Nichtverbreitungsvertrages, die nach wie vor auf nukleare Abschreckung setzen, und denen, die den neuen Atomwaffenverbotsvertrag unterzeichnet haben, abgegeben wird. Der Einsatz von Atomwaffen ist aufgrund seiner katastrophalen Konsequenzen völkerrechtlich zu ächten. Deshalb ist die Bundesregierung aufgefordert, den Atomwaffenverbotsvertrag zu zeichnen.

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Kommentare

Erster Schritt

Raus mit den in Büchel (und vielleicht auch anderswo) gelagerten Atombomben. Das entspäche dem Beschluss des Bundestages und "nucleare Teilhabe" verstößt sowieso gegen den völkerrechtlich bindenden Atomwaffensperrvertrag.