Tag gegen Gewalt an Frauen

Frauen in Gefahr: Warum häusliche Gewalt alle treffen kann

Lars Haferkamp25. November 2023
Katarina Barley und Sarah Bora: „Von Jahr zu Jahr nahm die Aggressivität zu.“
Katarina Barley und Sarah Bora: „Von Jahr zu Jahr nahm die Aggressivität zu.“
Wie wird aus dem idealen Liebespartner ein Gewalttäter? Die Autorin Sarah Bora hat es erlebt. Mit Katarina Barley, der SPD-Spitzenkandidatin zur Europawahl 2024, sprach sie über ihre erschütternde Geschichte – die dennoch Mut macht.

Am 25. November ist der Tag gegen Gewalt an Frauen. Sarah Bora ist eines der vielen Opfer häuslicher Gewalt geworden. Darüber hat sie ein bewegendes Buch geschrieben mit dem Titel „Kämpferin – Wie ein Mann mir mein Leben nahm und ich es mir zurückholte“.

Katarina Barley, die Vizepräsidentin des EU-Parlamentes und designierte SPD-Spitzenkandidatin zur Europawahl 2024, hat sich mit Sara Bora zum Gespräch getroffen. Die frühere Bundesfrauenministerin spricht dabei von einem „Thema, das viel mehr Menschen betrifft, als man glauben möchte“. Leider hätten nur wenige den Mut, darüber auch in der Öffentlichkeit zu sprechen. Das sei aber „unglaublich wichtig“, so Barley, auch um anderen Betroffenen Mut zu machen.

„Von Jahr zu Jahr nahm die Aggressivität zu“

Genau das macht Sarah Bora. Sie erzählt ihre Geschichte als Opfer von Gewalt in einer Partnerschaft. Bereits als 13-Jährige sei sie in eine „toxische Beziehung“ geraten. Auch deshalb habe sie nicht gleich erkennen können, wie langsam aus Liebe Gewalt wurde. Dennoch habe sie „sehr früh gemerkt, dass hier etwas nicht stimmt“. Es begann mit Kontrolle und Überwachung und mündete nach zwei Jahren schließlich in körperlicher Gewalt. „Von Jahr zu Jahr nahm die Aggressivität zu.“ Acht Jahre brauchte Sarah Bora, um sich aus dieser gewalttätigen Beziehung zu befreien. „30-mal“ hatte sie versucht sich zu trennen und schafte es nicht, immer wieder.

Warum? Die Autorin beschreibt die Isolation aus ihrem sozialen Umfeld als zentrale Täterstrategie, um sie unter Kontrolle zu halten. Auch habe es „eine absolute emotionale Abhängigkeit“ gegeben, „die man selber nicht merkt“. Als weitere Täterstrategie sieht Bora das sogenannte „Love Bombing“: „Das heißt, dein Gegenüber schüttet dich so zu mit Liebe, dass du wirklich davon überzeugt bist, das ist der ideale Partner.“ Bis zum Ende habe man die Hoffnung, der Partner kehre zu diesem Idealzustand zurück, auch wenn er längst gewalttätig geworden sei. „Bis man letztendlich Angst um sein Leben hat.“ Und als wäre das nicht schlimm genug, folgten nach der Trennung noch drei Jahre Stalking durch ihren Ex-Partner.

Es gibt weder das typische Opfer, noch den typischen Täter

Bei vielen Frauen spiele auch noch eine finanzielle Abhängigkeit vom Mann eine Rolle, die es schwer mache, sich zu trennen. Für Sarah Bora war es wichtig, „unbedingt“ eine Ausbildung zu absolvieren. „Ich wusste, dass Bildung der Schlüssel für mich sein wird zu gehen.“ Zum Schluss habe sie den Mut gehabt, den Partner zu verlassen, „weil ich mein eigenes Geld verdient habe“.

Häusliche Gewalt, davon ist Sarah Bora überzeugt, kann jeden treffen. „Ich glaube, das häusliche Gewalt kein Alter, keine Herkunft und auch keinen Bildungsstand kennt.“ Weder gebe es das typische Opfer, noch den typischen Täter. Ihre Botschaft an alle Betroffenen formuliert sie so: Eine Gewaltbeziehung bedeute für die Opfer nicht das Ende. „Es gibt einen Weg daraus.“ Und sei auch möglich, wie bei ihr mit Mann und Kind, wieder frei und glücklich zu werden. „Jeder hat ein glückliches Leben verdient“, sagt Sarah Bora.

Hilfe ist da ­– und muss ausgebaut werden

Damit das allen gelingt, verweist Katarina Barley auf das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ mit der neuen kürzeren Rufnummer 116 016. Als Bundesfrauenministerin war sie dort einmal zu Besuch, berichtet Barley. Sie richtet einen „ganz großen Dank an die Frauen, die dort arbeiten“. Sie würden den Betroffenen „wirklich helfen“. Auch Frauenhäuser seien eine wichtige Möglichkeit zum Schutz. Umso bedeutender sei es, betont Barley, dass Frauenhäuser inzwischen deutlich besser ausgestattet seien, mehr Plätze anbieten könnten und der Bund sich auch an ihrer Finanzierung beteilige.

Sarah Bora sieht weiteren Handlungsbedarf der Politik. Sie wünscht sich mehr Frauenhäuser und mehr Präventionsarbeit zum Schutz von Frauen vor Gewalt. Sie denkt dabei an große Aufklärungskampagnen, etwa an Schulen. Katarina Barley stimmt zu. Gerade jungen Männern müsse früh vermittelt werden, „dass Gewalt in einer Beziehung falsch ist“ und dass sie „alles kaputt macht“.

Katarina Barley: EU-Richtlinie kommt

Die Vizepräsidentin des Europäischen Parlamentes kündigt am Ende des Gespräches eine Richtlinie der EU gegen häusliche Gewalt an. Dadurch solle es in allen EU-Ländern Mindestvorgaben geben. Alle EU-Staaten müssten sich kümmern „um dieses schreckliche Problem, das so viele Frauen haben“.

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Kommentare

die Gefahr will ich nicht bestreiten, auch wenn

es sich um- zweifellos furchtbare Einzelfälle handelt, die gerade an so einem Spezialtag noch mal ins Zentrum der Betrachtung gelangen. Wichtig ist doch bei alldem auch, auch auf die Defizite hinzuweisen, die in Sachen psychologischer Behandlungsmöglichkeiten bestehen. Ich glaube schon, dass man den allzu männlichen Männern mit einer gezielten Betrachtung den zahn ihrer Männlichkeit ziehen kann, so dass sie- wie die überwiegende Mehrheit- nicht so frauenfeindlich agieren, wie sie es ohne Therapie leider tun. So sind die Täter immer auch Opfer unserer falsch gesetzten Prioritäten- wir brauchen mehr Therapeuten- dann klappt es auch bei der Behandlung der Frauen. Zudem muss natürlich auch bei der Erziehung der Jungens darauf geachtet werden, dass diese lernen, Frauen freundlich und respektvoll zu begegnen. Wenigstens die Kinder, die hier im Lande aufwachsen, kann man damit doch gut erreichen. Schließlich gilt ja: "Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr". Sorgen wir dafür dass Hänschen sich zu einem umgänglichen, den Frauen zugeneigten Hans entwickelt .