Europäische Union

EU-Anwärter Ukraine: So funktioniert der Beitritt zur EU

Lars Haferkamp08. November 2023
Eine EU-Perspektive für die Ukraine: Der Weg nach Europa könnte aber noch lang sein.
Eine EU-Perspektive für die Ukraine: Der Weg nach Europa könnte aber noch lang sein.
Die EU-Kommission empfiehlt den Beginn von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine. Was bedeutet das? Wie wird ein Land Mitglied der EU? Welche Kriterien muss es dafür erfüllen? Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

Welche Kriterien muss ein Staat erfüllen für einen Beitritt zur EU?

Der EU-Vertrag räumt jedem europäischen Land das Recht ein, einen Antrag auf EU-Mitgliedschaft zu stellen. Das gilt für alle Mitglieder des Europarates. Alle Staaten, die Mitglied der Europäischen Union werden wollen, müssen dafür aber bestimmte Kriterien erfüllen. Diese haben die EU die Staats- und Regierungschefs 1993 bei ihrem Gipfeltreffen in der dänischen Hauptstadt Kopenhagen festgelegt. Man spricht deshalb auch von den drei „Kopenhagener Kriterien“, sie umfassen politische, wirtschaftliche und rechtliche Bedingungen.

Welche politischen Voraussetzungen müssen die Bewerberstaaten erfüllen?

Das „politische Kriterium“ der EU sieht vor, dass die Beitrittskandidat*innen eine funktionierende demokratische und rechtsstaatliche Ordnung haben, dass sie über stabile politische Institutionen verfügen, dass die Menschenrechte gewahrt werden sowie die Achtung und der Schutz von Minderheiten gewährleistet ist.

Welche Rolle spielt die wirtschaftliche Entwicklung?

Die EU erwartet von neuen Mitgliedern auch die Erfüllung eines „wirtschaftlichen Kriteriums“. Das bedeutet konkret, es muss eine funktionsfähige Marktwirtschaft geben. Diese muss darüber hinaus die Fähigkeit haben, dem hohen Wettbewerbsdruck innerhalb des EU-Binnenmarktes standzuhalten, also wettbewerbsfähig zu sein. Auch eine Offenheit der Märkte gegenüber dem Ausland wird erwartet.

Welche rechtlichen Anforderungen stellt die EU?

Die EU verlangt von allen Mitgliedern die komplette Übernahme des gesamten gemeinschaftlichen Rechts. Die EU will so sicherstellen, dass alle künftigen Mitglieder sich an die aus einer EU-Mitgliedschaft erwachsenden Verpflichtungen und Ziele halten.

Muss die EU selbst auch Voraussetzungen erfüllen für eine Erweiterung?

Nicht juristisch, aber politisch. Hierbei geht um die Aufnahmefähigkeit der EU. Sie wird seit Jahren etwa sehr kontrovers hinsichtlich eines möglichen Beitritts der Türkei diskutiert. Sie ist eine hochpolitische Frage innerhalb der EU und damit keine Bedingung, die ein*e Aufnahmekandidat*in erfüllen muss. Selbst wenn diese*r alle Kriterien erfüllt, könnte die EU einen Beitritt ablehnen, wenn dieser ihre Aufnahmefähigkeit übersteigen könnte.

Warum verhandelt die EU mit einzelnen Staaten jahrelang über eine Mitgliedschaft?

Die Bedingungen für einen EU-Beitritt werden grundsätzlich in Abkommen mit den Neumitgliedern festgelegt. Diese Beitrittsabkommen werden zwischen der Union und den Beitrittskandidat*innen kapitelweise ausgehandelt. Diese Verhandlungen dauern normalerweise mehrere Jahre, weil die Materie sehr umfassend und im Detail kompliziert ist. Derzeit gibt es 35 Kapitel, die alle Rechtsbereiche umfassen, über die eine Einigung erzielt werden muss. Oft sind weitere Bestandteile der Abkommen auch Übergangsregelungen. Dadurch soll der Beitritt eines Landes für beide Seiten verträglich gestaltet werden. Harte Brüche sollen so vermieden werden.

Wie genau läuft der Prozess nach dem Beginn von Beitrittsverhandlungen ab?

Die EU-Kommission legt jährlich so genannte Fortschrittsberichte vor. Darin wird der Stand der Verhandlungen und die Entwicklung des Beitrittskandidaten in Bezug auf die Anpassung an die EU-Anforderungen beschrieben. Gibt es keine Fortschritte oder gar Rückschritte, wie etwa im Bereich Demokratie und Menschenrechte in der Türkei, wird dies festgehalten. Erfüllt ein Land die Anforderungen in bestimmten Kapiteln auf absehbare Zeit nicht, werden Verhandlungen zu diesen Themen gar nicht erst aufgenommen. Auch dies gilt für einige Kapitel für die Verhandlungen mit der Türkei.

Wer muss in der EU seine Zustimmung zu einem Beitritt geben?

Das Europäische Parlament muss zunächst dem Beitrittsabkommen mit einem Aufnahmekandidaten zustimmen, mit der absoluten Mehrheit seiner Mitglieder. Danach muss der Rat der EU – also die Regierungen der Mitgliedsstaaten – zustimmen, und zwar einstimmig.

Was passiert nach der Zustimmung?

Die Unterzeichnung der Abkommen obliegt den Staats- und Regierungschef*innen der EU und der Beitrittsländer. Jedes Beitrittsabkommen muss als völkerrechtlicher Vertrag von den EU-Mitgliedstaaten und den Beitrittsländern gemäß ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften ratifiziert werden. Erst mit der Hinterlegung aller Ratifikationsurkunden ist das Beitrittsverfahren formell abgeschlossen und die Abkommen können in Kraft treten. Dann wird aus einem Beitrittsland ein neuer EU-Mitgliedstaat.

Welche Erweiterungen der EU hat es bisher gegeben?

Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) gibt es seit 1958. Ihre sechs Gründungsmitglieder waren Frankreich, Italien, die Niederlande, Belgien, Luxemburg und die Bundesrepublik Deutschland (West). Nach dieser Gründung gab es mehrere Erweiterungen. 1973 traten Dänemark, Irland und Großbritannien bei, 1981 Griechenland, 1986 Spanien und Portugal, 1990 Ostdeutschland nach der Wiedervereinigung, 1995 Österreich, Schweden und Finnland, 2004 Estland, Lettland, Litauen, Polen, Ungarn, Tschechien, Slowakei, Slowenien, Malta und Zypern, 2007 Rumänien und Bulgarien, 2013 Kroatien.

Welche aktuellen Beitrittskandidaten gibt es?

Das sind gegenwärtig offiziell von der EU anerkannt die Balkan-Staaten Albanien, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien sowie die Türkei. Einen Beitragsantrag gestellt hat darüber hinaus noch Bosnien-Herzegowina.

Die Beitritte welcher Länder sind gescheitert?

Norwegen scheiterte zweimal mit seinem Beitrittsgesuch an negativen Volksentscheiden im eigenen Land. Die Schweiz und Island haben ihre gestellten Beitrittsanträge wieder zurückgezogen. Großbritannien ist das einzige Land, das die EU bisher verlassen hat, nachdem es von 1973 bis 2020 Mitglied der Union war.

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Kommentare

Zuallererst müssen die Waffen

Zuallererst müssen die Waffen schweigen und es muss Frieden einkehren. Deshalb ist diese Diskussion des EU-Beitritts der Ukraine nicht angesagt. Es muss auch ein Ausgleich mit Russland gefunden werden.