Politikberater Johannes Hillje

Erfolge der AfD: „Von Notwehr kann nicht die Rede sein.“

Kai Doering29. Juni 2023
AfD-Demonstration in Nürnberg: Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Grad der Verunsicherung im Land und der Zustimmung zur AfD, meint der Politikberater Johannes Hillje.
AfD-Demonstration in Nürnberg: Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Grad der Verunsicherung im Land und der Zustimmung zur AfD, meint der Politikberater Johannes Hillje.
Für Johannes Hillje kommen die jüngsten Erfolge der AfD nicht überraschend. Der Politikberater sieht aber die Chance, einen Teil der Wähler*innen zurückzuholen. Dafür muss sich aus seiner Sicht auch Bundeskanzler Olaf Scholz verändern.

In Sonneberg hat die AfD erstmals die Direktwahl für ein kommunales Amt gewonnen, seit Wochen steigt sie bundesweit in den Umfragen. Überrascht Sie dieser Erfolg?

Nein. Der AfD-Erfolg in Sonneberg hängt mit kurzfristiger Stichwahlmobilisierung und langfristigen Strukturgründen zusammen. Zum einen hat die Konstellation „Alle gegen die AfD“ auch für Effekte der Gegenmobilisierung auf Seiten der AfD geführt. Sowohl der CDU-Kandidat als auch der AfD-Kandidat haben in der Stichwahl deutlich an Stimmen zugelegt im Vergleich zur ersten Runde. Zum anderen wissen wir seit vielen Jahren – etwa aus der Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung – dass es ein rechtspopulistisches Potenzial in der Bevölkerung gibt, das über den bisherigen Wahlergebnissen der AfD liegt. Zuletzt wurde es mit fast einem Drittel beziffert, für Ostdeutschland liegt es noch höher. Dieses Potenzial schöpft die Partei im Moment stärker aus, weil es ihr gelingt, die Verunsicherung im Land für sich zu nutzen.

Johannes Hillje

An dem Argument vieler Wähler*innen, sie würden der AfD quasi aus Notwehr ihre Stimme geben, weil sie unzufrieden sind mit der Politik der Bundesregierung, ist also etwas dran?

Von Notwehr kann nicht die Rede sein. Es gibt ja viele andere Möglichkeiten, Protest gegen die Regierung und andere Parteien auszudrücken. Bei der Wählerschaft und dem Wählerpotenzial der AfD muss man differenzieren. Es gibt eine Stammklientel, die etwa zehn Prozent ausmacht. Sie ist von den anderen Parteien kaum mehr zu erreichen. Die AfD hat mittlerweile den größten Anteil an gefestigten Wählerinnen und Wählern. Je nach Stimmung im Land kann die AfD weitere Stimmen hinzumobilisieren, wie wir es in bundesweiten Umfragen oder in Sonneberg derzeit erleben. Das sind nicht alles Menschen, die von der AfD überzeugt sind, manche von ihnen können zurückgeholt werden.

Sie sprechen in Bezug auf die Wähler*innenschaft der AfD auch von einem „Kulturklassenkampf“. Was verstehen Sie darunter?

Das Milieu der AfD ist geprägt von ökonomischen Abstiegsängsten aus der Mittelschicht. Nicht die Arbeitslosen wählen die AfD, sondern eher jene, die in der Vergangenheit sozialen Abstieg erlebt und große Sorge haben, wieder an Status zu verlieren. Das scheinbare Paradoxe ist, dass die AfD diesen Menschen mit ihrer Politik gar keine sozialen und ökonomischen Angebote macht. Sie kulturalisiert stattdessen ökonomische Konflikte, indem sie sie etwa auf identitätspolitischen Fragen bei der Zuwanderung projiziert. Wir erleben das im Moment auch sehr stark beim Thema Klimaneutralität, wenn der Diesel, das Steak oder sogar die Ölheizung als Ausdruck einer eigenen Identität verstanden werden. Die AfD warnt dann vor einer angeblichen ökodiktatorischen Umerziehung, womit sie kulturelle Verlustängste erzeugt. Das funktioniert vor allem dann, wenn die materiellen Ängste der Menschen von den anderen Parteien nicht ausreichend adressiert werden.

Also ist doch die Ampel Schuld am Aufstieg der AfD wie von einigen behauptet wird?

Wenn eine Oppositionspartei im Aufwind ist, ist daran in erster Linie die Regierung dafür verantwortlich, das ist doch völlig klar. Deshalb finde ich es auch unehrlich, wie zumindest Teile der Ampel als erstes auf die Union zeigen, die zwar mit der Übernahme rechtspopulistischer Rhetorik auch ihren Anteil zur Normalisierung der AfD beiträgt, aber die emotionale Mobilisierungsgrundlage AfD lieferte zuletzt die Bundesregierung. Das Heizungsgesetz hat hierbei eine große Rolle gespielt.

Da haben Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und andere bereits Fehler eingeräumt.

Das ist gut, allerdings waren es meiner Meinung nach nicht nur kommunikative Fehler, wie häufig gesagt wird. Es geht um handwerkliche Fragen: Im ersten Gesetzentwurf, der bekannt wurde, waren noch überhaupt keine sozialen Abfederungsmaßnahmen enthalten. Viel zu lange blieb es unklar, wie die Menschen der Heizungswechsel finanziell ermöglicht werden soll. Das ist für die Akzeptanz fatal und verunsichert die Menschen.

Das Heizungsgesetz soll noch vor der Sommerpause – mit sozialem Ausgleich – vom Bundestag beschlossen werden. Ist danach alles gut?

Nein, so einfach ist es nicht. In der Öffentlichkeit hat sich in den vergangenen Monaten eine Erzählung festgesetzt, wie diese Regierung Transformationspolitik macht: „Mit der Brechstange“, „Über die Köpfe der Menschen hinweg“ sind Erzählungen, die sich nun etabliert haben. Ein solches Narrativ kann sehr lange wie ein Glaubenssatz die Köpfe dominieren, selbst wenn die Politik längst umgesteuert hat. Für die Bundesregierung wird es deshalb eine große Aufgabe, das Vertrauen in ihre Transformationspolitik zurückzugewinnen. Dafür muss auch Olaf Scholz seine Rhetorik ändern.

Inwiefern?

Wenn der Bundeskanzler über die Transformation spricht, betont er meist strukturelle und technische Aspekte. Er redet von einem industriepolitischen Projekt, das ein Wirtschaftswunder oder gar eine neue industrielle Revolution herbeiführen würde. Er suggeriert mit dieser Strukturwandelerzählung, dass die Transformation ohne große Veränderungen im täglichen Leben der Menschen vonstatten geht. Dabei findet die Dekarbonisierung auf sehr vielen Ebenen in der Lebenswirklichkeit der Menschen statt, sei es bei der Mobilität, Ernährung, Wohnen oder Heizen. Das sollte Olaf Scholz auch so benennen. Bisher fehlt ihm eine überzeugende Erzählung für die Transformation in der Lebenswelt. Für die allermeisten Menschen ist das die emotionale Seite des anstehenden Wandels.

Kann mehr Empathie gegenüber den Sorgen der Menschen also helfen, die AfD wieder zu schrumpfen?

Ich glaube schon, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen dem Grad der Verunsicherung im Land und der Zustimmung zur AfD. Mehr Empathie könnte also durchaus helfen, denn wenn den Menschen Ängste genommen werden können, kann man sich davon erhoffen, dass zumindest diejenigen, die nicht zur Stammklientel der AfD gehören, wieder zu anderen Parteien zurückkehren. Mein Plädoyer lautet: dem Kulturkampf eine Kultursensibilität entgegenzusetzen, also Einfühlungsvermögen, Anerkennung und Unterstützung mit Blick auf das Ausmaß der Veränderungen im Alltag mancher Menschen. Das wäre auch eine Chance für die SPD. Sie sollte den Menschen vermitteln, dass ihnen durch die Transformation nicht überall etwas weggenommen wird, sondern sich ihr Leben zum Besseren verändern wird. Transformation als Wohlstandssicherung.

Nach der Wahl in Sonneberg wird die „Brandmauer gegen rechts“ wieder von allen Seiten beschworen. Wie wichtig ist sie im Umgang mit der AfD?

Je erfolgreicher die AfD ist, desto höher muss die Brandmauer gezogen werden. In einer westlichen Demokratie hat es noch nie funktioniert, Populisten und Radikale dadurch zu schwächen, indem man sie an der Macht beteiligt hat. Die Vorstellung, dass sie sich dadurch selbst entzaubern, ist zwar weit verbreitet, aber in Ländern wie Österreich oder Italien längst gescheitert. Das Gegenteil ist der Fall: Wenn man Radikale an der Macht beteiligt, werden sie politisch wirksam und können ihren Wählerinnen und Wählern Leistungsnachweise bieten. Langfristig werden sie damit als eine Wahloption und möglicher Konkurrent um die Macht noch attraktiver. Nicht ihre Integration ist erfolgreich, sondern eine dauerhafte Isolation. Das erfordert einen langen Atem.

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Kommentare

Wer schlechte Politik macht,

bekommt u.a. bei Wahlen dafür die Quittung.

Und wer als Wähler in Grünen, Die Linke, SPD, FDP, CDU oder CSU die Wahl der falschen Alternative sieht, hat keine andere Wahl mehr, denn nicht zu wählen, ist auch keine Alternative.

Wer Grüne, Die Linke, SPD, FDP, CDU oder CSU durch Wahlen richtig abstrafen will, gibt ihnen keine Stimme mehr, so dass sie ihre Mandate verlieren.

Das aber brachte in den vergangenen Jahren bei Grünen, Die Linke, SPD, FDP, CDU oder CSU noch keine Besserung hervor.

Also müssen die Bürger noch länger und noch umfangreicher Alternativen wählen, wo solche existieren. In Bayern gibt es zumindest noch die Freien Wähler, woanders aber nicht.

Zudem funktioniert die Dämonisierung der AfD durch Grüne, Die Linke, SPD, FDP, CDU oder CSU immer weniger.

Und bei Grünen, Die Linke, SPD, FDP, CDU oder CSU glaubt man immer noch, die Weisheit mit Schaumlöffeln gefressen zu haben.

so ist es, glücklich auch die Leute in Schleswig Holstein, die

in ihrer Not sich den Dänen zuwenden können- die sich landsmannschaftlich gesprochen sehr stark vermehren. Es gab wohl noch nie in der Geschichte soviele dänisch gesonnene, wie heute- jedenfalls nach dem Wahlergebnis des SSW