Rezension

„Deutschland Schwarz Weiß“: Rassismus-Nachhilfe für Weiße

Paul Starzmann24. Mai 2018
Die Autorin Noah Sow vor fast zehn Jahren: Damals landete sie mit „Deutschland Schwarz Weiß“ einen großen Erfolg.
Mit viel Humor rechnete Noah Sow vor zehn Jahren mit dem Rassismus in Deutschland ab. Ihr Buch „Deutschland Schwarz Weiß“ wurde zu einem Standardwerk über Diskriminierung. In der neuen Ausgabe zeigt sich die Autorin jetzt selbstkritisch.

Rassisten – das sind immer nur die anderen. Davon sind viele Deutsche felsenfest überzeugt. Ja, in den USA oder Südafrika da herrsche der Rassismus, sind sie sicher. Doch hierzulande gebe es so etwas nicht – allenfalls bei Rechtsextremisten oder Neonazis. Die Autorin Noah Sow zeigt in ihrem Buch jedoch das Gegenteil: Rassismus gibt es überall.

Die weißen Deutschen sind verwöhnt

Vor zehn Jahren erschien die erste Auflage von „Deutschland Schwarz Weiß“. In kurzer Zeit wurde das Buch so etwas wie ein moderner Klassiker – zitiert von unzähligen Forschern und Aktivisten. Zu seinem zehnjähirgen Jubiläum ist jetzt eine aktualisierte Fassung erschienen. Die zentrale Botschaft lautet nach wie vor: Rassismus beherrsche den Alltag in Deutschland. Wer nicht zur weißen Bevölkerung gehöre, sei täglich damit konfrontiert – auf der Straße, in den Medien, in der Schule, im Beruf. Und dennoch werde das Problem von der Mehrheit ignoriert. Warum das so ist, leuchtet Sow kaum ein. „Die Deutschen wollen doch auch sonst immer alles ganz genau wissen“, schreibt sie im Vorwort. „Warum nur über dieses eine Thema so wenig?“ Die Antwort: „Sie sind verwöhnt“ und hätten Angst, sich der schmerzlichen Wirklichkeit zu stellen.

Gegen die Ignoranz will Sow etwas tun, sie will ein Bewusstsein für den Rassismus im Land schaffen, den Weißen die Augen öffnen. In ihrem Buch zeigt sie, was es bedeutet, aufgrund der Hautfarbe von Mitschülern, Kollegen oder Freunden ständig in irgendeine Schublade gesteckt zu werden – etwa mit diskriminierenden Fragen wie „Woher kommst du wirklich?“ oder mit vergifteten Komplimenten wie „Sie sprechen aber gut Deutsch“. Dabei ist Sow keineswegs verbittert – ganz im Gegenteil: Sie beweist in dem Buch einen feinen Sinn für Humor. „Lassen Sie uns einen Deal machen“, fordert sie ihre weißen Leser auf. „Ich führe Sie auf den folgenden Seiten durch einen zentralen Teil des in diesem Land herrschenden Weltanschauungskonsens – und Sie lesen jedes Mal weiter, sobald Sie sich wieder abgeregt haben.“

Rassismus in der Familie

Sow ist klar, dass sie mit ihrem Buch den Finger in die Wunde legt. Ausführlich behandelt sie in sieben Kapiteln verschiedene Aspekte des Rassismus – von rassistischer Sprache über die deutsche Kolonialvergangenheit bis hin zu Strategien gegen die Diskriminierung. Dabei gibt sie den weißen Lesern hilfreiche Ratschläge, wie die sich zukünftig weniger rassistisch verhalten können. Auch spricht Sow Punkte an, die viele überraschen dürften: „Ein Schwarzes Kind zu haben bedeutet nicht per se, rassismusfrei zu sein“, erläutert sie etwa. „Ich habe schon so viele Geschichten von Afrodeutschen über den Rassismus ihrer weißen Elternteile zugetragen bekommen, dass ich ehrlich gesagt keine mehr hören kann.“

Es ist der zentrale Punkt in Sows Buch: Wer in Deutschland aufwächst, mag sich für noch so liberal, weltoffen oder gar anti-rassistisch halten. Jedoch kann sich kaum jemand den Stereotypen entziehen, wie sie massenhaft in Schulbüchern oder Tageszeitungen vermittelt werden. Wer glaubt, völlig frei von rassistischen oder diskriminierenden Denkmustern zu sein, sollte noch einmal gründlich überlegen, fordert Sow. Ihr Buch ist die perfekte Anleitung dazu.

Die Autorin entschuldigt sich

Von dem Vorwurf der Diskriminierung nimmt sich die Autorin ausdrücklich nicht aus. In der Erstauflage von „Deutschland Schwarz Weiß“ habe auch sie verletztende Ausdrücke verwendet, gesteht sie ein – und entschuldigt sich dafür. Die neue Ausgabe hat sie nun aktualisiert, neue Begriffe eingeführt und aktuelle Entwicklungen in den Fokus genommen.

Mit der ersten Auflage von „Deutschland Schwarz Weiß“ hat Noah Sow vor zehn Jahren einen großen Erfolg gelandet. Viele neuere Publikationen zum Thema, wie „Unter Weißen“ von Mohamed Amjahid oder Lamya Kaddors „Zerreißprobe“, bauen auf diese Vorarbeit auf. Traurig ist, dass sich die Situation in den vergangenen zehn Jahren nicht gebessert hat. Im Gegenteil: Mit der AfD sitzen nun radikale Rassisten in Fraktionsstärke im Bundestag, die öffentliche Debatte über Flucht, Migration und Islam ist in Deutschland rassistisch aufgeladen wie lange nicht. Auch diesem Phänomen widmet Sow einige Seiten. Wer ihr Buch vor zehn Jahren verpasst hat, sollte es deshalb jetzt umso mehr lesen.

Noah Sow: Deutschland Schwarz Weiß. BoD-Books, 344 Seiten, ISBN 978-3-7460-0681-9, 12,95 Euro

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