Bundestagswahl

Wie Detlef Müller das einzige Direktmandat der SPD in Sachsen errang

Kai Doering30. September 2021
Chemnitzer SPD-Bundestagsabgeordneter Detlef Müller: Das Direktmandat war eine Gemeinschaftsleistung.
Chemnitzer SPD-Bundestagsabgeordneter Detlef Müller: Das Direktmandat war eine Gemeinschaftsleistung.
In Chemnitz hat Detlef Müller bei der Bundestagswahl das einzige Direktmandat der SPD in Sachsen geholt. Wie ihm das gelungen ist und was gegen die Vormachtstellung der AfD getan werden kann, erklärt er im Interview.

Zum zweiten Mal nach 2005 haben Sie das Direktmandat in Chemnitz errungen. Was ist anders, wenn man direkt und nicht über die Liste in den Bundestag einzieht?

Ich habe inzwischen alles erlebt, was den Bundestag angeht. Ich habe 2005 das Direktmandat geholt, bin 2009 direkt wieder rausgeflogen, dann 2014 für Wolfgang Tiefensee nachgerückt, 2017 über die Liste eingezogen und jetzt habe ich wieder das Direktmandat. Das in Chemnitz zu schaffen und der rote Punkt im blauen Meer der von der AfD direkt gewonnenen Wahlkreise zu sein, das ist schon etwas ganz Besonderes und macht mich wahnsinnig stolz. Gleichzeitig habe ich aber auch sehr viel Demut. Der Wahlkampf war sehr anstrengend und hat viel Kraft gekostet. Aber es hat sich gelohnt. Neben dem Direktmandat haben wir auch das beste Zweistimmenergebnis für die SPD in Sachsen eingefahren. Die Wähler haben damit auch mein Listenergebnis revidiert.

Sie haben bereits einige Male für den Bundestag kandidiert, einmal bei der Wahl sogar nur auf Platz vier gelegen. Was haben Sie diesmal anders gemacht?

Wir haben uns ganz zu Anfang angesehen, wer für welche Partei antritt. Der Kandidat der CDU war recht leicht einzuschätzen. Beim Kandidaten der AfD war es schwieriger. Er ist persönlicher Referent und Redenschreiber von Alexander Gauland und gehört zu den selbsternannten Vordenkern der rechten Szene – hat aber als Münchner überhaupt keinen Chemnitz-Bezug. Wir haben versucht, uns so gut es ging auf ihn einzustellen. Drei bis vier Wochen vor der Wahl sind wir dann zu einem klaren Erststimmenwahlkampf übergegangen, obwohl wir das zu Anfang gar nicht vorhatten. Uns war aber klar: Chemnitz darf nicht blau werden. Nicht, nachdem, was hier 2018 passiert ist. Und nicht, nachdem Chemnitz zur Kulturhauptstadt Europas 2025 ernannt worden ist. Am Ende haben mich auch Leute gewählt, die ihre Zweitstimme den Linken, den Grünen oder der FDP gegeben haben. Das Direktmandat war eine Gemeinschaftsleistung.

Wann hatten Sie das Gefühl, dass es mit dem Direktmandat klappen kann?

Mitte Juli hat sich der Trend gedreht und die SPD ging bundesweit in den Umfragen nach oben. Das haben wir auch vor Ort gemerkt. So etwas macht etwas mit den Wählern. Die Bereitschaft, die SPD zu wählen, war deutlich größer als in den Jahren zuvor. Das haben wir auch am Wahlkampfstand mitbekommen. Die Menschen waren interessiert und es gab überhaupt keine Beleidigungen oder Beschimpfungen, die es sonst immer gab. Die Leute haben gewusst, nach 16 Jahren Merkel ändert sich etwas.

Sie haben das einzige Direktmandat der SPD in Sachsen errungen. Die allermeisten sind dagegen an die AfD gegangen, die auch bei den Zweitstimmen in Sachsen und Thüringen die stärkste Partei geworden ist. Woran liegt das?

Erstmal ist es wichtig, dass das tatsächlich Sachsen und Thüringen betrifft und nicht ganz Ostdeutschland wie ja häufig behauptet wird. In Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg sind aber alle Direktmandate an die SPD gegangen. Eine einfache Erklärung gibt es dafür nicht. Ich denke schon, dass die Erfahrungen und Enttäuschungen der Wendezeit noch immer eine große Rolle spielen. Sachsen und Thüringen haben in den Jahren danach nahezu eine ganze Generation über den Wegzug verloren. Auch das hat Spuren hinterlassen. Dazu kommt ein gewisser Trotz der Sachsen, zu dem auch ein Nicht-Akzeptieren von Autoritäten kommt. Das haben wir in der Corona-Zeit ja auch massiv gesehen. Die AfD nimmt das geschickt auf und nutzt es für sich.

Was kann Politik dagegen tun?

Reden und immer vor Ort sein. Ich habe z.B. gute Erfahrungen damit gemacht, Menschen, die mich auf Facebook beleidigt haben, einzuladen und mit ihnen zu sprechen. Das war sehr interessant. Die Gespräche gingen von der deutschen Russland-Politik bis zur Treuhand. Letztendlich waren es alles Probleme, die die Menschen an der Politik festmachen. Es gibt sehr viele tiefsitzende Verletzungen, die bis heute wirken. Im letzten Jahr ging es dann vor allem um die Regeln in der Corona-Pandemie, die viele nicht akzeptieren wollten. Als Politiker haben wir die Aufgabe, auf die Menschen zuzugehen und Dinge zu erklären. Viele sind überrascht, wenn ich ihnen ein Gespräch anbiete.

Sie sind auch der einzige Lokführer im Bundestag und haben in der Vergangenheit häufiger kritisiert, im Parlament gebe es zu wenig Arbeiter und Angestellte. Warum sollte sich das ändern?

Zunächst mal ist es nachvollziehbar, dass es so ist. Menschen, die angestellt sind, haben häufig gar nicht die Zeit, neben dem Job und der Familie auch noch Politik zu machen. Jemand, der Schicht arbeitet oder kleine Kinder hat, kann das kaum schaffen. Trotzdem ist das ein Problem, denn eigentlich sollte der Bundestag ja die Bevölkerung widerspiegeln. Und die ist nicht so akademisch wie der Bundestag zusammengesetzt ist. Ich halte das für problematisch, weil die Gefahr besteht, dass die Politik das Verständnis für Lebenssituationen verliert. Wer Schichtarbeit gemacht hat, weiß viel besser, wie sich das anfühlt und wo Probleme sind als jemand, dem es nur erzählt wurde.

Wie ließe sich das ändern?

Das ist Aufgabe der Parteien. Wie sie darauf achten, dass Frauen aufgestellt werden oder Menschen mit Migrationshintergrund, sollte sie auch Arbeiter und Angestellte auf aussichtsreiche Plätze setzen. Ich bin auch dafür, dass Politiker erstmal im Kommunalen Erfahrungen sammeln, ehe sie für Land- oder Bundestag kandidieren.

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