Interview mit Christian Pegel

Corona-Proteste: Friedliche Mehrheit muss sich distanzieren

Vera Rosigkeit06. Januar 2022
Christian Pegel ist seit November 2021 Minister für Inneres, Bau und Digitalisierung des Landes Mecklenburg-Vorpommern.
Friedlicher Protest ist legitim, verfassungsfeindliche Taten sind es nicht, sagt Mecklenburg-Vorpommerns Inneminister Christian Pegel zu den Protesten von Impfgegener*innen. Über seine Sorge durch zunehmende Gewalt nicht nur bei Demonstrationen.

Welche Ursachen vermuten Sie hinter den zunehmenden Protesten gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung?

Ich spekuliere nicht gern. Klar ist aber, dass es bei einer möglichen künftigen Impfpflicht Bedenken gibt. Dazu gesellen sich dann vielfältige Positionen zur Corona-Politik in Bund und Land, die von der Ablehnung einzelner Maßnahmen über eine totale Ablehnung sämtlicher staatlicher Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung bis hin zum Bestreiten des Vorhandenseins einer Pandemie alle Abstufungen gehören.

Dazu gilt grundsätzlich, dass eine Demokratie Kritik an staatlichem Handeln, den Entscheidungen der demokratischen Mehrheit und andere Meinungen selbstverständlich aushält. Das gilt aber nur, solange diese Kritik sich im demokratischen Rahmen bewegt. Menschen- und verfassungsfeindliche Haltungen und Handlungen und Gewalt gehören nicht dazu. Die Mehrheit der Menschen, die zurzeit gegen die Corona-Maßnahmen demonstrieren, bewegt sich unstreitig innerhalb dieses Rahmens. Die Sicherheitsbehörden beobachten aber, dass verstärkt vor allem rechtsextremistische Personen und Gruppierungen, Reichsbürger und andere die freiheitlich-demokratische Grundordnung ablehnende Beteiligte versuchen, die Demonstrationen für ihre Zwecke zu vereinnahmen.

Expert*innen warnen vor zunehmenden Hass in Verbindung mit rechtsextremer Gewalt:  Wächst die Demokratiefeindlichkeit?

Ich bin überzeugt, dass die breite Mehrheit in Deutschland um den Wert der Demokratie weiß und dazu klar steht. Ich bin hingegen überzeugt, dass die demokratiefeindliche Minderheit, die ja nicht neu ist, mit den sozialen Medien ein Instrument an die Hand bekommen hat, über die sie ihre – ich betone noch mal: nicht hinnehmbare – Haltung publikumswirksamer kommunizieren kann. Auch die Proteste der Corona-Maßnahmen-Gegner sind für sie eine willkommene Bühne, um sich lauthals zu artikulieren. In den Jahren 2015/2016 haben sie dafür die Flüchtlingsbewegung genutzt. Eben damit sie diese Bühne nicht bekommen, appelliere ich an die vernünftige Mehrheit, ihnen diese Bühne nicht zu geben, also sich laut und deutlich von ihnen abzugrenzen.  

Am Dienstag wurde auch eine Todesdrohung gegen die Ministerpräsidentin Manuela Schwesig öffentlich, der der Querdenkerszene in Mecklenburg-Vorpommern zugeordnet wird. Lässt sich das als Zeichen der Radikalisierung deuten?

Zunächst ist es zutiefst verabscheuungswürdig, Menschen Gewalt anzudrohen, warum und womit auch immer. Dies gehört zu den Handlungen, die eine Demokratie nicht dulden darf – das geht gar nicht. Das verlässt auch klar den in der Demokratie sogar gewollten sachlichen Streit um Themen, Positionen und Meinungen. Wer seine eigene Position für dermaßen wahr und unumstößlich ansieht, dass diese mit Todeswünschen und Morddrohungen durchgesetzt werden dürften, hat den demokratischen Grundgeist längst abgelegt.

Mit Sorge beobachte ich, dass sich zurzeit die Zahl solcher Angriffe zu erhöhen scheint oder sie zumindest häufiger publik werden. In ganz Deutschland werden offenbar immer wieder Menschen bedroht, die für die aktuelle Corona-Politik stehen. Ebenso erfüllt mich mit Sorge, dass die extremistische Minderheit in den Demonstrationszügen in ihrem Gebaren aggressiver wird und zum Beispiel vereinzelt Polizeibeamte, die die Versammlungszüge begleiten, verbal und tätlich angreift. Die Einsatzkräfte der Polizei konstatieren bei den jüngsten Demonstrationen in ganz M-V eine steigende Aggressivität einiger Versammlungsteilnehmer – und auch eine wachsende Zahl von Gesichtern, die aus der rechtsextremen Szene bekannt sind.

Welche Schritte sind notwendig, um die Situation zu deeskalieren?

Zunächst bleibt festzuhalten, dass das Demonstrationsrecht ein zentrales und vom Grundgesetz besonders gewertschätztes Grundrecht ist, das der Staat mit seinen Behörden schützen und ermöglichen soll. Für die gesetzlich vorgegebene Anmeldung von Demonstrationen sind die Versammlungsbehörden der Kommunen zuständig, die den Rahmen setzen – in der Pandemie dann auch zusammen mit den Gesundheitsämtern, damit am Ende nicht Demonstrationen zu Pandemietreibern werden. Die Polizei hat dann die Aufgabe, die Versammlungszüge zu begleiten, immer mit dem Ziel, sowohl die Versammlungsteilnehmer als auch die Menschen in der Umgebung zu schützen und die Versammlung als Wahrnehmung dieses wichtigen Grundrechts möglich zu machen. Unsere Polizisten sind ausgebildet und erfahren darin zu deeskalieren. Wie sie dies tun, lässt sich pauschal nicht beantworten, sondern ist abhängig von der jeweiligen Situation. Bei aggressivem Auftreten gehört aber auch dazu, dass zum Schutz anderer Demonstrationsteilnehmer ebenso wie unbeteiligter Dritter klar die Grenzen aufgezeigt und im Zweifel durchgesetzt werden.

Oberste Priorität hat stets, dass niemand zu Schaden kommt. Ansonsten appelliere ich seit meinem Amtsantritt als Innenminister im November an die Teilnehmer der Demonstrationen, sich von der radikalen Minderheit zu distanzieren. Hier wünsche ich mir, dass die friedliche Mehrheit der Demonstranten deutlich Flagge zeigt und mit dazu beiträgt, dass die Demonstrationen friedlich bleiben.

Wie wichtig ist es dabei zwischen dem Protest von Impfgegner*innen und Extremisten, die vor Gewaltanwendung nicht zurückschrecken, zu unterscheiden?

Sehr wichtig. Der friedliche Protest der Impfgegner ist legitim. Verfassungsfeindliche Äußerungen und Taten sind es nicht, die Anstiftung dazu ebenso wenig.

Wird die Demokratie ihrer Meinung nach langfristig Schaden nehmen?

Nein. Ich vertraue auf den gesunden Menschenverstand der ganz breiten Mehrheit in unserer Gesellschaft.

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Kommentare

Muss?

Da sollten Sie noch mal drüber nachgrübeln. Was mache ich, wenn der, von dem ich mich distanziere, einfach nicht von meiner Seite weicht? Darf ich handgreiflich werden, auch im öffentlichen Raum? Flatulenzen helfen sicher nicht, andere auf Distanz zu halten, jedenfalls nicht auf Dauer, da mangelt es an entsprechender Leistungsfähigkeit, selbst bei vorbereitender Nahrungsaufnahme. Also hänge ich mir ein Schild um den Hals, auf dem ich meine Distanzierung erkläre? Ist das ein Weg, und gibt es noch andere?

Wird beides verneint, muss ich mir das Demonstrationsrecht wohl abschminken- und mich mit meiner Ablehnung bei der schweigenden Mehrheit einreihen, von der ja alle wissen, was diese will und für richtig hält. Der, von dem ich mich distanziere, bestimmt dann, was möglich ist und was nicht. Das kann nicht gewollt sein.
Also ist es mir erstmal egal, wer neben mir daherläuft, handelt er regelwidrig, gehe ich zur Seite und hoffe auf die Ordnungskräfte und die Zielsicherheit des Personals am Wasserwerfer.

Die Unzufriedenheit der

Die Unzufriedenheit der breiten Masse, was auch mit der mangelnden Glaubwürdigkeit der politischen Handlungen zu tun hat, wird man auf Dauer nicht mit dem Rechtsexstremimus- und Antisemitismusgeschrei unterdrücken können. Die Lernfähigkeit unserer Regierung muss angezweifelt werden.

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