Porträt

Bertolt Meyer: Der Professor, der die Maschinen versteht

Kai Doering07. Juni 2023
Bertolt Meyer: „Das Problem ist nicht Künstliche Intelligenz. Das Problem ist der neoliberale Kapitalismus.“
Bertolt Meyer: „Das Problem ist nicht Künstliche Intelligenz. Das Problem ist der neoliberale Kapitalismus.“
Als Professor beschäftigt sich Bertolt Meyer mit dem Zusammenspiel von Menschen und Robotern. Als DJ legt er in Clubs und bei Veranstaltungen auf. Bei beidem hilft ihm seine Armprothese.

Als Bertolt Meyer über die große Koalition spricht, mischt sich plötzlich Siri ein. „Ich denke auch“, tönt die Computerstimme von Meyers linkem Handgelenk. Bertolt Meyer schimpft kurz und drückt auf seine Smart-Watch. Im Laufe des Gesprächs wird sich Siri noch zweimal zu Wort melden. Vor den Tücken moderner Technik ist auch ein Technik-Freak nicht gefeit.

Zu viel Autonomie wirkt bedrohlich

Seit 2014 ist Bertolt Meyer Professor für Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie an der Technischen Universität Chemnitz. Während der Corona-Pandemie war er gefragter Gesprächspartner zu psychischen Belastungen durch die Lockdowns. Inzwischen untersucht Meyer vor allem, welche Auswirkungen das immer engere Zusammenwirken von Mensch und Maschine auf die Gesellschaft hat. „Hybrid Societies“, hybride Gesellschaften, heißt der Sonderforschungsbereich, den Bertolt Meyer leitet. 

„Autonomie wird als bedrohlich wahrgenommen“, hat der 46-Jährige beobachtet. Wenn ein Roboter allzu selbstständig handele, seien die Vorbehalte der Menschen deutlich größer, als wenn sie das Gefühl hätten, dass sie bestimmen. „Wenn wir es mit der Technik übertreiben, kann das für eine Gesellschaft zum Problem werden“, warnt Meyer.

Seine Arm-Prothese will er nicht verstecken

Bertolt Meyer

Im „Futurium“, einem Museum für Fragen der Zukunft unweit von Kanzleramt und Berliner Hauptbahnhof, wird deutlich, was Bertolt Meyer meint. Am Eingang zur Ausstellung begrüßt ein niedlicher Roboter die Besucher. Größe und Aussehen erinnern an ein Kind. „Ach, guck, ein Pepper. So einen haben wir im Institut auch“, sagt Meyer und macht ein Foto mit seinem Handy. „Pepper“ ist darauf programmiert, Mimik und Gestik von Menschen zu analysieren und angemessen darauf zu reagieren. „Bei der Zusammenarbeit von Mensch und Maschine geht es viel darum, wie die Maschine auf den Menschen wirkt“, weiß Meyer. Häufig würden Roboter deshalb Menschen nachempfunden. Runde Formen schafften Vertrauen ebenso wie die Farbe Weiß.

Stereotype und Vorurteile sind ein weiteres Thema, mit dem sich Bertolt Meyer beschäftigt. Praktische Erfahrungen kann er dabei fast jeden Tag sammeln. Meyer wurde ohne linken Unterarm geboren. Seit er 19 ist, trägt er eine Prothese. Eines der Modelle, die er ausprobiert hat, ist in einer Vitrine im „Futurium“ zu sehen. „Mit der bin ich aber nicht gut zurechtgekommen“, erzählt der Professor im Vorbeigehen. Sein Modell wird über Muskelimpulse gesteuert. Wenn man sich darauf konzentriert, ist ein leises Surren der sechs Elektromotoren zu hören, sobald Meyer seine Finger bewegt. Ein transparenter Handschuh aus Silikon schützt die Technik vor Feuchtigkeit. Die hautfarbene Variante trägt er nicht mehr. „Sie sendete das falsche Signal“, sagt er.

Elektronische Musik als Leidenschaft

Meyer will seine künstliche Hand nicht verstecken. „Wenn man eine Hightech-Prothese trägt, gleicht das beim Gegenüber das Stigma der Behinderung aus“, erklärt er. Aus dem „armen Behinderten“ werde so in der Wahrnehmung ein kompetenter Wissenschaftler. Vor ein paar Jahren hatte Bertolt Meyer die Idee, die Prothese an seinen Synthesizer anzuschließen. Gemeinsam mit einer Berliner Firma entwickelte er einen entsprechenden Aufsatz. So werden Elektrodensignale, die die Prothese von seinem Arm aufnimmt, in Steuerspannung umgewandelt. „Für mich ist das so, als würde ich den Synthesizer mit meinen Gedanken steuern“, erklärt Meyer. Er spricht von „neuer Technologie, die empowered“.

Alle sechs Wochen legt Meyer so in einem Berliner Club auf. Anfang Mai ist seine neue Single erschienen. „Elektronische Musik war schon immer meine Leidenschaft“, sagt Bertolt Meyer. Auf zwei Termine freut er sich deshalb besonders: Im Juni wird er bei der Abschlussparty der „Special Olympics“, der weltweit größten Sportveranstaltung für Menschen mit geistiger und Mehrfachbehinderung, auf dem Berliner Alexanderplatz auflegen. Ende Juli ist er als DJ für die offizielle Party des Berliner Christopher-Street-Day gebucht. Dabei hat Bertolt Meyer eigentlich genug zu tun. Die Verlängerung seines Forschungsprojekts bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) steht an. Der Professor hofft, dass es mit den „Hybrid Societies“ weitergeht. „Ich habe mich bewusst für die Uni in Chemnitz entschieden“, erzählt Meyer. Die Verbindung von Mensch und Technik in seinem Forschungsbereich habe ihn sofort angesprochen.

Chemnitz als „Zukunftslabor“

Und auch Chemnitz als Stadt sei sehr interessant. „Ein Drittel der Einwohner ist älter als 60 Jahre“, berichtet Meyer. „Das ist extrem spannend für unsere Forschung.“ Vieles, was in Chemnitz bereits passiere, „kommt in anderen Regionen erst später zum Tragen“. Die Stadt sei ein wahres „Zukunftslabor“. Der Einsatz von Technik, davon ist Bertolt Meyer überzeugt, werde in einer alternden Gesellschaft eine immer größere Rolle spielen. „Künstliche Intelligenz verspricht sehr viel Wertschöpfung mit wenig körperlicher Arbeit“, erklärt Meyer. KI könne dafür sorgen, dass Menschen und Maschinen gut zusammenarbeiten. „Diese Vision müssen wir aber in eine Erzählung gießen, die die Menschen auch emotional anspricht.“ Und genau da kommt für Bertolt Meyer die SPD ins Spiel, der er seit seinem Studium in Berlin angehört.

„Ich habe als engagierter Juso in Pankow angefangen“, erzählt er. Mehr als 20 Jahre ist das inzwischen her. „Die SPD passt zu meinen Werten“, nennt der 46-Jährige als Grund für seinen Eintritt – und sein Bleiben, obwohl er immer wieder mit der aktuellen Politik hadert. „Ich empfinde den SPD-Grundwert Solidarität als ethischen Imperativ“, sagt Meyer. „Er muss der Kern von allem Handeln sein.“

Übersetzt auf sein Arbeitsfeld bedeutet das für Meyer, etwa schlechte Arbeitsbedingungen „wegzuautomatisieren“. Auch für die Vier-Tage-Woche hat er Sympathien. „Häufig werden heute schon nur deshalb keine Roboter für ungesunde Tätigkeiten eingesetzt, weil menschliche Arbeitskräfte billiger sind.“ Für Meyer ist das ein „Fehler im System“. „Das Problem ist nicht Künstliche Intelligenz. Das Problem ist der neoliberale Kapitalismus.“ Ab Juli wird Bertolt Meyer auch im Fernsehen der Frage nachgehen „Killt die Automatisierung unsere Jobs?“. Dann startet auf Arte die von Meyer moderierte Wissenschaftsreihe „Agree to Disagree!“ über wissenschaftliche Positionen zu gesellschaftlichen Herausforderungen. Die Videos sind schon jetzt in der Mediathek zu sehen. Eigentlich, sagt Meyer, sei der Sinn des Lebens doch, „dass wir glücklich sind und eine gute Zeit haben, ohne dabei den Planeten zu zerstören“. 

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