Sigmar Gabriel hat mir aus der Seele gesprochen als er sagte „Wir spielen mit Feuer, statt das Feuer zu löschen“. Der bevorstehende Austritt der USA aus dem INF-Vertrag hat weitreichende Konsequenzen, vor allem für Europas Sicherheit. Aber es gibt eine weitere Auswirkung: Das Ende des Vertrages wird die Spannungen innerhalb der NATO weiter erhöhen; es könnte sogar zu einer Spaltung kommen. Auch wenn Generalsekretär Jens Stoltenberg versichert, dass die NATO sich über Russlands Vertragsbruch einig sei, heißt das noch lange nicht, dass sich die NATO-Staaten auch über die Auflösung des INF-Vertrags übereinstimmen.
Atomwaffen für Deutschland
Heiko Maas fordert auch zu Recht mehr Abrüstung und will dazu eine Konferenz einberufen. Er hat deutlich gemacht, dass er eine Stationierung von Mittelstreckenwaffen in Deutschland ablehnt. Was wird aber in einem halben Jahr passieren, wenn der Vertrag nicht mehr existiert? Der Druck von den USA auf die Bündnispartner ist vorprogrammiert: Dann wird wie 1979 erwartet, dass die NATO beschließt, neue Atomwaffen in Europa zu stationieren. Wo wird Deutschland dann stehen?
Schon jetzt geht die Aufrüstung unter der Trump-Administration ungezügelt weiter: Die Medien berichten über einen neuen Atomsprengkopf mit niedriger Sprengkraft (5-7 Kilotonnen), dessen Entwicklung Präsident Trump bereits in seiner Atomwaffendoktrin angekündigt hat. Demnächst geht die B61-12-Atombombe in Produktion, die bald in Deutschland stationiert werden soll. Dafür soll Deutschland auch den F35-Kampfjet kaufen, denn die alten Tornados laufen aus und sind ohnehin nicht in der Lage, die neuen angeblich superpräzisen „Smart“-Bomben digital zu steuern.
Deutschland muss klare Kante zeigen
Aber erst nach dem Ablauf des INF-Vertrages wird das Wettrüsten sich im vollen Maß entwickeln. Deswegen muss Deutschland in den nächsten sechs Monaten klare Kante zeigen: Wir dürfen nicht zum Spielball von Russland und den USA werden, nur weil die beiden Atommächte es nicht geschafft haben, China in den INF-Vertrag einzubinden. Sie waren zu beschäftigt mit der Modernisierung ihrer Atomstreitkräfte, um sich um Rüstungskontrolle zu kümmern. Stattdessen wurde das Feld für Trumps nationalen Sicherheitsberater John Bolton geräumt, der seine Strategie Schritt für Schritt umsetzt, die er bereits 2011 im Wall Street Journal angekündigt hat – lange vor jeglicher Vertragsverletzung durch Russland.
Denn es geht hier um den „Prompt Global Strike“: eine Strategie, die schon unter Präsident George W. Bush entwickelt wurde, und die sichern stellen soll, dass die USA überall in der Welt binnen Minuten militärisch reagieren können. Dafür brauchen die US-Streitkräfte Mittelstreckenwaffen. Schon jetzt entwickeln die USA beispielsweise Artilleriewaffen mit einer Reichweite von mehr als 1.600 Kilometer, erklärte US-Armeesekretär Mark Esper letzte Woche, und nennen diese eine „Supergun“. Und Russland versucht mitzuhalten, weil er auf Parität besteht, egal was es kostet.
Zurück zur Entspannungspolitik
Die Bundesregierung muss eine neue auf Völkerrecht basierte Abrüstungspolitik einleiten und zu den Grundsätzen der Entspannungspolitik zurückkehren. Hilfreich wäre zumindest eine Anerkennung der Notwendigkeit eines Atomwaffenverbots und ein Bekenntnis, sich für diesen Vertrag einzusetzen. Die SPD sollte ihrem Koalitionspartner deutlich machen, dass das Feuer nur von der NATO selbst zu löschen ist. Denn sonst könnte es zu spät sein.