Neue Plattform

Antisemitismus in Deutschland: Was dagegen getan werden kann

Jonas Jordan26. Oktober 2023
Demonstration gegen Antisemitismus vor dem Brandenburger Tor in Berlin.
Demonstration gegen Antisemitismus vor dem Brandenburger Tor in Berlin.
Zuletzt häuften sich antisemitische Vorfälle und Äußerungen in Deutschland. Im Kampf gegen Antisemitismus soll eine neue Plattform helfen, aber auch Bildungsangebote und mehr gesamtgesellschaftlicher Zusammenhalt.

Einen besseren Zeitpunkt zum offiziellen Start der Plattform „OY VEY“ hätte es wohl kaum geben können. Denn seit dem terroristischen Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober häufen sich auch hierzulande antisemitische Äußerungen und Vorfälle. Das zentrale Ziel der Plattform ist, Gegenrede zu verschwörungsideologischen Inhalten online zu erleichtern. Denn: „Es gibt einen sehr engen Zusammenhang zwischen Verschwörungserzählungen auf der einen sowie Gewalt und Terror auf der anderen Seite“, macht Ronja Schonscheck deutlich. Sie ist wissenschaftliche Referentin des Vereins WerteInitiative, der hinter der Plattform steht.

Verschiedene Mittel im Kampf gegen Antisemitismus notwendig

Zur aktuellen Debatte über sogenannten importierten Antisemitismus sagt Schonscheck: „Es gibt einen sehr, sehr großen Anteil von hausgemachtem Antisemitismus in Deutschland.“ Notwendig sei, im Kampf gegen Antisemitismus zu differenzieren. Die Gegenmittel könnten und sollten je nach Kontext verschiedene sein, sagt sie und erläutert: „Es gibt einen Antisemitismus, der sich scheinbar auf den Koran begründet und eine muslimische Identität an die Feindschaft gegenüber Juden knüpft. Das ist ein ganz anderer Antisemitismus als der, der sich am deutschen Volk, das als germanisches, arisches, reines verstanden wird und sich irgendwie von dieser ,Verschmutzung' durch die Juden befreien muss. Das Ergebnis ist für Jüdinnen und Juden in Deutschland in weiten Teilen sehr ähnlich. Die Aufklärung, Bekämpfung und Bildung dagegen muss aber eine natürlich eine angepasste sein“, so Schonscheck.

Der Publizist Michel Friedmann forderte im Gespräch mit dem SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil am Stand des „vorwärts“ auf der Frankfurter Buchmesse gesamtgesellschaftliche Anstrengungen im Kampf gegen Antisemitismus. „Ich brauche keine Solidarität. Ich brauche die Empathie, dass wir alle am Ende unsere Identität nicht mehr leben können“, macht er deutlich. Ähnlich sieht das die Publizistin Sineb El Masrar, die kürzlich das Buch „Sind wir nicht alle ein bisschen Alman?“ veröffentlich hat.

Solidarität nicht mit Verschwörungserzählungen vermischen

„Wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht zurückentwickeln und diesen antidemokratischen und antisemitischen Tendenzen, die in vielen verschiedenen Auswüchsen existieren, mehr Raum geben. Wir sind als Gemeinschaft gemeinsam dafür verantwortlich, dass wir das hier gut hinkriegen, für uns, aber auch für die nachfolgende Generation“, forderte sie im Gespräch mit dem thüringischen Innenminister Georg Maier (SPD) auf der Buchmesse.

Aus ihrer Sicht vemische sich bei Solidaritätskundgebungen mit den Palästinenser*innen die Solidarität mit der Zivilbevölkerung in Gaza häufig mit verschiedensten Formen von Verschwörungserzählungen. Daher macht El Masrar deutlich: „Es muss uns als Muslimen gelingen, Juden nicht auszugrenzen, sondern uns von Extremisten abzugrenzen und zu erkennen, dass wir den Palästinensern nicht damit helfen, wenn wir auch noch extremistische Gruppierungen umarmen.“

Maier: „Antisemitismus ist im Vorwärtsgang unterwegs“

Für Georg Maier gehört die Bekämpfung von Antisemitismus zu seiner breiten Aufgabenpalette als Innenminister, wobei er auf der Buchmesse deutlich macht, dass er in Thüringen vor allem mit rechtsextremistisch motiviertem Antisemitismus zu tun hat. „Rechtsextremismus zu bekämpfen ist seit vielen Jahren eine meiner Hauptaufgaben“, sagte er. Gleichzeitig berichtete Maier, dass ihn die Umfragewerte und Wahlergebnisse der AfD mit Sorge erfüllten, „weil antisemitische Narrative und Verschwörungserzählungen eine Basis dieser Partei sind“. Maier erzählte: „Wir machen regelmäßig Untersuchungen in Thüringen, wie sich diese Narrative weiter durchsetzen und müssen leider feststellen: Das gewinnt an Boden. Der Antisemitismus ist nicht auf dem Rückzug. Er ist im Vorwärtsgang unterwegs.“

Umso wichtiger erscheinen Angebote wie die Plattform „OY VEY“, auf der Nutzer*innen breite Argumentationshilfen finden, um antisemitische Verschwörungserzählungen vor allem in den sozialen Medien zu kontern und eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen.

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Kommentare

Da werden alle möglichen Stellen geschaffen,

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Die Bekämpfung des Antisemitismus

krankt leider inzwischen daran, dass die Definition von Antisemitismus zunehmend erweitert und so auch legitime Kritik an der politischen Staatsführung Israels und an der dem Staat Israel zuzurechnenden Politik erschwert wird. Dieser Trend ist derzeit sehr mächtig und nimmt weiter zu. Diese Ausweitung wird über kurz oder lang die Bekämpfung von Antisemitismus nicht erleichtern, sondern erschweren.

Der "Lückenschluss" des Antisemitismus zu etwaigen "Verschwörungsmythen" ist ebenfalls ein Irrweg. Natürlich gibt es absurde Geschichten und Weltbilder, hier wird aber ein zunehmend schwammiger Bereich des "nicht-Sagbaren" angerührt. Was ist schon Verschörung, was ist noch legitime Kritik? Was sind subjektive Ansichten und was ist objektiv falsch? Die Unterscheidung ist regelmäßig schwieriger zu treffen, als in den einschlägigen Faktencheckern suggeriert wird. Z.B.: Ist Israel ein Apartheidsstaat?

Es steht der Sozialdemokratie nicht zu Gesicht, sich diesen Trends anzuschließen, weil sie am Ende bei Bedarf der Mächtigen gegen alle Oppositionellen eingesetzt werden können, was nicht zuletzt Sozialdemokraten in den letzten 150 Jahren schmerzhaft erfahren durften. Schon vergessen?

Antisemitismus

Ein sehr guter Beitrag.

ich denke, es wäre schon hilfreich und zielführend, wenn

bereits bei der Einschulung bzw bei der Aufnahme im Kindergarten ein Bekenntnis zum Existenzrecht Israels - ungeachtet des jeweiligen familiären Hintergrunds- verlangt werden würde. Das könnte man dann ja, wie die Taufe bei der Konfirmation später bestätigen lassen, mit Erreichen der Volljährigkeit durch eine schriftliche Bestätigung - quasi mittels Eidesformel. Die Sache selbst lohnt diesen vergleichsweise geringen Aufwand in jedem Falle