US-Repräsentantenhaus

Was die Abwahl McCarthys für die USA und die Ukraine bedeutet

Kai Doering10. Oktober 2023
War nur neun Monate Sprecher des US-Repräsentantenhauses: Republikaner Kevin McCarthy
War nur neun Monate Sprecher des US-Repräsentantenhauses: Republikaner Kevin McCarthy
Nach der Abwahl von Kevin McCarthy steht das US-Repräsentantenhaus ohne Sprecher*in da – ein Novum in der Geschichte der USA. Wer Nachfolger werden könnte und welche Rolle Trump spielt, erklärt Knut Dethlefsen von der Ebert-Stiftung in Washington.

In der vergangenen Woche wurde der republikanische Sprecher des Repräsentantenhauses in den USA, Kevin McCarthy, von seiner eigenen Partei gestürzt. Warum?

Die Abwahl ist ein Ausdruck der Spaltung der republikanischen Partei und der Tatsache, dass der rechte bis rechtsextreme Flügel bei den Republikanern den Ton angibt. Er ist es auch, der den Sturz von McCarthy zu verantworten hat.

Der Abwahlantrag wurde als Reaktion auf die Einigung der Republikaner mit den Demokraten im Streit über den Haushalt gestellt. Was das wirklich der Auslöser?

Kurz bevor es in den USA zum Shutdown, also der Schließung aller öffentlichen Einrichtungen, gekommen wäre, hat Kevin McCarthy einen Kompromissvorschlag für einen Übergangshaushalt vorgelegt. Als Reaktion reichte der radikale republikanische Abgeordnete Matt Gaetz aus Florida einen Misstrauensantrag gegen McCarthy ein, der neben den demokratischen auch von acht Abgeordneten der Republikaner mitgetragen wurde. Auslöser war also dieser Kompromissvorschlag, aber das Misstrauen gegenüber McCarthy war schon vorher groß. Schließlich brauchte er im Januar 15 Wahlgänge, um Sprecher zu werden, weil ihm die eigenen Leute die Stimme verweigerten. Von dieser Schlappe hat er sich nie ganz erholt.

Was bedeutet das sprecherlose Repräsentantenhaus für die USA?

Das ist eine Situation, die es in der Geschichte der USA noch nicht gegeben hat. Ohne Sprecher ist das Repräsentantenhaus nahezu handlungsunfähig. Beschlüsse sind nicht mehr möglich. Das kann die USA lähmen.

Wie sehr drängt die Zeit, eine*n Nachfolger*in für McCarthy zu finden?

Die Zeit drängt sehr, denn das Haushaltsaufschubgesetz, das vor McCarthys Abwahl beschlossen wurde, gilt nur bis Mitte November. Danach droht erneut ein Shutdown, mit allen damit verbundenen Konsequenzen, etwa für die Unterstützung der Ukraine. Vor dem Hintergrund der Ereignisse in Israel hat die Handlungsunfähigkeit eine neue Dramatik erhalten, denn die USA sind der größte Unterstützer Israels. Ein Sonderhaushalt für weitreichende Unterstützung Israels soll auf den Weg gebracht werden. Einen neuen Haushaltsentwurf kann nur der Sprecher des Repräsentantenhauses einbringen, den es im Moment aber nicht gibt. Deshalb bin ich mir sicher, dass es noch in dieser Woche einen Nachfolger für McCarthy geben wird. Die Wahl wird für Mittwoch erwartet. Am Dienstag kommt die republikanische Fraktion in Washington hinter verschlossenen Türen zusammen, um sich zu beraten.

Wen sehen Sie als aussichtsreichste*n Kandidat*in?

Es gibt mehrere Kandidaten, von denen zwei besonders aussichtsreich sind: Steve Scalise aus Louisiana, der aus der Führung der republikanischen Partei stammt. Er gilt als sehr konservativ, wird sich aber bemühen, die republikanische Fraktion zusammenzuhalten. Der andere ist Jim Jordan aus Ohio. Er ist ein Rechtspopulist, der ganz eng bei Donald Trump steht. Trump hat ihn auch gerade als Sprecher empfohlen. Jordan war lange Vorsitzender des „Freedom Caucus“, einer rechtspopulistischen Strömung innerhalb der Republikaner, und hat sich bereits skeptisch gegenüber jeglicher weiterer Unterstützung der Ukraine geäußert. Wer von den beiden sich am Ende durchsetzt, ist aus meiner Sicht völlig offen. Für Scalise könnte problematisch werden, dass bei ihm vor einigen Wochen Leukämie diagnostiziert wurde, und sich nun viele fragen, ob sein Gesundheitszustand für das Amt ausreicht. Inzwischen hat sich sogar Kevin MacCarthy selbst wieder als Kandidat ins Spiel gebracht.

Warum sind so viele Republikaner gegen eine weitere Unterstützung der Ukraine?

Es gibt eine wachsende Skepsis unter den Republikanern, ob eine weitere Unterstützung im nationalen Interesse der USA ist. Jim Jordan will mit dem Geld lieber Probleme in den USA lösen. Hinzu kommt die Befürchtung, dass die USA in einen immerwährenden Krieg hineingezogen werden. Ein Antreiber hinter den Kulissen ist Donald Trump, der ja fast eine bewundernde Haltung gegenüber Wladimir Putin einnimmt und eine fast verachtende Haltung gegenüber der Ukraine und dem ukrainischen Präsidenten Selenskij. Ein Teil der Republikaner ist aber auch schlicht gegen eine Unterstützung der Ukraine, weil die Demokraten dafür sind.

Nochmal zurück auf den Machtkampf innerhalb der republikanischen Fraktion. Hat der auch Auswirkungen auf den Vorwahlkampf bei den Republikanern?

Nein. So ungeeint die Fraktion in der Frage des künftigen Sprechers ist, so geeint ist sie in ihrer Unterstützung für Donald Trump als Präsidentschaftskandidat. Für die Darstellung der republikanischen Partei insgesamt ist dieser Machtkampf aber sicher alles anders als gut.

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Kommentare

„Im nationalen Interesse der USA“_1

Die Frage zum Ukrainekrieg und ihre Antwort sagen eigentlich (fast) nichts über den Konflikt und dessen Bedeutung für die Ukraine (oder Russland) aus. Dennoch lohnt es sich, auf die „weitere Unterstützung“ zu schauen.

Die Vorstellung fällt schwer, „eine weitere Unterstützung der Ukraine“ läge im „im nationalen Interesse der USA“. Es sei denn, der Betrachtungshorizont schließt den republikanischen Minderheitsführer im Senat, Mitch McConnell, ein, für den die Unterstützung Kiews „in unserem direkten Interesse ist – nicht zuletzt, weil ein geschwächtes Russland zur Abschreckung Chinas beiträgt“ (FAZ, 22.9.23). Ähnlich sieht es unsere Außenministerin, wenn sie den Ausgang des Ukraine-Krieges als „ein Zeichen für andere Diktatoren in der Welt, etwa für Xi, Chinas Präsident", hält (ARD, 18.9.23). Auch die „Nationale Sicherheitsstrategie der Bundesregierung“ braucht „die Ukraine, die Republik Moldau und perspektivisch auch Georgien“ (S. 5 (Kurzform)/S. 39). Und die Nato-Strategie 2022 legt sich geostrategisch fest: Eine starke, unabhängige Ukraine ist für die Stabilität des euro-atlantischen Raumes unerlässlich ... und die breitere transatlantische Gemeinschaft“ (Vorwort).

„Im nationalen Interesse der USA“_2

Der geostrategische Hintergrund für den Westen ist also entscheidend für seine Unterstützung der Ukraine, für den Fortgang der Kampfhandlungen, aber auch für deren Beendigung (– vielleicht sogar für ihren Beginn).
Ich mute dem Leser zu, selbst die Konsequenzen zu finden, z. B. die Länge des Kampfes und den Zustand beider Länder am Ende des geostrategischen Krieges zu bedenken.
Soviel aber noch: Strategische Interessen nehmen üblicherweise kaum Rücksicht auf menschliche Schicksale, ganz gleich ob die Hunderte, Tausende oder Hunderttausende zählen.