Ehemaliger Bundeskanzler

8. Oktober 1992: So trauerte Deutschland um Willy Brandt

Bernd Rother08. Oktober 2023
Abschied von einem Idol: Berliner warten vor dem Rathaus Schöneberg, um Willy Brandt die letzte Ehre zu erweisen.
Abschied von einem Idol: Berliner warten vor dem Rathaus Schöneberg, um Willy Brandt die letzte Ehre zu erweisen.
Am 8. Oktober 1992 stirbt Willy Brandt. Die SPD ist in tiefer Trauer um ihren Vorsitzenden, die Anteilnahme der Menschen ist groß. Die Republik ehrt den früheren Bundeskanzler mit einem Staatsbegräbnis.

Die Nachricht aus Unkel gelangt erst Stunden später an die Öffentlichkeit: Willy Brandt ist seinem Krebsleiden erlegen, am 8. Oktober 1992 um 16.35 Uhr. Am Tag darauf beherrscht die Meldung vom Tod des früheren Bundeskanzlers und SPD-Vorsitzenden die Nachrichten. In der „Tagesschau“ nehmen die Berichte 10 der 15 Minuten ein, die Reaktionen aus dem In- und Ausland drängen andere aktuelle Ereignisse in den Hintergrund. Tausende – bei weitem nicht nur SPD-Mitglieder – gehen in der ganzen Republik spontan auf die Straße.

In Kundgebungen und Fackelzügen gedenken sie des großen Sozialdemokraten, Antifaschisten und Friedensnobelpreisträgers. In Berlin rufen der Regierende Bürgermeister und die SPD gemeinsam dazu auf. Die Bundestagsabgeordneten aller Fraktionen erheben sich zu Ehren Willy Brandts zu einer Schweigeminute. In den SPD-Geschäftsstellen landauf, landab liegen Kondolenzbücher aus. Ganze Schulklassen tragen sich ein, auch politische Gegner*innen. Im Bonner Regierungsviertel fragt sich ein Obdachloser solange durch, bis er das Buch findet.

Reich-Ranicki: „noch einmal Dank“

Aus den Nachrufen sticht der von Marcel Reich-Ranicki in der „FAZ“ heraus: „Was ich empfunden habe, als ich um zwei Uhr nachts die Worte des Rundfunksprechers hörte, war (...) noch einmal Dank. Noch einmal: Denn seit jenem Tag, da die Weltpresse das Bild des vor dem Denkmal des Warschauer Gettos knienden Willy Brandt gezeigt hatte, wusste ich, dass ich ihm bis zum Ende meines Lebens Dank schuldig sein werde.“

Der Bundespräsident ordnet für den Verstorbenen ein Staatsbegräbnis an. Die Bundesrepublik ehrt so einen ihrer Größten, einen, der entscheidende Weichenstellungen vorgenommen hat. Der Sarg wird von Unkel nach Berlin übergeführt und am 16. Oktober im Rathaus Schöneberg aufgebahrt. Wieder nehmen Tausende von Willy Brandt Abschied: hier auch von ihrem ehemaligen Regierenden Bürgermeister, defilieren am Sarg vorbei.

Trauerstaatsakt im Reichstag

Am 17. Oktober findet der Trauerstaatsakt im Reichstag statt. Führende Politiker*innen und Weggefährt*innen Willy Brandts aus aller Welt sind angereist: UNO-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali, Frankreichs Staatspräsident François Mitterrand, Michail Gorbatschow, bis vor zehn Monaten Staatsoberhaupt der mittlerweile aufgelösten UdSSR, Prinz Charles und viele andere mehr. Ein leichter Schatten fällt auf die würdige Feier, als bekannt wird, dass Willy Brandts frühere Gattin Rut nicht eingeladen ist.

Die Gedenkreden halten Bundespräsident Richard von Weizsäcker, Bundeskanzler Helmut Kohl und der SPD-Vorsitzende Björn Engholm, der Brandt einen weltoffenen Patrioten nennt, links und frei. Besonders ergreifend ist die Ansprache von Felipe González, der für die Sozialistische Internationale (SI) spricht. Bis drei Wochen vor seinem Tod ist Willy Brandt Präsident der SI gewesen. Der spanische Ministerpräsident erinnert daran, dass Brandt bereit gewesen ist, den Frieden mit Waffen zu verteidigen. Unvergessen bleiben seine Schlussworte „Adiós, amigo Willy“.

„Adiós, amigo Willy“

Offiziere der Bundeswehr tragen den Sarg nach draußen, dort spielt die Bundeswehr das Lied vom guten Kameraden – so wie es sich Willy Brandt gewünscht hat. Anschließend fährt der Trauerzug durch die Stadt zum Waldfriedhof Zehlendorf. Hier findet der Tote Seite an Seite mit Ernst Reuter seine letzte Ruhe in einem Ehrengrab des Berliner Senats. Auf dem Grabstein steht der Name, sonst nichts. 

In den ersten Tagen kann aber von „Ruhe“ nicht gesprochen werden. Ein ununterbrochener Strom von Menschen defiliert am Grab vorbei. An jedem 8. Oktober versammeln sich seither Menschen am Grab, um Willy Brandt zu ehren, der bis heute unvergessen geblieben ist.

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Kommentare

Ehrenwache für Willy

Ich war Juso, recht frisch. Und durft für den Landesverband Ehrenwache am Sarg von Willy halten, als sich die Menschen von ihm verabschiedet haben. Bei Regen und Kälte standen wir und die Falken mit unseren Fahnen am Eingang. Im Wechsel durfte jeweils eine*r von uns dann rein, um die Wache am Sarg zu halten. Es war einer der beeindruckendsten Tage meines Lebens.

Willy Brandt

Für mich, Jahrgang 1953, ist Willy Brandt nach wie vor DIE Verkörperung der positiven Seiten der SPD.

Ich darf auch verweisen auf meine Kommentierungen unter

https://www.vorwaerts.de/artikel/50-jahre-radikalenbeschluss-wiily-brand...

- hier insbesondere:

' 50-Jahre Radikalenbeschluss III '
vom 29.01.2022 19:32 h

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