„Nationale Kraftanstrengung“

Ukraine-Krieg: Wie Kanzler Olaf Scholz die „Zeitenwende“ einleitete

Lars Haferkamp27. Februar 2023
Olaf Scholz am 27.02.2022 bei der Regierungserklärung zum Krieg in der Ukraine: Er spricht von einer „Zeitenwende in der Geschichte unseres Kontinentes“.
Olaf Scholz am 27.02.2022 bei der Regierungserklärung zum Krieg in der Ukraine: Er spricht von einer „Zeitenwende in der Geschichte unseres Kontinentes“.
Vor einem Jahr, am 24. Februar 2022, begann der Überfall Russlands auf die Ukraine. Nur drei Tage später verkündete Bundeskanzler Olaf Scholz eine „Zeitenwende“ der deutschen Politik. Rückblick auf einen historischen Moment

Der Angriff Russland auf die Ukraine führt zu einer gravierenden Kurskorrektur der deutschen Politik. Die kündigt Bundeskanzler Olaf Scholz am 27. Februar 2022 in seiner Regierungserklärung im Bundestag an. Der Überfall auf die Ukraine am „24. Februar 2022 markiert eine Zeitenwende in der Geschichte unseres Kontinentes“.

Für den Kanzler geht es nun vor allem um eine Frage: „Ob Macht das Recht brechen darf. Ob wir es Putin gestatten, die Uhren zurückzudrehen in die Zeit der Großmächte des 19. Jahrhunderts oder ob wir die Kraft aufbringen, Kriegstreibern wie Putin Grenzen zu setzen.“ Scholz hat darauf eine klare Antwort: „Ja, wir wollen und wir werden unsere Freiheit, unsere Demokratie und unseren Wohlstand sichern.“ Er lässt keinen Zweifel: „Wir nehmen die Herausforderung an.“ Man tue das „nüchtern und entschlossen“.

Olaf Scholz: „Deutlich mehr investieren in die Sicherheit unseres Landes“

Aber „das setzt eigene Stärke voraus“. Und für die will die Bundesregierung sorgen. So kündigt der Kanzler eine massive Aufstockung der Bundeswehr an. Die sei nötig, um der russischen Bedrohung zu begegnen. „Klar ist: Wir müssen deutlich mehr investieren in die Sicherheit unseres Landes, um auf diese Weise unsere Freiheit und unsere Demokratie zu schützen.“ Dazu sei „eine große nationale Kraftanstrengung“ erforderlich. Scholz lässt keinen Zweifel: „Das ist ja wohl erreichbar für ein Land unserer Größe und unserer Bedeutung in Europa.“ Dazu soll ein „Sondervermögen Bundeswehr“ eingerichtet werden in einer Höhe von 100 Milliarden Euro im Bundeshaushalt 2022. „Wir werden von nun an Jahr für Jahr mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in unsere Verteidigung investieren“, so wie es die Nato-Staaten auf lange Sicht vereinbart hatten.

Auch in der Energieversorgung kündigt der Kanzler ein Umsteuern an. Um die Importabhängigkeit bestimmter Anbieter – gemeint ist Russland – zu verringern, werde Deutschland rasch zwei neue Terminals für Flüssiggas errichten.

Deutsche Waffen zur Selbstverteidigung der Ukraine

Gegenüber der Ukraine bekräftigt Scholz die deutsche Unterstützung. Während der ukrainische Botschafter auf der Ehrentribüne des Bundestages sitzt, sagt der Kanzler: „Wir müssen die Ukraine in dieser verzweifelten Lage unterstützen.“ Das habe Deutschland bereits seit Jahren in großem Umfang getan, „aber mit dem Überfall auf die Ukraine sind wir in einer neuen Zeit“. Die Menschen in der Ukraine verteidigten nicht nur ihre Heimat, sondern auch ihre Freiheit und Demokratie – „Werte, die wir mit ihnen teilen“. Als Demokraten und als Europäer, so der Kanzler, „stehen wir an ihrer Seite, auf der richtigen Seite der Geschichte“. Die neue Realität von Putins Überfall auf die Ukraine „erfordert eine klare Antwort: Wir haben sie gegeben“: Deutschland liefere der Ukraine Waffen zur Verteidigung. „Auf Putins Aggression konnte es keine andere Antwort geben.“

Um Putin „von seinem Kriegskurs abzubringen“ kündigt der Bundeskanzler weitreichende Sanktionen an. Das Sanktionspaket der EU „von bisher ungekanntem Ausmaß“ werde russische Banken und Staatsunternehmen von der Finanzierung abschneiden, der Export von Hightech werde reduziert, die Oligarchen und ihre Geldanlagen in der EU würden „ins Visier“ genommen, es gebe auch „Strafmaßnamen gegen Putin und Personen in seinem direkten Umfeld“, wichtige russische Banken würden von Swift ausgeschlossen. Und Scholz ist bereit, noch darüber hinaus zu gehen: „Wir behalten uns weitere Sanktionen vor – ohne irgendwelche Denkverbote.“

Scholz: „Freiheit wird sich auch in Russland durchsetzen“

Der Bundeskanzler zeigt seine Hochachtung vor den aktuellen Protesten in vielen Städten in Russland gegen Putins Krieg. Die Demonstrierenden „haben Verhaftung und Bestrafung in Kauf genommen, das erfordert großen Mut.“ Der Bundestag applaudiert sehr lange und zeigt so seine Unterstützung, die Abgeordneten erheben sich, nur die AfD bleibt sitzen. Deutschland stehe an der Seite „all jener in Russland, die Putins Machtapparat mutig die Stirn bieten und seinen Krieg gegen die Ukraine ablehnen“, so Scholz. Das seien viele. Der Kanzler macht ihnen Mut: „Geben Sie nicht auf! Freiheit, Toleranz und Menschenrechte werden sich auch in Russland durchsetzen.“

Gegen Ende seiner Rede macht Scholz noch einmal deutlich, wofür Deutschland und seine Regierung – auch angesichts der deutschen Geschichte – stehen: „Wir stehen ein für den Frieden in Europa. Wir werden uns nie abfinden mit Gewalt als Mittel der Politik. Wir werden uns immer stark machen für die friedliche Lösung von Konflikten. Und wir werden nicht ruhen, bis der Frieden in Europa gesichert ist.“ Kräftiger langanhaltender Beifall begleitet den Kanzler zurück zur Regierungsbank. Die Abgeordneten der Regierungsfraktionen von SPD, Grünen und FDP, aber auch von der CDU/CSU-Opposition, applaudieren ihm stehend.

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Kommentare

um wirklich glaubwürdig agieren zu können, sollte

Deutschland zunächst einmal den Atomwaffensperrvertrag kündigen, und damit signalisieren, dass es keine Grenzen gibt in Sachen Verteidigungsbereitschaft. So wie jetzt agiert wird, freut sich die Rüstungsindustrie, freuen sich deren Kunden auch in Kriegs und Spannungsgebieten, während die Atommächte davon sicher nicht beeindruckt sein werden. Wozu auch, Panzer sind mit Waffenfähigen Drohnen sehr leicht auszuschalten. Wenn jetzt mehr Panzer beschafft werden, müssen derart mehr dieses Schicksal auf sich nehmen- am Abschreckungspotential ändern sie nichts

„Werden unsere Freiheit verteidigen“

Das Putin-Verbrechen, der nennt das Friedenseinsatz, bedeutet eine „Zeitenwende“ (Scholz), eine „180-Grad Drehung“ (Baerbock). Über Nacht ist die geltende Überzeugung, kein Friede ohne, erst recht nicht gegen Russland, der Gewissheit gewichen, keine europäische Friedensordnung mit Russland. „Kriegstreibern wie Putin Grenzen zu setzen, ... nüchtern und entschlossen“ (Scholz), ist die notwendige Folge; Frau Baerbock will „Russland ruinieren“. Das verlangt „eine massive Aufstockung der Bundeswehr“, die erreicht werden kann mit einem grundgesetzlich abgesicherten „Sondervermögen Bundeswehr“ (100 Milliarden) und der Erhöhung des Bundeswehretats „von nun an Jahr für Jahr (um) mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (mehr als 70 Mrd.)“ (Scholz). „Militär ist wieder Bestandteil der Außenpolitik“ (Röttgen gestern bei Will) – und unsere Bevölkerung habe das bereits akzeptiert. Vermittelt haben ihm diese Einsicht die großen Demonstrationen gegen der Putin-Krieg vom Sonntag.
Ein interessierter Beobachter, weiß ich gar nicht, wie mir geschieht: Verfolgten wir mit diesem Ansatz nicht genau die Machtpolitik, die uns in die aktuelle Lage gebracht hat?

ich komme beim Lesen des Artikel zur gleichen Schlussfolgerung

fürchte fast, dass eines Tages im Rückblich die SPD wieder einmal, für alle überraschend, Kriegskredite bewilligt haben wird. Natürlich sind wir heute nicht so weit wie im Sommer 1914, aber es stimmt doch sehr bedenklich, dass hier mit Leichtigkeit sogar unter Führung der SPD über das hinweggegangen wird, was doch Konsens war in den letzten Jahren. Warum greift niemand auf den Schmidtschen Gedanken des Doppelbeschlusses zurück, wenn keine Abrüstung vereinbart bis bis Ultimo, dann rüsten wir, sonst nicht.
Mir ist das alles zu einfach und ich vermisse in der Presselandschaft eine differenzierte Betrachtung. Oder lebe ich hinter dem Mond, und es gilt, was 1914 galt? Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch.....

" nicht ruhen, bis der Frieden in Europa gesichert ist"

Lindner will Russland isolieren, etwa durch Ausschluss vom SWIFT-Überweisungsverkehr. Dadurch werden relativ kurzfristig alle Käufe und Verkäufe Russlands im Ausland verhindert. Ein anderes drastisches Mittel ist das Einfrieren von Guthaben der Russischen Notenbank bei anderen Notenbanken. Damit kann man Russland den Zugriff auf, so Lindner bei Will, 400 der 600 Milliarden seiner Devisenreserven sperren. Das sind sehr drastische Waffen. Wirtschaftssanktionen sind viel effektivere Waffen, als die teuren, lauten, stinkenden und zudem irreversiblen Raketen, Bomben und Granaten. Strategen fragen sich z. B., ob es nicht besser ist, einen Gegner totzurüsten, statt sich die Mühe zu machen, ihn totzuschießen.
Wirtschaftssanktionen sind an die BIPs der Kontrahenten gebunden. Etwas pauschal: Relativ gleichstarke Volkswirtschaften können sich nicht sanktionieren. Das BIP der Bundesrepublik betrug 2020 nominal 3.843 Mrd. $, das der Russischen Föderation 1.478 Mrd. $. Die EU erwirtschaftete etwa 11.360 Mrd. $. Selbst an der BRD gemessen ist Russland ein Zwerg.
Das Problem ist nur, Russland ist ein Zwerg mit der zweitgrößten Atommacht im Ärmel.
Wirtschaftssanktionen sind Waffen!!

Bundeskanzler Scholz formuliert hier nicht weniger

als eine Abwendung von der sozialdemokratischen Idee einer europäischen Friedensordnung nach dem zweiten Weltkrieg. Das mag man im Rausch der russischen Invasion so sehen, ich teile dies nicht.

Absehbar ist, dass ab jetzt Anhänger von Abrüstung und Friedensdiplomatie in der SPD einen sehr schweren Stand haben werden. Das hat unser Genosse Bundeskanzler durch seine kompromisslose Linie klar gemacht.

Ihm ist der Applaus der Medien zuteil geworden. Diese sind in zunehmenden Maße kriegsgeil.

Unbeantwortet bleibt die Frage, die auch Genosse Isfort stellt: Wie soll ein Friedensordnung gegen Russland aussehen, wenn Russland Atommacht ist? Wie soll sie aussehen, solange die Sicherheitsbedürfnisse der Atommacht Russland durch den Expansionsdrang der Nato systematisch verletzt werden?

Den Überfall Russlands auf die Ukraine verurteile ich. Er ändert aber nichts am Befund, dass von Krieg und Aufrüstung bisher immer nur das Rüstungskapital profitiert hat. Und es ändert nichts daran, dass mit mehr Waffen niemals mehr Frieden einhergegangen ist.

Ich glaube, die SPD schlägt jetzt ein Kapitel ihrer Geschichte zu und büßt damit einen wesentlichen Teil ihrer Identität ein.