Interview mit dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Matthias Hey

Warum in Thüringen wieder eine Zusammenarbeit von CDU und AfD droht

Jonas Jordan13. September 2023
Der Thüringer CDU-Vorsitzende Mario Voigt (hier im Gespräch mit seinem FDP-Kollegen Thomas Kemmerich) scheint bei der morgigen Abstimmung im Landtag eine Zustimmung der AfD in Kauf zu nehmen.
Der Thüringer CDU-Vorsitzende Mario Voigt (hier im Gespräch mit seinem FDP-Kollegen Thomas Kemmerich) scheint bei der morgigen Abstimmung im Landtag eine Zustimmung der AfD in Kauf zu nehmen.
Die Empörung nach dem sogenannten Dammbruch im Jahr 2020 war bundesweit groß. Nun droht wieder eine gemeinsame Abstimmung von CDU und AfD im Thüringer Landtag. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Matthias Hey erklärt, was das bedeuten würde.

Im Thüringer Landtag droht am Donnerstag eine gemeinsame Abstimmung von CDU, FDP und AfD. Worum geht es dabei?

Die CDU ist der Überzeugung, man müsse in der Frage der Familienförderung und der Förderung des Baugewerbes von der für sie unerträglichen Steuerhöhe von 6,5 Prozent Grunderwerbssteuer runter auf 5 Prozent. Diese eineinhalb Prozentpunkte würden zu einem Einnahmeausfall von rund 50 Millionen Euro im Jahr führen, von denen wir nicht wissen, wie sie kompensiert werden sollen. Zudem würden auch Immobilienkonsortien davon profitieren. Deswegen ist das für uns kein richtiges Instrument. Wir haben der CDU mehrfach vorgeschlagen, gerne über eine andere Form der Familienförderung zu sprechen. Die CDU weiß, dass die AfD für ihren Vorschlag ist. Bereits am Freitag haben CDU und FDP mit Stimmen der AfD diesen Gesetzentwurf im Haushalts- und Finanzausschuss mit einer Beschlussempfehlung ins Plenum geschickt. Morgen steht er bei uns auf der Tagesordnung. So weit, so schlecht.

CDU-Chef Mario Voigt spricht von einer „AfD-Falle“, die Rot-Rot-Grün der CDU stelle. Was entgegnen Sie dem?

Das ist unlauter, weil er weiß, dass wir ihm das Angebot gemacht haben, über das Ansinnen einer sozialen Förderung bei Erwerb von Wohneigentum zu sprechen, sogar unter den Augen des Ministerpräsidenten. Es gab eine Viererrunde mit allen Fraktionsvorsitzenden von Rot-Rot-Grün und ihm, wo wir ihm das noch mal gesagt haben. Gleichzeitig weiß die CDU um die Zustimmung der AfD, die sie bewusst in Kauf nimmt. Sie geben der AfD damit zum ersten Mal im Thüringer Landtag eine Haushaltsmacht. Das ist eine neue Qualität, die uns entsetzt.

Wie wird die SPD abstimmen?

Wir werden das natürlich ablehnen. Das Gesetz ist zweigeteilt: Es geht zum einen um die bloße Absenkung von 6,5 auf 5 Prozent, zum anderen wollen sie ein Förderprogramm für Grunderwerb machen. Dazu haben wir aber nicht die Gesetzgebungskompetenz. Der zweite Teil ist somit rechtlich sehr, sehr bedenklich. Den ersten Teil würden wir auch ablehnen, weil nicht klar ist, wie es refinanziert werden soll. Das ist keine soziale Familienpolitik.

Ist das Szenario der gemeinsamen Abstimmung von CDU, FDP und AfD noch abzuwenden?

Ja, wir führen so lange Gespräche, bis der Tagesordnungspunkt aufgerufen wird. Zugleich werden wir einen Antrag von Rot-Rot-Grün präsentieren zur Rücküberweisung dieses Gesetzesentwurfs in den Ausschuss, weil wir gerne im Wege der Haushaltsverhandlungen darüber sprechen wollen. Wenn Sie diesen Rücküberweisungsantrag auch noch ablehnen – das können sie wieder nur mit den Stimmen der AfD – dann kann morgen etwas passieren, was wir eigentlich in Deutschland in den Parlamenten nicht haben wollten.

Wenn es tatsächlich so kommt, wie glaubhaft wäre dann noch Friedrich Merz‘ Aussage von der intakten Brandmauer der CDU nach rechts?

Die Thüringer CDU tänzelt ständig auf dieser Brandmauer. Da bräuchte es eine klare Ansage aus Berlin. Ich fürchte jedoch, dass Merz mittlerweile die Möglichkeit, Einfluss auf die Thüringer CDU zu nehmen, vollständig verloren hat.

Was insofern bemerkenswert ist, da seine Vor-Vorgängerin Annegret Kramp-Karrenbauer im Jahr 2020 nach der gemeinsamen Wahl von CDU und AfD des FDP-Mannes Kemmerich zum Ministerpräsidenten als Bundesvorsitzende zurücktrat.

Sie fuhr nach einem Besuch in der Landtagsfraktion der Thüringer CDU zurück nach Berlin und trat zurück. Das sagt viel aus über die Art und Weise, wie die CDU hier tickt.

Was würde die Abstimmung für die weitere Zusammenarbeit mit der CDU im Landtag bedeuten?

Es gibt momentan ohnehin kaum noch eine Zusammenarbeit. Es geht vieles nur noch konträr. Das ist politischer Stillstand, der verwaltet wird. Ich finde das Vorgehen der CDU aber deswegen so bemerkenswert, weil sie von einer sogenannten Deutschlandkoalition schwärmen. Sie wollen ab September 2024 gemeinsam mit SPD und FDP dieses Land führen. Wenn ich einen dieser möglichen Koalitionspartner so vor den Kopf stoße, wie sie es im Moment tun, frage ich mich, ob sie strategisch denken. Denn irgendwann wird ein Gremium meiner Partei im Herbst nächsten Jahres zusammentreten und überlegen müssen, ob man mit so einer politischen Kraft das Land gestalten will. Wer koalieren will, muss freundlich sein. Das, was sie tun, ist genau das Gegenteil.

Wie blicken Sie angesichts dessen auf die Landtagswahl im kommenden Jahr?

Natürlich mit sorgenvollem Blick. Möglicherweise wird die AfD in Nordhausen den ersten Oberbürgermeister stellen. Wir haben den Sonneberger Landrat von der AfD. Wir haben die Stimmung hier in der Bevölkerung und kennen die Umfragewerte. Wenn das so weitergeht, kriegen wir ein anderes Thüringen als das, was wir kennen. Das ist sehr bitter.

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Kommentare

Abstimmungen sind keine Zusammenarbeit

Deshalb gab es 2020 auch keine gemeinsame Wahl von CDU und AfD von Herrn Kemmerich (FDP). Den Thüringer Landtagsabgeordneten der SPD hätte es ja nun auch offengestanden, Herrn Kemmerich zu wählen. Schliesslich war Herr Kemmerich ja von der FDP und eben nicht von der AfD.

Wenn nun im Landtag Thüringens es irgendetwas zum Abstimmen gibt, dann muss dafür argumentativ geworben werden und eben nicht gedroht. Eine Angelegenheit wird ja nicht dadurch 'falsch', weil sie von den 'falschen' Personen vorgeschlagen wird.

Stellt man sich nämlich auf so ein hohes moralisches Ross, wird man das bei den Landtagswahlen in Thüringen im Herbst 2024 zu spüren bekommen.

Die Bürger Thüringens können eine sachliche und ordentliche Politik erwarten, anstelle solcher Kinderreien.

Zusammenarbeit mit Rechtsextremen

Interessant, wie weit die gesellschaftliche Normalisierung der AfD offenbar voranschreitet. Die aktive parlamentarische Zusammenarbeit mit Rechtsextremen stellt für Sie demnach eine „Kinderei“ dar?

Wer abstimmt, arbeitet nicht mit irgendwem zusammen.

Wer Landtagsabgeordnete als "rechtsextrem" brandmarkt, tut sich damit keinen Gefallen. Denn Bürger sind an Lösungen interessiert. Und die gucken sehr genau darauf, wer was im Landtag vorbringt, welchen Nutzen das hätte, und wer die Vorschläge ablehnt, aber selbst keine besseren Vorschläge einbringt.

Vor gut 45 Jahren lernte ich von tatsächlichen ehemaligen Widerstandskämpfern gegen das NS-Regime, wo in der damaligen BRD wirkliche Rechtsextreme aktiv waren. Das waren Personen, die einst in der NSDAP oder anderen NS-Organisationen in Führungspositionen waren und diese Weltanschauung eben auch später noch verbreiteten.

In der CDU und mehr noch in der CSU war man bspw. damals noch in der Lage, zwischen Nationalliberalen, Nationalkonservativen und wirklichen Rechtsextremen zu unterscheiden. Letztere wurden argumentativ gestellt und politisch bekämpft.

Wer im Landtag für sachliche Lösungen stimmt, macht sich damit weder die Weltanschauung noch die Parteipositionen anderer zu seiner eignen Sache.

Zusammenarbeit der SPD mit der AfD im Thüringer Landtag

Der Verfasser sollte sich fragen, warum die einstige Volkspartei in Thüringen keine Rolle spielt. Sind es die ideologischen Scheuklappen, die in diesem Artikel deutlich werden?

Eine böse Sache das- und mit den sich wohl weiter

verschlechternden Wahlergebnissen droht irgendwann eine Sperrminorität- dann bewegt sich in den ganz praktischen Dingen des Lebens im schlimmsten Fall gar nichts mehr.
Aber es bewegt sich ja zumindest sprachlich etwas. Hatte nicht aus der Bundeskanzler erst vor kurzem ausgeführt:
"Niemand sollte sich davon abhängig machen, wie die AfD abstimmt."
Sorge die AfD am Ende dafür, dass ein Antrag einer anderen Partei eine Mehrheit bekomme, dann sei das "doch keine Zusammenarbeit".

Schwierig, in diesem sprachlichen Verwirrspiel noch eine Linie zu erkennen
Besser ist es allemal, wenn solchen Anträgen der Opposition ggf mit den Stimmen der Regierungsparteien zum Erfolg geführt werden- das wäre doch wohl auch hier möglich gewesen