Ortsvereinsporträt

SPD in Chemnitz: Kaffee, Kippen und der Kampf gegen Rechts

Jonas Jordan02. November 2018
Die SPD Chemnitz zeigt Flagge für Toleranz und Weltoffenheit in der sächsischen Großstadt.
Gemeinsam gegen Rechts: Die SPD Chemnitz zeigt Flagge für Toleranz und Weltoffenheit in der sächsischen Großstadt.
Chemnitz ist in den vergangenen Wochen zum Symbol für den Kampf gegen Rechts geworden. Auch die dortige SPD steht für Weltoffenheit und Toleranz ein – und bindet auf diese Weise auch Neumitglieder ein.

Es beginnt mit den Worten: „Ich steh’ auf Kaffee, Kippen und ­Diamant-Räder.“ Im Refrain heißt es: „Ich komm aus Karl-Marx-Stadt, bin ein Verlierer, Baby, original Ostler.“ Gemeint ist das Lied „Karl-Marx-Stadt“ von der Band „Kraftklub“ aus Chemnitz. Die Stadt in Sachsen mit ihren fast 250.000 Einwohnern wurde in den vergangenen Monaten zum Symbol für vermeintlich abgehängte Ostdeutsche, Wendeverlierer, die anfällig seien für rechtsextreme Parolen. 6.000 Menschen marschierten Seite an Seite mit der AfD und Neonazis. Einige zeigten Hitlergrüße, skandierten Parolen wie „Wir sind die Fans, Adolf-Hitler-Hooligans“.

Neue Dimension der Ereignisse

Das war diese eine Seite. Auf der anderen Seite stand die SPD Chemnitz und demonstrierte mit vielen anderen unter dem Motto „Es reicht! Herz statt Hetze“ für Toleranz und Vielfalt. Zwei Tage später wurde es richtig voll. Etwa 65.000 Menschen setzten unter dem Hashtag #wirsindmehr ein Zeichen. Namhafte Künstler wie die Toten Hosen, Feine Sahne Fischfilet oder Marteria traten auf. Und eben Kraftklub mit „Karl-Marx-Stadt“, ihrer Hymne an Chemnitz, das andere, weltoffene Chemnitz.

Unter ihnen auch die SPD-Regionalgeschäftsführerin Sabine Sieble. „Diese Entwicklung hat uns auf jeden Fall überrascht. Viele von uns waren geschockt, was hier passiert ist“, sagt sie. Wenngleich es bereits in der Vergangenheit in Chemnitz ziemlich unschöne Erfahrungen mit rechten Parolen gab. In der Nähe unterhielt die NPD ein Schulungszen­trum. Nur einen Kilometer vom Hauptbahnhof entfernt hat die rechte Bekleidungsmarke „Thor Steinar“ einen Laden. Bereits in den 90er Jahren gründete sich im Umfeld des Fußballvereins Chemnitzer FC die Gruppierung „HooNaRa“ ­(Hooligans ­Nazis Rassisten), die inzwischen zwar offiziell aufgelöst ist, aber als loser Verbund weiter existiert und vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Insofern war nicht die Tatsache neu, dass es Rechte in Chemnitz gibt, wohl aber die Dimension der Ereignisse.

Debatte: Umgang mit der Antifa?

Einig waren sich die Aktiven in der SPD Chemnitz, gegen Rechte zu protestieren. Doch die Strategien waren unterschiedlich. Ein Artikel von Sabine ­Sieble auf vorwärts.de mit dem Titel „Herz statt Hetze: Es bleibt ein fader Beigeschmack“ führte innerhalb der Sozialdemokraten zu größeren Diskussionen. Die Gretchen­frage lautete: Wie halten wir es mit der Antifa?

„Mich hat gleichwohl manch fröhlich-unbedarfter Demo­tourismus befremdet und erst recht eine militante Antifa“, schrieb Sieble. Sandra Göbel, stellvertretende Vorsitzende der SPD Chemnitz und früher Juso-Chefin, sagt zu dieser Thematik: „Uns ist klar geworden, dass wir eine Debatte darüber führen müssen, was Antifaschismus bedeutet. Wir sind als Jusos da vielleicht nicht ganz so vorsichtig, wenn wir Positionen benennen und gehen offensiver auf Demonstra­tionen. Denn für uns ist es ein Herzensanliegen, Antifaschisten zu sein.“

Mobilisierung per Whatsapp-Gruppe

Während die Jusos auf Demonstrationen mehr als Frontkämpfer gegen den Faschismus auftreten, beteiligt sich die SPD ganz grundsätzlich an der Organisation von Veranstaltungen und teilt beispielsweise Ordner für Demonstra­tionen ein. Das läuft in der Praxis völlig unbürokratisch über eine Whatsapp-Gruppe, die passenderweise auch den Namen „Die Aktiven der SPD Chemnitz“ trägt, wie Sieble erläutert.

Etwa 80 Prozent der aktiven Sozialdemokraten in der sächsischen Großstadt rekrutierten sich aus seinem Ortsverein, schätzt Sebastian Reichelt. Der 33-Jährige ist seit 2012 in der SPD. Zwei Jahre später übernahm er die Führungsposition der SPD Chemnitz Ost und wurde kürzlich in einer Doppelspitze wiedergewählt. Mehr als 70 Mitglieder hat der Ortsverein, 300 die SPD in Chemnitz insgesamt. Viele Aktionen gegen Rechts gehen aus dem Ortsverein Ost hervor, sagt Reichelt. „Die rechtsextreme Gruppierung ‚Der dritte Weg‘ hatte für den ersten Mai eine Großdemonstration angemeldet. Dagegen haben wir uns vehement gestemmt.“ Die Demonstrationen seien zudem eine gute Möglichkeit, Neumitglieder aktiv einzubinden. „Wenn man sie mitnimmt, bleiben sie engagiert“, sagt Sebastian Reichelt.

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Kommentare

Chemnitz

Waren es nicht in den 1990er und Nullerjahren auch Funktionäre und Mandatsträger die das allgemeine Lied der "faulen Jammerossis" sangen ? Liegt das Lohn- und Rentenniveau nicht immer noch unter Westniveau ? Im Osten liegen die modernsten/produktivsten Fertigungsanlagen der Autoindustrie, oder die von Siemens in Görlitz. ???? Irgendwann haben die Leute die Schnauze voll ! Daß das nach rechts geht ist doch begrüßenswert fürs Kapital, den rechte stellen das bestehende Wirtshaftssystem nicht inFrage. Ich will da Engagement der SPD- und anderer Aktivisten gegenRechts nicht schmälern, aber für eine sozialdemokratische Schrift wie den vorwärts sollte die Analyse der Verhältnisse mehr Bedeutung zukommen als das Herausstellen einzelner Aktivisten.

Flagge zeigen gegen Ursachen und nicht nur gegen Symptome !!!

Vor der Erneuerung steht die schonungslose Analyse des Status Quo ! Viel zu lange wurde und wird gerade in unserer SPD zu Vieles schöngeredet ! Die Wurzel des Übels, der seither im Westen und inzwischen auch im Osten gelehrte und praktizierte Neoliberalismus mit all seinen Egoismen und Rücksichtslosigkeiten und seinem Werteparadoxum wird von unseren SPD/Alt-Vorderen nicht einmal namentlich erwähnt ! Ähnlich wie beim Klimaproblem und den Urschen werden auch an anderer Stelle unbequeme Wahrheiten schlichtweg ignoriert und ein Richtungswechsel ausgesessen. Schön wenn in Sachsen Flagge gegen Rechts gezeigt wird !! Es sollte aber auch, oder gerade Flagge gegen die Grundübel gezeigt werden, die rechtem Protest Auftrieb geben !!! Und das sind zweifellos die Werte und Auswüchse des nahezu schrankenlosen Neoliberalismus, der Entsolidarisierung und Egozentrismus zum Prinzip macht. Solidarität nur da wo es maximalen Gewinn bringt ! Diese Sache kann nicht gut gehen. Zeigt Flagge gegen die Grundübel und nicht nur gegen die Symptome (Symptome: Zulauf rechter u. rechtsextremer Protestparteien !

Es ist an der Zeit...

...dass die Basis endlich Flagge zeigt, angesichts der anhaltenden Ignoranz der Parteispitze !!!
Die Glaubwürdigkeit einer Partei kann nur zunehmen wenn ihre Politikvertreter durch ihre Vita und ihre bisherigen politischen Ambitionen kompatibel zu den künftig angestrebten Inhalten sind !!
Da sollten sich jedes SPD-Mitglied die Parteispitze und die amtierenden Minister/inn/en genauer anschauen !!
Wer setzt sich denn da jetzt nicht alles ein "Nachhaltigkeits-Käppchen" auf seinen Konzernlobbykopf !!??
Wer hat bisher Steuergerechtigkeit blockiert ? Wer hat sich bisher gegen die Bewahrer unserer Lebensgrundlagen gestellt ?
Wer konnte sich bisher nie durchsetzen bei diesen Grundlegenden Themen ?
Zeigt doch mal laut Flagge für Erneuerung !!!
Auch Protestwahl am rechten Rand hat sehr viel mit der blutleeren Politik der anhaltenden GROKO zu tun !!!
Oder habt ihr eine andere Erklärung warum die SPD nach Umfragen auf ihr absolutes Tief von 13 % bundesweit gesunken ist ?
Wie tief soll unsere SPD noch sinken ?

Wo bleibt ein Vorwärts

Wo bleibt ein Vorwärts-Kommentar zu den Aussagen von Thorsten Schäfer-Gümbel vom heutigen Tag? Wäre das dem Zustand der SPD und dem „Erneuerungsversprechen“ nicht angemessen?

"Chemnitz" ist überall. Wer

"Chemnitz" ist überall. Wer meint, die Antifa ins Gefecht schicken zu müssen, der vergrault auch noch den letzten Wähler.