SPD-Fraktionsvorsitzender

Rolf Mützenich: „Es gibt eine Tendenz, alles schlechtzureden.“

Kai Doering11. September 2023
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich: Die Kindergrundsicherung ist ein viel zu wichtiges Projekt, als dass wir die Verhandlungen öffentlich führen sollten.
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich: Die Kindergrundsicherung ist ein viel zu wichtiges Projekt, als dass wir die Verhandlungen öffentlich führen sollten.
In der vergangenen Woche wurde Rolf Mützenich als Vorsitzender der SPD-Fraktion im Bundestag bestätigt. Im Interview spricht er über das Heizungsgesetz, Änderungen bei der Kindergrundsicherung und den Deutschland-Pakt von Bundeskanzler Scholz.

Mit etwas Verzögerung hat der Bundestag am Freitag das Heizungsgesetz beschlossen. Sind Sie froh, dass es nun zum neuen Jahr in Kraft treten kann?

Es ist wichtig gewesen, das Gesetz vom Kopf auf die Füße zu stellen. Das hat eine Menge Zeit und Energie gekostet, aber nun hat es der Bundestag beschlossen. Das ist wichtig, weil alle, die vom Austausch ihrer Heizung betroffen sind, nun Planungssicherheit haben. Ich hoffe, dass sich der schlechte Ruf dieses Gesetzes bald ins Gegenteil wenden wird. Denn wir haben erreicht, dass Hausbesitzer und Mieter es sich auch leisten können, dass -eine klimaneutrale Heizung eingebaut wird. Wenn das Heizungsgesetz zusammen mit dem Gesetz zur kommunalen Wärmeplanung gleichzeitig in Kraft treten kann, dann bin ich erleichtert.

Die SPD-Bundestagsfraktion ist gerade mit Ihrer Wiederwahl als Fraktionsvorsitzender in die zweite Hälfte der Legislatur gestartet. Was wollen Sie in den kommenden zwei Jahren umsetzen?

Der Krieg in der Ukraine dauert nun schon anderthalb Jahre. Jeden Tag Tote, Verwundete, Leid und Verwüstung. Mein größter Wunsch ist, dass dieser Krieg so schnell wie möglich endet – unter Beachtung aller Rechte aus der UN-Charta für die Ukraine, von deren Integrität und Souveränität als freie Nation. Leider können wir das auch mit unserer Mehrheit im Bundestag nicht einfach so beschließen, aber unser Einsatz aus humanitärer, wirtschaftlicher, militärischer und diplomatischer Unterstützung der Ukraine wird sich daran orientieren. Mich besorgt, dass autoritäre Regierungen versuchen, den Krieg in der Ukraine und gelegentlich die Diplomatie für ihre Zwecke zu missbrauchen. Dem dürfen Demokratien nicht tatenlos zusehen.

Und natürlich werden wir fortsetzen, was wir seit Beginn der Legislaturperiode begonnen haben, nämlich die soziale und klimagerechte Modernisierung unseres Staates. Leider gibt es derzeit eine Tendenz, alles schlechtzureden. Ja, es gibt riesige Herausforderungen und unsere Politik ist anstrengend und komplex, weil wir die Herausforderungen annehmen. Aber unser Land erntet nun auch erste Früchte unseres Tuns: Im Solar-Bereich geht es kräftig voran, Salzgitter baut das erste Stahlwerk mit grünem Stahl, neue Batteriefirmen siedeln sich in Deutschland an. Mit dem Deutschland-Pakt, den unser Kanzler Olaf Scholz vorgeschlagen hat, wird es so weitergehen – immer im Bewusstsein, dass es am Ende immer auch um die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und ihre Familien geht. Deshalb möchte ich auch noch die Frage der betrieblichen Mitbestimmung angehen und die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stärken.

Ein zentrales Projekt ist sicher die Kindergrundsicherung, für die die Bundesregierung gerade ihre Eckpunkte vorgelegt hat. Wie bewerten Sie die?

Genervt hat mich am Ende der Sommerpause der öffentliche Streit darum. Niemand hatte offensichtlich auf dem Schirm, dass wir bereits im vergangenen Jahr das Kindergeld auf 250 Euro und den Kinderzuschlag erhöht haben. Das ist insgesamt ein Volumen von sieben Milliarden Euro. Damit hatten wir eine gute Grundlage dafür gelegt, um vor allem die strukturellen Mängel einer Grundsicherung für Kinder zu beheben.

Sie haben bereits angekündigt, die SPD-Bundestagsfraktion werde in den Beratungen des Gesetzes „Präzisierungen“ vornehmen. Woran denken Sie dabei?

Die Kindergrundsicherung ist ein viel zu wichtiges Projekt, als dass wir die Verhandlungen öffentlich führen sollten. Aber klar ist, dass wir Kinderarmut konsequent bekämpfen müssen und das Berechtigte die Hilfen, die ihnen zustehen, unkompliziert bekommen sollen. Armut darf sich nicht über Generationen festsetzen.

Die deutsche Wirtschaft schwächelt. Die SPD-Bundestagsfraktion will mit einem 6-Punkte-Plan dagegenhalten. Was sind Ihre Vorschläge?

Wir wollen die Konjunktur beleben, den Reformstau weiter auflösen und dabei gleichzeitig unsere Wirtschaft digitalisieren und klimaneutral machen. Ganz wichtig für eine Standortentscheidung von Unternehmen ist der ausreichende Zugang zu günstiger Energie. Zudem wollen wir besondere Anreize durch direkte Förderung und andere Maßnahmen setzen, damit Unternehmen in Deutschland investieren. Wir müssen mehr Fachkräfte gewinnen, sowohl im Inland wie im Ausland. Wir wollen unsere Wirtschaft im europäischen Kontext weiterentwickeln, denn gemeinsam sind wir stärker. Einseitige Abhängigkeiten darf es nicht mehr geben, deswegen werden wir den internationalen Handel ausbauen und die Widerstandskraft in Krisen stärken. Zusammen mit weniger Bürokratie und schnelleren Planungsprozessen mündet all das in den Deutschlandpakt von Olaf Scholz.

Die Fraktion schlägt zudem einen zeitlich begrenzten Transformationsstrompreis von 5 Cent für energieintensive Unternehmen vor. Was versprechen Sie sich davon?

Der Ausbau der Erneuerbaren Energien geht zwar teilweise zügig voran. Aber viele Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen, brauchen jetzt schnell günstige Energie. Deswegen wollen wir zeitlich befristet und sehr gezielt einen Transformationsstrompreis anbieten, der uns über die Zeit hilft.

Das Interview wurde schriftlich geführt.

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Kommentare

völlig richtig, die gibt es tatsächlich, ebenso wie

es zum guten Ton gehört, alle grundsätzlichen Probleme zu Einzelfällen zu degradieren, ergo, alles schön zu reden.
Die Wahrheit ist den Menschen zumutbar, sagt Ingeborg Bachmann und dem ist nichts hínzuzusetzen

Dialektik von schönreden und schlechtreden.

Wer mit Gesetzen tief in die Lebensführung vieler Bürger eingreift/eingreifen will, eben mittels rabiatem Zwangs zum Austausch ihrer Heizung, braucht dafür sehr sehr gute Gründe und Argumente. An beiden aber mangelt es massiv.

Das ist nun genau das, was oppositionelle MdBs kritisieren, wenn sie bspw. darauf hinweisen, dass eine Kindergrundsicherung den Armutszuzug fördert oder dass das Gebäudeenergiegesetz [GEG] weder inhaltlich noch zeitlich stimmig ist.

Man könnte die Einwände oppositioneller MdBs gegen das GEG nur mit fachlicher Expertise von berufserfahrenen Experimentalphysikern, Ingenieuren für Energietechnik, Ingenieuren für Haus- und Gebäudetechnik ... widerlegen. Dazu ist man wohl nicht nur nicht in der Lage, sondern auch nicht willens.

Die "Schwäche" der deutschen Wirtschaft ergab und ergibt sich aus politischem Versagen aller Bundesregierungen seit 1998. Und gegenwärtig sieht es danach aus, als wolle man das auch noch verschlimmbessern.

Lage schlecht reden nützt den falschen Kräften

Die Opposition und Teile der Presse reden die Lage gerade schlimmer, als sie ist. Dazu kommt der Umstand, dass es in der deutschen Gesellschaft eine Tendenz zur Schwarzmalerei und Fatalismus gibt.

Es gibt Aufholbedarf, etwa bei den Themen Infrastruktur, Energie, Bildung und Digitalisierung. Dieser Reformstau ist das Erbe von Fr Merkel, aber in keiner Weise unlösbar. Deutschland ist absolut nicht auf den Weg, ein Land der dritten Welt zu werden, wie manche geradezu herbeifantasieren.

Aber Politik muss natürlich auf solche Stimmungen reagieren. Wenn Teile des Landes so einen Abstieg glauben zu erleben, muss mit konkreten Maßnahmen dagegen gehalten werden. Die aktuelle Koalition ist besser als ihr Ruf, wobei dieser auch durch eigene Schuld entstanden ist. Die Alternativen der Opposition würden das Land nicht nach vorne bringen, sondern gerade in der Gesellschaftspolitik in die Vergangenheit führen.

Hr Merz steckt gedanklich in den 1980ern fest, Fr Weidel offensichtlich in schlimmeren Zeiten. Über diese Alternativen sollte man nachdenken, bevor man Land und Regierung schlecht redet.

Die Lage ist schlecht. Schönreden verhindert Verbesserung.

Beispiel Heizungsgesetz und E-Mobilität: Die Energieversorgung soll kurzfristig massiv auf Elektrizität umgestellt werden. Dabei kann schon heute die Bundesrepublik ihren Strombedarf selbst nicht mehr decken und muss mehr denn je Strom aus dem Ausland importieren. Insbesondere der Atomstrombezug aus Frankreich ist genau in dem Maße gestiegen, wie wir an Atomkraftwerken letztes Jahr vom Netz genommen haben. Und das lässt sich mit Regenerativen Energien auch mittelfristig nicht lösen.

Mützenich ist hier unehrlich. Die Physik setzt der Politik Grenzen, die er wegdiskutiert. Die Wirtschaft nimmt massiven Schaden an der Abkehr von russischem Pipelinegas und die Bundesregierung deckt dieses Manöver, das alleine den US-Interessen dient. Ohne russisches Gas und ohne Atomstrom sieht es mit der Versorgungssicherheit für industrielle Bedarfe in den nächsten 10 bis 20 Jahren düster aus. Dies über Subventionen zu lösen, wäre Wahnsinn. Richtig wäre, bei den Ursachen anzusetzen. Dazu müsste man sich bezüglich der Energielieferung aus Russland aber ehrlich machen.

Das traut sich Mützenich aber offensichtlich nicht mal zu fordern. Feigheit ist das Problem, nicht Schlechtreden.

ja, das mag stimmen, aber sie verkennen bei dieser

Debatte, dass der Strom- und Energiebedarf runter gehen wird, wenn nur die größten Verbraucher (Stahl, Kupfer, Aluminum..) erstmal ins Ausland verzogen sind. Dann sinkt die Nachfrage drastisch, und mit ihr der Preis

Ja stimmt!

Und der Lebensstandard von sehr vielen abhängig Beschäftigten sinkt auch. Soll ich das als Ziel der Ampel auch noch begrüßen?

dem Kanzler kann man vertrauen, er weiß am bestens, was

gut für uns ist. Er wird es machen