Vor 90 Jahren

Otto Wels' legendäre Rede: Als die SPD dem Terror der Nazis trotzte

Thomas Horsmann15. September 2023
Freiheit und Leben kann man uns nehmen – die Ehre nicht. Otto Wels bei einer Rede vor dem Reichstag im März 1932
Freiheit und Leben kann man uns nehmen – die Ehre nicht. Otto Wels bei einer Rede vor dem Reichstag im März 1932
Die SPD-Fraktion stimmt am 23. März 1933 im Reichstag als einzige Partei gegen das sogenannte Ermächtigungsgesetz, mit dem die Nationalsozialisten ihre Diktatur errichten. Im Mittelpunkt: SPD-Chef Otto Wels und eine berühmt gewordene Rede.

In der Berliner Krolloper, dem Ausweichquartier nach dem Reichstagsbrand, eröffnet Parlamentspräsident Hermann Göring um 18.15 Uhr die Sitzung. Hinter dem Podium des Reichstagspräsidiums hängt eine riesige Hakenkreuzfahne. In Türen und Gängen drängen sich bewaffnete SA-und SS-Mannschaften, die die Krolloper bewachen und die SPD-Abgeordneten einschüchtern sollen.

Otto Wels gibt Hitler Contra

Es ist Donnerstag, der 23. März 1933. Auf der Tagesordnung steht die Beratung über das „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“, das sogenannte Ermächtigungsgesetz. Mit ihm soll sich das Parlament selbst entmachten, die Legislative auf die Reichsregierung übertragen und die Gewaltenteilung aufheben.

Die benötigte Zwei-Drittel-Mehrheit ist sicher, denn die Kommunist*innen sind ausgeschaltet und außer den Sozialdemokrat*innen wagt niemand mehr, Widerspruch zu erheben. Erster Redner ist der SPD-Vorsitzende Otto Wels, der im Namen der gesamten SPD-Fraktion das Gesetz klar ablehnt.

„Noch niemals, seit es einen Deutschen Reichstag gibt, ist die Kontrolle der öffentlichen Angelegenheiten durch die gewählten Vertreter des Volkes in solchem Maße ausgeschaltet worden, wie es jetzt geschieht und wie es durch das neue Ermächtigungsgesetz noch mehr geschehen soll.“

Nach dem 30. Januar 1933 setzte der Terror ein

Er fügt unter Schmährufen der Nationalsozialist*innen hinzu: „Kein Ermächtigungsgesetz gibt Ihnen die Macht, Ideen, die ewig und unzerstörbar sind, zu vernichten.“ Und weiter: „Wir deutschen Sozialdemokrat*innen bekennen uns in dieser geschichtlichen Stunde feierlich zu den Grundsätzen der Menschlichkeit und der Gerechtigkeit, der Freiheit und des Sozialismus.“ Schließlich fällt der legendäre Satz: „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht.“

Ein Blick zurück. Am 30. Januar 1933 ernennt Reichspräsident Paul von Hindenburg Adolf Hitler zum Reichskanzler. Bereits am 1. Februar wird der Reichstag aufgelöst. Gleichzeitig setzt der nationalsozialistische Terror ein, der den Wahlkampf zur Reichstagswahl am 5. März 1933 prägt.

Doch es gelingt der NSDAP nicht, die angestrebte absolute Mehrheit zu erreichen. Mit 43,9 Prozent der Stimmen wird sie aber erneut stärkste Fraktion und erhält 288 Sitze, die SPD erreicht mit 18,3 Prozent 120 Sitze und ist zweitstärkste Kraft. Der Druck auf die SPD-Abgeordneten wird immer stärker.

Die SPD wird verfolgt, die Demokratie beseitigt

Auf dem Weg in die Krolloper zur Parlamentssitzung müssen sie sich durch eine grölende Menge Nationalsozialist*innen drängen, die sie beschimpfen. Sie werden gewarnt mit „Nein“ zu stimmen, da Verfolgung und Vertreibung drohten. An der Sitzung nehmen schließlich 93 von 120 Abgeordneten der SPD teil.

Die Abwesenden haben gute Gründe, nicht dabei zu sein. Sie sind inhaftiert oder liegen nach Angriffen im Krankenhaus. Genossen jüdischer Abstammung haben sich nach Absprache mit dem Fraktionsvorstand krankgemeldet, andere sind schon ins Ausland geflüchtet. Carl Severing, ehemaliger Reichsinnenminister, gehört zu den Inhaftierten.

Er kommt kurz vor der Abstimmung frei, eilt ins Parlament und trifft gerade noch rechtzeitig ein, um die 94. Nein-Stimme gegen das Ermächtigungsgesetz abzugeben. Mit 444 gegen 94 Stimmen der SPD nimmt der Reichstag das Ermächtigungsgesetz an. Die dritte und letzte Sitzung des Reichstags als Mehrparteienparlament findet am 17. Mai 1933 statt.

Kurz darauf wird er aufgelöst, Parteien werden verboten, die Demokratie ist beseitigt. Die SPD-Führung flieht nach Prag. Sie hofft auf baldige Rückkehr. Doch das sollte noch 12 lange Jahre dauern.

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