Interview mit Verena Hubertz

Warum wir mehr Frauen als Gründerinnen brauchen

Vera Rosigkeit06. März 2023
In Deutschland gibt es derzeit nur 16 Prozent Gründerinnen. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Verena Hubertz möchte das ändern.
Ein moderner Arbeitsplatz sollte sich an die Lebensbedingungen anpassen und nicht umgekehrt, sagt SPD-Politikerin Verena Hubertz. Für Frauen gilt dies im besonderen Maße, ganz gleich ob als Pflegekraft oder als Gründerin.

Welche Chancen birgt die Transformation für Frauen in der Arbeitswelt?

In der sich ändernden Arbeitswelt brauchen wir alle, die mit anpacken, insbesondere Frauen. Um ihr Potenzial zu heben und die Power von Frauen zu nutzen, müssen wir zunächst dafür sorgen, dass Frauen auch erwerbstätig sein können, wenn sie wollen. Das betrifft sowohl Alleinerziehende, die noch immer mit mangelnden Betreuungsangeboten konfrontiert sind, als auch die sogenannte “Teilzeitfalle”, in die insbesondere auch Frauen mit besser verdienendem Partner immer wieder tappen. Ein moderner Arbeitsplatz sollte sich an die Lebensbedingungen anpassen und nicht umgekehrt.

Was ist konkret zu tun?

Die Rahmenbedingungen müssen sich ändern. Das betrifft sowohl eine verlässliche Kinderbetreuung als auch gute Arbeitsbedingungen und natürlich auch gute Bezahlung. In der Pflege, in der viele Frauen arbeiten, fehlt im Job oft schon die Planbarkeit, denn es gibt Schicht- und Wochenendarbeit. Hinzu kommt der noch immer große Pay-Gap, also die Unterschiede bei Löhnen,zwischen Frauen und Männern. Auch die strukturelle steuerliche Benachteiligung von Alleinerziehenden gegenüber Ehegemeinschaften ist ein Problem.  Wichtig ist aber auch eine Veränderung unserer Denkweisen. Beispielsweise, dass Frauen immer besser sein und 130 Prozent geben müssen, um einen Job zu bekommen, der bislang von Männern gemacht wurde. Für mich gilt der Satz, dass wir erst dann Gleichberechtigung erreicht haben, wenn genauso viele schlechte Frauen wie Männer in Führungspositionen sind. Unsere Wirtschaft ist immer noch männlich geprägt. Wir haben mehr Manager mit Namen Thomas im Vorstand als Frauen. Kinder und Karriere schließen sich immer noch aus. Warum schaffen wir nicht die Möglichkeit, dass Führungspositionen in Teilzeit möglich sind?

Welche Aufgabe spielen Staat und SPD dabei?

Transformation bedeutet, dass Wirtschaft diverser wird und damit auch weiblicher. Und wer, wenn nicht die SPD, kann Wandel in der Arbeitswelt organisieren. Die Unternehmen machen das nicht von sich aus. Deshalb haben wir in der letzten Legislaturperiode das zweite Führungspositionen-Gesetz auf den Weg gebracht, um den Anteil von Frauen in Führungspositionen zu erhöhen und verbindliche Vorgaben für die Wirtschaft und den öffentlichen Dienst zu machen. Eine Führungsposition muss aber auch möglich sein für Frauen, die in Mutterschutz und Elternzeit sind. Kinder dürfen kein Abstellgleis sein. Parität muss man nicht nur gut finden, sie muss auch umgesetzt werden. Das muss der Staat und damit auch die SPD organisieren.

Wie sehen die Möglichkeiten von Frauen als Gründerinnen von Start-Ups aus?

Bei der Selbstständigkeit haben Frauen viel aufzuholen, denn wir haben nur 16 Prozent Gründerinnen in Deutschland. Damit fehlen auch Vorbilder und Frauen, die als Mentorinnen tätig werden. Das hat auch mit unseren Rollenbildern zu tun, deshalb sollten wir das Thema Gründen schon in den Schulen verankern. Es geht aber auch um Kapital. Wer investiert denn in Start-Ups? Das sind Venture-Capital-Fonds, die zumeist männlich geprägt sind. Studien belegen, dass Männer wiederum in Männerideen investieren.

Was kann die Start-Up-Strategie der Bundesregierung bewirken?

Wir haben erstmalig eine Start-Up-Strategie. Dabei spielt ist Thema Frauen in der Gründung ein wichtiger Punkt. Wir wollen ein extra staatliches Geld für Gründerinnen bereitstellen. Bis zum Sommer wird dafür ein spezielles Programm, EXIST Women, im BMWK aufgesetzt. Und wichtig ist eine Parität bei den Entscheidern, da wo der Staat investiert. Zum Beispiel durch den High-Tech Gründerfonds HFGF oder der Investitionsbank IBB. Diese staatlichen Investmentfonds müssen auch Frauen an den Tisch bringen, wenn es darum geht, Ideen auszusuchen. Aber auch hier müssen die Rahmenbedingungen stimmen.

Welche Rahmenbedingungen brauchen Frauen, um zu gründen?

Schwierig wird es dann, wenn du als Frau selbstständig bist und ein Kind bekommst. Es gibt keinen Mutterschutz vergleichbar mit der Lohnfortzahlung oder auch der Elternzeit. Dabei richtet sich das Entgelt nach den Einnahmen der letzten Jahre, gilt also nicht für Gründerinnen. Kurz: Du musst es dir leisten können, als Frau gründen und Mutter zu werden. Es gibt aktuell eine Petition einer Schreinermeisterin aus Trier, die sie gestartet hat, nachdem sie feststellte, dass sie keinen Anspruch auf Elternzeit hat. Ihre Petition war aktuell erst im Petitionsausschuss, wir als SPD unterstützen das. Übrigens gibt es auch viele Menschen mit Einwanderungsgeschichte, die sich selbstständig machen, weil sie auf dem ersten Arbeitsmarkt keine Chance bekommen. Für mich ist Aufstieg durch Gründung ein tolles Leitbild, weil weder dein Elternhaus zählt, noch dein Bildungsabschluss: Was zählt ist die Leidenschaft, die eigene Idee und die Vision. Dass Frauen keinen Nachteil bei diesem Karriereweg haben, der ohnehin schon ein sehr risikobehafteter ist, ist also ein sozialdemokratisches Anliegen in dieser neuen Zeit, in der auch neue Wege gegangen werden müssen.

Die Gesprächspartnerin

Verena Hubertz ist stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion und Gründerin der App „Kitchen Stories“.

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