Bergbau-Tradition

Kulturerbe: „Das Steigerlied ist ein großes Stück Identität.“

Kai Doering24. März 2023
Bergmannschor in Marl im Ruhrgebiet: Das ist unsere Geschichte – mit allen sieben Strophen.
Bergmannschor in Marl im Ruhrgebiet: Das ist unsere Geschichte – mit allen sieben Strophen.
Das Steigerlied ist jetzt immaterielles UNESCO-Kulturerbe in Deutschland. Wie es dazu kam und was das Lied so besonders macht, erklärt Andreas Artmann vom Verein „Ruhrkohle Musik“ im Interview.

Wie oft haben Sie das „Steigerlied“ schon gesungen?

Das kann ich gar nicht genau sagen. In den vielen Jahren, in denen ich im Ruhrkohle-Chor war, haben wir das Steigerlied nahezu bei jedem Auftritt gesungen. Aber auch im privaten Bereich singe ich es erstaunlich häufig – mit allen sieben Strophen, so wie wir es hier an der Ruhr kennen.

Andreas Artmann

Wie textsicher nehmen Sie die Menschen wahr?

Das ist wie bei Volksliedern auch: Da kennt jeder die erste Strophe. Danach wird es schnell dünn. Es hängt aber auch vom Kreis ab, in dem man das Lied anstimmt. Wenn ich mit Freunden unterwegs bin, sind die meist schon recht textsicher. Und die siebte Strophe vergisst natürlich sowieso niemand, weil da traditionell der Schnaps getrunken wird.

Was ist das Besondere am Steigerlied?

Das Lied erzählt eine Geschichte, eine Familiengeschichte. Der Steiger, also der Bergmann, bricht morgens auf und geht zur Arbeit. Er fährt in den Schacht und macht unter Tage seine Arbeit. Dabei denkt er an seine Liebste. Am Ende kehrt er nach Hause zurück und lässt den Bergmannsstand hochleben. Gerade für die Menschen, die selbst früher Bergleute waren, und ihre Familien ist das Steigerlied ein großes Stück Identität.

Das Lied ist aber auch bei jungen Menschen beliebt, etwa im Fußballstadion. Was sagt es Menschen, die das Bergmannsleben gar nicht mehr selbst kennen?

Das Steigerlied ist ungemein identitätsstiftend. Gerade wo es den Kohlebergbau in Deutschland nicht mehr gibt, halten sich viele daran fest und sagen: Das ist unsere Geschichte – mit allen sieben Strophen.

Ihr Verein, der Ruhrkohle Musik e.V., hat vor einigen Jahren den Antrag gestellt, das Steigerlied ins immaterielle Kulturerbe aufzunehmen. Was hat Sie dazu bewogen?

Unser Antrag richtete sich erstmal auf die Landesebene, also auf Nordrhein-Westfalen. Hier ist das Steigerlied bereits seit 2020 Teil des immateriellen Kulturerbes. Das war auch die Voraussetzung, dass das Steigerlied jetzt ins immaterielle Kulturerbe des Bundes aufgenommen werden konnte. Der Anstoß kam von der RAG-Stiftung. Als Verein haben wir ihn gerne aufgenommen. Je mehr wir uns mit dem Thema beschäftigt haben, desto mehr haben wir mitbekommen, wer sich alles darum bewirbt, zum immateriellen Kulturerbe in Deutschland zu werden. Das hat uns nochmal zusätzlich motiviert. Auch mit den Ursprüngen des Steigerlieds haben wir uns intensiv auseinandergesetzt. Nach all dem bin ich fest davon überzeugt, dass dieses Lied auch in Zukunft ein nicht verschwindender Teil unseres kulturellen Lebens sein wird.

Was lässt sich aus dem Lied für die Zukunft lernen?

Lernen ist vielleicht zu viel gesagt, aber für mich verkörpert es schon eine Art des Zusammenhalts, die es so nur in wenigen Bereichen gibt. Da können sich viele auch in 50 Jahren noch einiges abgucken.

Es gibt verschiedene Varianten des Steigerlieds. Welches ist die richtige?

Ich glaube, das lässt sich so nicht sagen. Natürlich gibt es eine Ursprungsfassung, die aus dem sächsischen Erzgebirge stammt. Die Verbindung zu den verschiedenen Strophen ist dann im Laufe der Zeit gewachsen. Wir haben uns deshalb im Bewerbungsprozess um das immaterielle Kulturerbe nicht auf eine Textvariante bezogen, sondern auf „das Singen des Steigerlieds“. Das beinhaltet die Möglichkeit, verschiedene Varianten zu singen. Das macht das Lied so interessant für den kulturellen Austausch. Jeder hat seinen eigenen Zugang.

Auch zum Abschluss von SPD-Parteitagen ist das Steigerlied schon häufiger gesungen worden. Sollte die Partei diese Tradition wieder aufleben lassen?

Ich weiß nicht, ob ich der Richtige bin, der SPD da Ratschläge zu erteilen. Natürlich hatte die Partei über Jahrzehnte sehr enge Verbindungen zu den Bergleuten. Mit dem Strukturwandel und dem Verschwinden der Tagebaue hat sich hier eine Veränderung vollzogen. Ob sie an den alten Traditionen festhalten möchte, indem sie mit dem Steigerlied daran erinnert, muss die SPD selbst entscheiden. Ich persönlich wünsche mir aber schon, dass sie diesen Teil ihrer Wähler- und Mitgliedschaft nicht vergisst.

Nach der Landes- und der Bundesebene wäre das immaterielle Weltkulturerbe der UNESCO das nächste logische Ziel. Gibt es da bereits Bestrebungen?

Natürlich beschäftigen wir uns bereits mit den nächsten Schritten, ohne dass wir da bereits konkret etwas unternommen haben. Polen ist schon weiter: Von dort gibt es bereits Bemühungen, ein immaterielles Kulturerbe im Bergbaubereich auf den Weg zu bringen. Dabei ginge es dann aber nicht nur um das Steigerlied, sondern eher um Kunst und Kultur im Bergbaubereich im Allgemeinen. Da gibt es je nach Land sehr unterschiedliche Ausprägungen. Bergleute-Liedgut wie es das Steigerlied ist, ist für Deutschland etwas Einmaliges.

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