Die SPD gilt als die Partei der Arbeit und der Arbeiter*innen. Ist eine Arbeitsgemeinschaft für Selbstständige und Unternehmer da kein Widerspruch?
Nein, auf keinen Fall. Spätestens 1959 hat sich die SPD mit dem Godesberger Programm dafür entschieden, Volkspartei zu sein. Die Verbindung zwischen SPD und Unternehmen reicht aber deutlich länger zurück. Schon in der Weimarer Republik gab es eine „Vereinigung sozialistischer Unternehmer“. 1953 hat die SPD eine „Bundesarbeitsgemeinschaft Selbständig Schaffender in der SPD“, kurz AgsS, gegründet, die 1963 in „Arbeitsgemeinschaft Selbständige in der SPD (AGS)“ umbenannt wurde. Unternehmer und SPD sind also kein Widerspruch. Etwa sieben Prozent der SPD-Mitglieder sind übrigens Mitglied der AGS. Die Zahl ist über die Jahrzehnte konstant geblieben. Besonders sichtbar sind sie in kommunalen Parlamenten. Wir vertreten einen sozialdemokratischen Ansatz von Unternehmertum, indem wir uns um unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kümmern.
Was haben Unternehmer*innen davon, sich gerade in der SPD zu engagieren?
In der SPD wird die Politik gemacht, die alle Menschen mitnimmt und nicht nur bestimmte Gruppen. In anderen Parteien ist nur eine bestimmte Klientel vertreten. Das ist in der SPD anders. Wir wollen als Selbstständige und kleine und mittlere Unternehmer unser Wissen und unsere Anregungen so einfließen lassen, dass sie der Gesellschaft als Ganzes nutzen. Zurzeit setzen wir uns z.B. sehr für ein Lebensarbeitszeitkonto für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein, weil wir davon überzeugt sind, dass das ein Arbeiten auf Augenhöhe und mehr Flexibilität für Arbeitnehmer ermöglicht.
Gerade Selbstständige haben in der Corona-Zeit sehr gelitten, weil Aufträge kurzfristig weggebrochen sind und viele kaum Rücklagen hatten. Wie geht es ihnen heute?
Da gibt es kein einheitliches Bild. In manchen Branchen wie im Bereich der Erneuerbaren Energien gibt es ja zurzeit einen Boom, von dem gerade Mittelständler profitieren. Da fehlen eher die qualifizierten Mitarbeiter als die Arbeit. Andere Branchen, gerade im Dienstleistungsbereich, knabbern dagegen noch immer an den Einbrüchen der Corona-Zeit. Probleme gibt es nach wie vor im Start-up-Bereich. Bei der Finanzierung des Wagnis-Kapitals sind wir in Deutschland ohnehin schon recht schlecht aufgestellt. Da sind die Bedingungen in der letzten Zeit leider nicht besser geworden.
In den vergangenen Monaten gab es immer wieder Schlagzeilen, Unternehmen könnten wegen der hohen Energiepreise und Anreizen aus anderen Ländern wie den „Inflation Reduction Act“ in den USA abwandern. Gilt das auch für Mittelständler?
Die Sorgen sind durchaus begründet. Viele meiner Kunden sind energieintensive Betriebe, die sich natürlich Sorgen machen, wenn die Strompreise weiter steigen. Ein Kunde hat sich gerade entschieden, eine Photovoltaik-Anlage aufzubauen, um einen Teil seiner Energie selbst zu erzeugen. Das schafft Unabhängigkeit. Unternehmen, die international mehr unter Druck stehen und zum Teil schon Niederlassungen in anderen Ländern haben, denken schon darüber nach, Arbeitsplätze aus Deutschland zu verlagern. Einschränkend muss ich aber sagen, dass ich solche Ankündigungen bereits seit 30 Jahren höre. Am Ende ist dann doch immer recht wenig passiert. Man darf nicht vergessen, dass die Ausbildung in Deutschland immer noch auf dem besten Niveau ist. Deutschland ist nach wie vor einer der besten Standorte der Welt. Das sollten wir uns auch nicht schlechtreden lassen.
Trotzdem ist das Wirtschaftswachstum in Deutschland rückläufig. Was erwarten Sie von der Bundesregierung an Unterstützung?
Eine Entlastung im Abgabenbereich wäre sinnvoll. Das würde auch bei den Arbeitnehmern untere Lohngruppen deutlich stärker entlasten als Steuersenkungen und die Binnennachfrage wieder ankurbeln. Auch eine Entbürokratisierung würde Unternehmen extrem helfen. Genehmigungsverfahren sind noch viel zu aufwändig und dauern extrem lange. Das müssen wir ändern. Darüber hinaus sollte der Staat gezielt Anreize setzen für unternehmerische Investitionen und die Infrastruktur ausbauen, vor allem was Stromleitungen und Speicher angeht. Ich bin mir sicher, dass wir bei der wirtschaftlichen Entwicklung den tiefsten Punkt bereits hinter uns gelassen haben. Die Bundesregierung muss deshalb jetzt die Rampe bauen für den nächsten Aufschwung.
Sie sind Elektrotechniker-Meister mit eigenem Unternehmen und haben viel mit Erneuerbaren Energien zu tun. Wie sehr kommt es auf Unternehmen wie Ihres an, wenn die Transformation gelingen soll?
80 Prozent der Wirtschaft in Deutschland bestehen aus kleinen und mittleren Unternehmen. Gerade im Energiebereich bilden wir ein Rückgrat. Natürlich brauchen wir auch die großen Unternehmen als Ankerbetriebe, aber ohne die Mittelständler wird die Transformation scheitern. Deshalb brauchen auch sie günstigere Energiepreise. Warum sollte die industrielle Großbäckerei subventionier werden, die Bäckerei vor Ort aber nicht? Schließlich hat letztere eine Funktion weit über die Versorgung mit Backwaren hinaus.
Wo wünschen Sie sich als AGS von der SPD noch mehr Unterstützung?
Da können wir uns eigentlich nicht beschweren. Über die Jahre hat sich die AGS ein gutes Standing erarbeitet – in der Partei, aber auch darüber hinaus. Wir sind sowohl im Parteivorstand als auch in der SPD-Bundestagsfraktion gut vernetzt. Auch die Anbindung an die S&D-Fraktion im Europaparlament funktioniert sehr gut. Eine kleine Lücke gibt es vielleicht noch in den Ländern. Auch in das eine oder andere Ministerium hätten wir gerne noch einen besseren Draht. Insgesamt werden wir aber überall gut gehört. Konstruktiv nach vorne denken – das ist das Credo der AGS.
Am 15. September feiert die „Arbeitsgemeinschaft Selbständige in der SPD (AGS)“ ihr 70-jähriges Bestehen im Willy-Brandt-Haus. Los geht es um 18 Uhr. Zudem ist im Dietz-Verlag das Buch „Innovativ, selbständig, sozialdemokratisch. 70 Jahre Arbeitsgemeinschaft Selbständige in der SPD (AGS)“ erschienen (ISBN: 978-3-8012-0663-5)70 Jahre AGS: Veranstaltung und Buch zum Jubiläum